„Wehe, dieses wird jenes töten!“ So lautet eines der geflügelten Worte aus Victor Hugos Der Glöckner von Notre-Dame, der in Wahrheit weniger Roman als medientheoretische Abhandlung ist. In diesem Ausspruch lag dem Erzähler zufolge „das Vorgefühl, dass der menschliche Gedanke mit der Änderung seiner Form auch die Ausdrucksweise ändern werde; dass der Leitgedanke jeder Generation nicht mehr mit demselben Material und in derselben Weise dargestellt werden würde“.
Dieser faszinierende Gedanke, dass Ausdrucksweise und Form zusammenhängen, hat uns beim Relaunch der Printausgabe durch Mike Meiré vor über 12 Jahren begleitet. Wir waren uns jedoch auch des Kulturpessimismus bewusst, der sich hinter dem dramatischen Ausruf des Erzdiakons von Notre-Dame verbirgt – ein Schrecken über die Verflüssigung der Kultur, der von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Anderthalb Jahrhunderte nach Hugo, der den Aufstieg der Buchkultur beschrieb, die die Architektur als Leitkultur verdrängte, hat das New-Wave-Duo The Buggles gewissermaßen dessen Kerngedanken in unnachahmlicher Weise auf die neuen Medien der Populärkultur übertragen:
Video killed the radio star
Pictures came and broke your heart
Oh-a-a-a oh
Der Song spiegelt den Diskurs Ende der 1970er-Jahre zur aufkommenden visuellen Kultur wider, die stärker bild- als wortbasiert wirkt und heute die dominierende ist. Schon damals lag die Angst in der Luft, unsere menschliche Kultur werde technologisch zersetzt, „Rewritten by machine and new technology“.
Während es bei Hugo noch um den Kampf Stein gegen Papier, Architektur gegen Buch, das Festgefügte gegen die Freiheit der Gedanken ging, geht es seit geraumer Zeit in dieser Denklinie um den vermeintlichen Todeskampf der Wortkultur, den Niedergang des Arguments gegenüber der Geste, die Kapitulation des Gedruckten gegenüber der Bildgewalt des Internets, die Ersetzung der menschlichen Kreativität durch die Künstliche Intelligenz. Aber stimmt dieser kulturpessimistische Blick auf eine Entwicklung, die paradoxerweise multimedial genannt wird?
Die umfassende Digitalisierung, die die gegenwärtige Pandemie vorangetrieben hat, heizt diese Befürchtungen zusätzlich an. Und doch ist Kultur kein Nullsummenspiel. Statt der simplistischen Vorstellung von „dies tötet das“, müsste es vielmehr darum gehen, dass wir uns die spezifische Wirkmacht der unterschiedlichen Medien als gemeinsame kulturelle Grundlage zu eigen machen. Wir sollten auf die Medienkompetenz der jüngeren Generation vertrauen, die das Spektrum der menschlichen Entäußerung, denn nichts anderes ist Kommunikation, erweitern.
Und genauso ist die Entwicklung der ARCH+ im letzten Jahrzehnt zu verstehen: als im Wortsinne multimediales Projekt, das das unerschütterliche Bekenntnis zu Print einschließt, ohne sich den anderen Möglichkeiten der Selbstöffnung zu verschließen: Ausstellungen, Symposien, Features, Salons und nicht zuletzt die digitalen Medien stehen uns neben der Zeitschrift, die mehr zum Buch geworden ist, zur Verfügung. Die neue Website, gestaltet von Lamm & Kirch und Knoth & Renner und technisch auf der Basis eines CMS von Karolzyk & Alan umgesetzt, ist ein wichtiger weiterer Schritt in diese Richtung, der die unterschiedlichen Medien noch stärker sichtbar macht und verzahnt.
Und doch ist die Website und vor allem der neue Online-Reader – der die komplexen Inhalte der ARCH+ in der gewohnten visuellen Qualität plattformübergreifend, ohne App, überall zugänglich macht – nichts ohne die Sorgfalt und Gedankentiefe der gedruckten Ausgaben. Beide Bereiche ergänzen sich, und werden sich in Zukunft noch stärker gegenseitig bedingen.
Was damit gemeint ist, lässt sich am neuen Online-Reader nachvollziehen: Die thematische Dichte und die Direktheit des Blätterns in einer Printausgabe haben wir in das digitale Medium übersetzt. Man klickt sich nicht durch eine Website durch und verliert dabei den argumentativen Zusammenhang, sondern behält zu jedem Zeitpunkt den Überblick: Ein Vorteil des Gedruckten wurde hier für den Online-Reader zum Gestaltungsansatz.
In diesem Sinne rufen wir Ihnen optimistisch zu:
Dieses wird jenes stärken!
Herzlichst
Ihr
Anh-Linh Ngo
P.S.: Dies ist nur die erste Phase des Projekts. Im nächsten Schritt werden wir uns darum bemühen, das Archiv aller ARCH+ Ausgaben zu erschließen und Recherchefunktionen implementieren. Dies erfordert jedoch große Investitionen, für die wir Fördermittel und Unterstützung benötigen. Sie können das Projekt mit einer Spende unterstützen.