0
ARCH+ news

Der Mensch im Dazwischen

Ergebnisse des Seminars „Schwellenräume“ im Wintersemester 2011/12 an der Bauhaus-Universität Weimar

ARCH+ hat 2009 mit Heft 191/192 „Schwellenatlas“ endlich das umfassende Handbuch zur gebrauchsorientierten, jedoch kulturell und geschichtlich reflektierten Gestaltung von baulichen Ein-, Aus-, Durch- und Übergängen herausgebracht. Wann wird bei Entwurfsentscheidungen schon je in Betracht gezogen, wie ein automatischer Türschließer seine Nutzer diszipliniert, wie biometrische Zugangskontrolle den Körper fragmentiert oder was Spiegelglas über den Spätkapitalismus aussagt? Dabei verrät eine Auseinandersetzung mit den Hintergründen konkreter architektonischer Bauteile und technischer Gegenstände einiges über die Konventionen und Bedingungen gegenwärtigen Bauens.

Ausgangspunkt der Ausgabe „Schwellenatlas“ war eine Reihe von Forschungsseminaren über Mikroarchitekturen des Öffnens und Schließens, die an der Assistenzprofessur für Architekturtheorie am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich durchgeführt wurden. Mit einem interdisziplinären Ansatz, der aktuelle Untersuchungen zur anonymen Architektur mit Fragestellungen der Technik- und Kulturgeschichte verband, richteten die Seminare einen differenzierten Blick auf die Objekte der gebauten Umwelt und ihre Entstehungsgeschichte. Ausgehend von spezifischen Bauteilen und technischen Apparaturen der Schwelle nehmen die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Diskursfelder des Übergangs in den Blick, die das Verhältnis zwischen Innen und Außen gedanklich fassen und gleichzeitig die architektonische Praxis mitbestimmen. Das Heft widmete sich der Frage, welchem Wandel die Konstruktion und Bedeutung baulicher Schwellen unterliegen und wie sich Raumauffassungen damit verändern.

Mit Unterstützung von Siedle wurden die Ergebnisse in einem Symposium an der ETH Zürich wissenschaftlich diskutiert sowie als ARCH+ Ausgabe publiziert. Siedle verfolgt seitdem das Thema "Architektur der Schwelle" intensiv weiter und begleitete 2011 das Seminar „Schwellenräume“ an der Architektur-Fakultät der Bauhaus-Universität Weimar. In der Lehrveranstaltung setzen sich die Studenten mit Prozessen des Empfangens und Ankommens auseinander.

Die Lehrenden schreiben dazu:

Was geschieht, wenn wir ein Gebäude betreten oder verlassen? Was erlebt der Mensch dabei, welche Rolle spielt die Architektur, welchen Einfluss hat die Technik? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Studenten der Bauhaus-Universität Weimar in Kooperation mit Siedle. Die Ergebnisse präsentiert das nun vorliegende Buch „Schwellenräume“.

Im gleichnamigen Seminar an der Architektur-Fakultät der Bauhaus-Universität Weimar untersuchten 25 angehende Architekten komplexe Fragen zur Schwelle. Siedle initiierte die Veranstaltung, gab Einblick in die Entwicklung und Produktion von Systemen für die Gebäudekommunikation und setzte sich mit den Entwürfen auseinander. 

Die Schwelle von morgen

Auch ein Traditionsunternehmen wie Siedle lernt in einem solchen Prozess dazu: Werden Digitalisierung und Vernetzung die etablierten Verfahren auflösen? Wie entwickelt sich das Spannungsfeld zwischen stetig zunehmender Transparenz und dem wachsenden Bedürfnis nach Abschottung? Können Schwellenräume der Architektur vorgelagert werden, und muss es dann überhaupt noch punktuelle Technikinstallationen geben?  Nur wer eine Vorstellung davon hat, wie die Schwelle morgen aussieht, kann die richtige Technik dafür entwickeln. Natürlich setzt Siedle sich damit permanent auseinander, doch Studenten nähern sich dem Thema unbelastet von Machbarkeits- und Rentabilitätsschranken. Die nun vorliegende Dokumentation verdeutlicht die Vielfalt der Ansätze, mit denen das Thema Schwelle interpretiert werden kann. Wie Architektur, Mensch und Technik interagieren, wie ein Schwellenraum Bewegung in Gang setzt, Besucher leitet und zwischen verschiedenen Zonen vermittelt – solche Aspekte demonstrieren die Entwürfe auf sehr unterschiedliche Weise.

