Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet

Die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit ist mit der sozialen Dimension verwoben. Um eine nachhaltige Zukunft für alle zu erreichen, müssen auch die sozialen Beziehungen aller an der Raumproduktion Beteiligten – zu denen auch Care-Arbeiter*innen zählen, die den Bestand pflegen und instandhalten – sowie die Verhaltensweisen der Nutzer*innen neu justiert werden. Architekt*innen müssen dabei gerade jenen vernachlässigten Räumen und Infrastrukturen Aufmerksamkeit schenken, die den vulnerabelsten Gruppen im sozialen Gefüge die Teilhabe ermöglichen. Sie müssen auch den Stellenwert der meist unsichtbar gemachten Care-Arbeit, die für den Erhalt von Gemeinschaften und Institutionen notwendig ist, unterstreichen, indem sie jene versteckten Service-Räume – von den Abstellkammern für Reinigungsgeräte über Werkstätten, Materiallager bis hin zu Toiletten und urbanen Infrastrukturen der Maintenance – als sorgsam zu gestaltende Aufgaben sichtbar machen.

– Fotoessay von Giovanna Silva aus der Serie Veritas (on Venice), 2022

In den frühen Morgenstunden dokumentiert die Architektin, Fotografin und Künstlerin Giovanna Silva eine meist unbeachtete Realität der Stadt Venedig. Die sonst geläufigen Darstellungen der Lagunenstadt mit ihren repräsentativen Palazzi, Monumenten, Kanälen, Brücken und Plätzen weichen einem unglamourösen Bild Venedigs, das die Infrastrukturen seiner alltäglichen Instandhaltung in den Fokus rückt: Lagerräume und Abstell­kammern, Erschließungskorridore und Transiträume, Baustellen und Absperrungen. Aufgrund der Lage im Wasser ist die Stadt nicht nur besonders pflegebedürftig, sondern erfordert auch andere Werkzeuge, Medien, Geschwindigkeiten als üblich sowie einen besonderen körperlichen Einsatz zu ihrer Wartung und Erhaltung. Güter und Abfälle müssen transportiert, Plätze und Kanäle gereinigt, Fassaden und überflutete Böden repariert werden. Silvas Bilder machen auf diese notwendige alltägliche Arbeit und all die Handwerker*innen und Bauarbeiter*innen, die Spediteure und Reinigungskräfte aufmerksam, die die Stadt am Leben erhalten. FG

Das 2018 gegründete Institute of Radical Imagination (IRI) ist ein Netzwerk von Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Kurator*innen, die an der Schnittstelle zwischen Kunst und den Commons arbeiten. Ihr Projekt Art for Universal Basic Income (Art for UBI) – bestehend aus einem Manifest, einer Kampagne und einem Buch – setzt sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen oberhalb der Armutsgrenze ein und konzentriert sich auf die Rolle der Kämpfe von Kunstschaffenden auf dem Weg zu postkapitalistischen Formen der gesellschaftlichen Organisierung. Das Projekt umfasst auch eine Performance, die bei der Eröffnung des Deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale am 19. Mai 2023 uraufgeführt wird und sich auf die Erfahrungen von Kulturschaffenden in Venedig und darüber hinaus stützt. Im Vorfeld der Performance schreibt deren Koordinator Marco Baravalle, Gründungsmitglied des IRI und von Art for UBI, über die Ursprünge des Projekts und die Strukturen und Prämissen, die der venezianischen Kulturszene zugrunde liegen.

„Über Architektur zu sprechen, ohne Toiletten zu thematisieren, bedeutet, die gesamte Sphäre der sexuellen, psychologischen und moralischen Ökonomien zu verleugnen. Trotz des scheinbar endlosen Geredes über den Körper in der Architektur wollen Architekt*innen das Thema nicht wirklich anschneiden. Der Architekturdiskurs ist ein Geruchsneutralisierer.“ Beatriz Colomina, Mark Wigley: „Toilet Architecture – An Essay About the Most Psychosexually Charged Room in a Building“ (2017/18)¹

Die jährlich stattfindenden Biennalen in Venedig sind als Leistungsschauen der Kunst und Architektur angelegt, die enorm viele Ressourcen verbrauchen. So ist es nicht unüblich, dass für einen Beitrag allein über 200 Kubikmeter Polystyrol als Sondermüll anfallen. Das Konzept des deutschen Beitrags für die Architekturbiennale 2023 sieht daher vor, ausschließlich mit bereits verwendeten Materialien zu arbeiten. Dafür wurde das beim Abbau der Kunstbiennale 2022 angefallene Abfallmaterial von über 40 Pavillons und Ausstellungen gesammelt und im Deutschen Pavillon wie Spolien ausgestellt. Das Materialdepot ist je doch keine feste Ausstellung, sondern dient dazu, das gewonnene Material über die Laufzeit der Biennale verfügbar zu machen. Eine im Pavillon eingebaute, funktionsfähige Werkstatt dient der Umsetzung des Projekts wie auch als Plattform zur Durchführung gemeinsamer urbaner Interventionen mit lokalen Initiativen. Dieses Bemühen um eine ressourcen freundliche Baupraxis ist eine Form der Maintenance-Arbeit am materiellen Bestand.

