Pure Gold – Nachhaltiges Begehren
Volker Albus im Gespräch mit Anh-Linh Ngo
Anh-Linh Ngo: In der Einführung zu Ihrer Ausstellung Pure Gold betonen Sie, dass es bei der Menschheitsfrage der Nachhaltigkeit an der Zeit ist, nicht mehr nur an die Vernunft zu appellieren, sondern auch mit ästhetischen Mitteln Begehrlichkeiten zu wecken. Eigentlich ist das gerade ein Instrument der Konsumindustrie. Sollen wir sie also mit ihren eigenen Waffen schlagen?
Volker Albus: Unsere Konsumgesellschaft funktioniert nach dem Prinzip des Begehrens. Trotz aller Vernunftgedanken wird die Warenwelt über schaufensterartige Medien präsentiert. Zuallererst nehme ich die ästhetische Erscheinung eines Produkts wahr – nicht, ob es vernünftig hergestellt wurde oder ob es gut funktioniert. Doch in den bisherigen Diskussionen um Nachhaltigkeit richtete sich der Appell allzu oft auf Verzicht. Ich halte hingegen die ästhetische Qualität für den Schlüssel. Aus diesem Grund haben wir auch den Ausstellungstitel Pure Gold gewählt. Zunächst haben wir mit dem Begriff Upcycling gearbeitet, doch der wird oft mit tabellarischen Darstellungen von Wasser- und Energieverbrauch und ähnlichem in Verbindung gebracht. Die Ausstellung will nicht pädagogisch sein, sondern setzt auf die ästhetische Überzeugungskraft der gezeigten Beispiele. Besonders ausgeprägt ist das bei der Leuchte Styrene aus dem Jahr 2002 von Paul Cocksedge im Eingangsbereich der Ausstellung. Sie wurde aus Polystyrol-Kaffeebechern gefertigt, bei denen niemand an ästhetische Qualitäten denkt. Cocksedge stellte vielleicht nur zufällig fest, dass die Becher bei Erhitzung schrumpfen und fügte sie zu einer Leuchte zusammen, die einfach ein schönes Objekt ist. Ein anderes Beispiel, das wir nicht in der Ausstellung zeigen konnten, weil sie leider unbezahlbar sind, sind Werke von Stuart Haygarth. Er produziert aus abgeschnitten Plastikflaschenböden riesige Objekte, die tatsächlich Begehrlichkeit wecken. Man denkt dabei nicht mehr an Abfall, sondern gerät fast in Erstaunen und Bewunderung. Dafür gibt es natürlich auch andere Gründe, sei es die erkennbar gute Idee, Sorgfalt oder das Handwerkliche. Damit gehen die Vorgehensweisen in andere Kategorien über und dies erscheint mir als elementarer Punkt für ihre Durchsetzung und Popularisierung.
Natürlich zeigen wir auch Beispiele, die aus der Not geboren sind, Situationen, in denen einfach nichts anderes verfügbar ist. Aber auch außerhalb des Notzustands gelangt es immer mehr ins Bewusstsein, dass aus den Objekten nicht nur die rein physische Materialqualität sprechen, sondern verborgene ästhetische Qualität sichtbar gemacht werden sollte.
ALN: Sie sprechen von der verborgenen Ästhetik der Materialien. Das wirft die Frage auf, wie man mit dem Vorgefundenen umgeht. Welche Rolle hat der Gestalter in einem Prozess, in dem er mit bereits Gestaltetem arbeiten muss?
VA: Jakob Michael Landes Hocker dude, der aus Skateboards gefertigt wurde, verdeutlicht, wie der junge Gestalter sich die spezifische Form der Skateboards zu eigen macht. Er schneidet und reinigt sie und setzt sie zu einem raffinierten Objekt zusammen. Der Gestalter identifiziert also bestimmte physische Qualitäten. Er erkennt aber nicht nur, sondern isoliert und arrangiert neu. Die Qualitäten des Materials werden genutzt und handwerklich präzise zu etwas Neuem verarbeitet, nicht dilettantisch zusammengeschmiedet. Die Objekte, die wir zeigen, bedienen sich nicht mehr der Methode des Bastelns oder der Bricolage. Vielmehr merkt man ihnen an, dass sie sehr gute Schreinerarbeiten sind und die Gestalter ihr Handwerk beherrschen. Ob sie dafür Alt- oder Neuholz verwenden, spielt dabei eher eine sekundäre Rolle.
ALN: Interessant ist, dass diese Bewegung so etwas wie ein neues Handwerksethos befördert.
VA: Es gibt heute eine neue Bewegung, Manufakturen zu gründen, um dort Produkte zu entwickeln, immer weiter zu perfektionieren und auch selbst zu produzieren. Piet Hein Eek beispielsweise, der mit seinem Beam armchair with cushions in der Ausstellung vertreten ist, besitzt eine eigene Manufaktur. Das hebt die Qualität der Verarbeitung, die ausgesprochen sauber und präzise ist. Aber auch eine neue quantitative Dimension: In seiner gewaltigen Produktionshalle in Eindhoven bearbeitet Eek Unmengen aufgekauftes Altholz aus den Niederlanden. Jenseits der großen Hersteller treten auf diese Weise ganz neue Akteure auf, wie zum Beispiel Mieke Meijer mit ihrem Produkt NewspaperWood oder Hamed Ouattara, der eine Manufaktur in Burkina Faso besitzt und dessen Produkte inzwischen in aller Welt vertrieben werden.