– Ein Hinweis zum historischen Materialismus

Eine Spolie ist Teil einer Konstruktion, ob nun Bau- oder Kunstwerk, wenn er nicht für dieses geschaffen wurde, also aus einem anderen Zusammenhang heraus in einen neuen hereingenommen ist.

Ein Bauwerk, in dem Spolien zur Verwendung kommen, ist insofern uneinheitlich. Zu bemerken ist ein historischer Bruch. Spolie ist beständig. Spolie ist ein Material, das trotz Strukturwandel bis heute Bestand hat. Bildlich gesprochen: Spolie ist die Erinnerung im Material.

Die Biennalen und die wachsende Zahl an sogenannten Collateral Events befeuern die fortschreitende Inwertsetzung von Raum durch den profitgetriebenen Kultursektor, der wiederum den Massentourismus anheizt. Als Folge wird das Alltagsleben mit seinen nicht profitorientierten Netzwerken der sozialen wie materiellen Maintenance zunehmend aus der Stadt verdrängt. Während die Kommerzialisierung des Raums zum Bevölkerungsschwund in Venedig führt, stehen gleichzeitig über 2.000 Wohnungen der öffentlichen Hand leer und verfallen. Gegen diese Entwicklung wenden sich zu nehmend zivilgesellschaftliche Initiativen, die die Pflege städtischer und gemeinschaftlicher Strukturen zur Durchsetzung des Rechts auf Stadt und des Rechts auf Wohnen als eine Form urbaner Maintenance begreifen. Diese an historische Praxen erinnernden Instand(be)setzungen gehen über das Prinzip der Selbsthilfe hinaus, da sie soziale Missstände adressieren und in politische Forderungen für die gesamte Gesellschaft überführen. Im Zentrum steht die Wieder aneignung und Verteidigung öffentlicher Räume.

Chiara Buratti ist in der Assemblea Sociale per la Casa (ASC, dt. Soziale Vereinigung für das Wohnen) aktiv, eine Organisation, die sich seit vielen Jahren in Venedig für das Recht auf Wohnen einsetzt. Gemeinsam mit Bürger*innen renoviert ASC leerstehende Wohnungen der öffentlichen Hand und bietet so eine Alternative zur Stadtflucht aufgrund steigender Mieten. Mirko Gatti traf sie im Autonomen Zentrum Laboratorio Occupato Morion, um gemeinsam mit Laura Fregolent, Professorin für Stadtplanung an der Università Iuav di Venezia, über den Mietmarkt, Tourismus und das Recht, Venedig zu bewohnen, zu sprechen.

Das Neubaumantra gilt trotz der klimapolitischen Herausforderungen als zentraler Lösungsansatz für die Wohnungsfrage. Aus sozialer und ökologischer Perspektive ist die einseitige Orientierung auf Neubauten eine Sackgasse. Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt: Die Ansätze für die Stadt von morgen sind schon da. Die Instand besetzungsbewegung der 1980er-Jahre und die behutsame Stadt erneuerung in Berlin gelten als Musterbeispiele für einen schonenden Umgang mit den Ressourcen der historisch gewachsenen Stadt. Doch das Konzept der Behutsamkeit ging weit über einen materiellen, ressourcenschonenden Ansatz der Stadterneuerung hinaus und entfaltete seine Wirkung vor allem durch die Momente der Demokratisierung und eine Priorisierung sozialer Fragen.

– Gestalterische Praxen zwischenCare, Komplizenschaft und Kämpfenum das Recht auf Stadt

Die seit 2011 bestehende migrantisch geprägte Nachbarschafts- und Mieterinitiative Kotti & Co gilt als Wiege der neuen ­Berliner Mieter*innen- und „Stadt von unten“-­Bewegung. Ausgangspunkt ­bildet das Sorge­tragen für die städtische Umwelt und die Verteidigung des Rechts auf Wohnen durch die teils mehrfach marginalisierten ­Bewohner*innen am Kottbusser Tor („Kotti“) in Berlin-Kreuzberg. Inzwischen ist Kotti & Co zu einem wichtigen stadt­politischen ­Akteur im Kampf für eine soziale und ­demokratische Wohnraumversorgung sowie gegen Verdrängung und Rassismus in ­der Stadt geworden. Tashy Endres, die bei ­Kotti & Co zwischen 2012 und 2017 aktiv war, und Sandy Kaltenborn, der die Initiative mitbegründet hat, ­reflektieren im Rückblick auf zwölf Jahre Kotti & Co die politischen, räumlichen und gestalterischen Proteststrategien der Initiative sowie das emanzipatorische Potential der dahinter­liegenden Kollektiv- und Wissensbildungsprozesse und fragen kritisch nach der Rolle der ­Institutionen und Profession im Projekt ­gesamtgesellschaftlicher Transformation.