ALN: Was glauben Sie, wie wird sich dieser Bereich in den kommenden zehn Jahren – das ist der Zeitraum, in dem diese Ausstellung touren wird – weiterentwickeln und verändern?
VA: Blicken wir zehn Jahre zurück, kann man feststellen, dass das Bewusstsein für dieses Thema stark gewachsen ist. Auch bei der Herstellung von Konsumgütern wird Nachhaltigkeit zu einer zentralen Kategorie. Wenn der Konsument merkt, dass die Wiederverwertung eine gewisse Verbreitung erhält, musealisiert wird – was auch zur Akzeptanz beiträgt –, dass die Objekte eine gewisse Wertigkeit haben, dass sie funktionieren und ästhetische Erwartungen erfüllen, werden sich diese Produktionsprozesse weiter etablieren. Dem Design kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Dabei ist dies nur ein Aspekt der Wiederverwertung. Ein anderer, auf den wir in der Ausstellung gar nicht eingehen, ist die großindustrielle Wiederverwertung – ich habe das ‚Verbreiung‘ genannt, weil die Materialien dabei in ihre Bestandteile zerlegt werden. Ein Beispiel ist der FC Bayern München – die Mannschaft spielt in Trikots, die aus Müll produziert werden. Das findet bereits Verbreitung, dazu kommen an anderer Stelle Jeans, die aus PET-Flaschen produziert werden. Druckerhersteller entwickelten eine Maschine, die Altpapier verarbeitet und damit 780 neue Blatt Papier pro Stunde produziert. Ich glaube, dass das parallele Entwicklungen sind, welche beide voranschreiten: Die Rohstoffrückgewinnung auf der einen und das kreative Umdeuten und Umnutzen auf der anderen Seite. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass sich Firmen wie Edra an solchen Produktionsketten wie für das Objekt Digestion n°1 beteiligen. Matali Crasset hat dafür Polsterbezüge aus den quaderförmigen karierten Kunststofftaschen, die heute global verbreitet sind, gefertigt.
ALN: Für die Gestaltung spielt es auch eine Rolle, die Arbeit und Energie, die bereits in das Material hineingeflossen sind, wahrzunehmen, sie höher zu werten und sie dementsprechend in anderer Weise weiterzunutzen. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat es einmal so beschrieben: „Immer größere Teile der Wirklichkeit verwandeln sich in Rohstoff für Produktionen – in Ausgangsmaterie für Abbildungen, Beziehungen, Umwandlungen. Alles, was Produkt war, kann wieder Rohstoff werden, um erneut als leidende Materie die Einwirkungen von Arbeit zu speichern.“ Für unseren Zusammenhang heißt das, dass Design eine Art von Energie ist, die gespeichert wird.
VA: Genau so ist es, es wird nicht nur die physische Qualität eines klassischen Materials wie Holz oder Porzellan genutzt, sondern auch jene Qualitäten, die ein alter Stuhl oder eine alte Hose innehat. Und diese finden sich wieder in einem neuen Zusammenhang und kommen in Form eines neuen Produkts auf den Markt.
ALN: Diese Energie transportiert auch eine Geschichte: eine Lokalisierung der Produkte, die in der Ausstellung ablesbar ist anhand von Spuren und Gestaltungsprämissen.
VA: Eigentlich eine Form moderner Folklore.
ALN: Wie bewerten Sie diesen Aspekt?
VA: Früher, auf dem Dorf, hat man im Wald Holz geholt und daraus etwas geschnitzt. Heute nimmt man Wertstoffe und Produkte, mit denen wir groß geworden sind: Plastik zum Beispiel oder Haushaltsgeräte. Bei mir rufen sie eine Assoziation an das hervor, was mich während meiner vergangenen Lebensjahre umgeben hat – natürlich birgt das auch ein Erinnerungsvolumen. In den 1980er-Jahren habe ich ein Gedicht geschrieben: Meine Heimat ist die Autobahn. Ich bin damals jede Woche alleine von Düsseldorf nach Frankfurt gefahren, habe diese rot-weißen Baken gesehen. Das ist kein verklärter Heimat-Begriff mit Tannen oder Schwarzwald, sondern meine Heimat ist die A3 zwischen Frankfurt und Köln. Ich sehe darin ein immenses Identifikationspotential für die Gegenwart. Deshalb habe ich kein Problem mit dem Begriff Folklore.
ALN: Das stellt die Prämisse des modernen Designs auf den Kopf, universelle Dinge zu produzieren, die global verwendet werden. Die neue Strömung dagegen stellt sie wieder in einen bestimmten Kontext.
VA: Absolut. Das begann aber bereits in den 1960er-, 1970er-Jahren. In bestimmten Bereichen haben universelle Gestaltungsprinzipien natürlich ihre Berechtigung, aber sie können nicht alle emotionalen Wünsche und Kategorien bedienen. Während der großen Diskussion über das ‚Neue deutsche Design‘ in den 1980er-Jahren gab es einen wunderbaren Satz der Gruppe Kunstflug: „Nicht ein Design für alle, nein, viel Design für viele!“ Das findet sich heute wieder, wenn auch weniger ideologisiert.