Jede Schwelle ist Kommunikation

Ein erstes Fazit ist: Jede Schwelle ist Kommunikation. Nicht erst durch eingebaute Technik, sondern durch ihre pure Existenz. Sie gibt vielfältige Signale, kann einladend sein oder abweisend. Sie öffnet sich und das Gebäude, oder sie verschließt es. Das alles tut sie, ob wir es wollen, planen und gestalten oder nicht. Das Gesetz, nach dem es unmöglich ist, nicht zu kommunizieren, gilt auch hier. Die Schwelle offenbart viel über das, was hinter ihr liegt. Wir tun gut daran, die Sprache, die ein Eingang spricht, bewusst zu wählen.

„Schwellen unterbrechen räumliche Grenzen für den Übergang aus einer Zone in eine andere. Schwellen öffnen Räume und organisieren Zugänge. Schwellenräume sind Übergangsräume, die als räumlicher Auftakt Funktionsräume erschließen. Meistens bilden sie eine räumliche Sequenz, die in der Bewegung wahrgenommen wird und von der Erwartung des folgenden räumlichen Ereignisses lebt. Schwellenräume übernehmen beim Empfangen und Ankommen wichtige Funktionen und leiten den Menschen im Dazwischen.“ Till Boettger, Lehrstuhl Entwerfen und Raumgestaltung, Fakultät Architektur, Bauhaus-Universität Weimar

Das Projekt ist im Buch „Schwellenräume“ dokumentiert, Sie finden Sie das Buch auch als pdf unter:
www.siedle.de/Schwellenraeume.pdf

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Das Seminar des Masterstudiengangs Architektur im Wintersemester 2011/12 war in zwei Teile gegliedert. Zuerst wurden grundsätzliche Fragen des Schwellenraumes geklärt. Dabei wurde analytisch und diagrammatisch gearbeitet, indem herausragende Beispiele der Architekturen des 20. Jahrhunderts gegenübergestellt wurden. Im zweiten Abschnitt des Seminars wurden durch die Erarbeitung eines kleinen Entwurfes verschiedenste architektonische Aspekte und neueste Zutrittskommunikationen im Schwellenraum neu hinterfragt. Folgende Themen wurden im Rahmen des Seminars detailliert bearbeitet:

Die ortlose Schwelle: Mobilität, Verknüpfung neuer Medien, Technologie: Privater Wohnungsbau

Der schwellenlose Übergang: Universal Design, transparente Materialität, technische Hilfsmittel: Öffentlicher Wohnungsbau, öffentliche Gebäude

Der inszenierte Ausgang: Verlassen, Licht, Automatisierung: Kino, Theater

Der intelligente Eingang: Komfort, Identifikation, Kontrolle: Wohnungsbau, Verwaltungsgebäude

Der entschleunigte Eingang: Antizipation, erzählender Wegraum, Langsamkeit: Museumsbau, privater Wohnungsbau

Die Kommunikation beim Übertreten: Wahrnehmung, Leitsysteme, Kommunikationstechnologie: Museumsbau, privater Wohnungsbau

Die unsichtbare Schwelle: Grenzenlosigkeit, Auflösung, versteckte Technologie: Öffentlicher Raum

Der kontrollierte Zugang: Sicherheit, Überblick, Videotechnik: Privater Wohnungsbau, Bürogebäude, Museumsbau

Folgende Bauten und Ensembles wurde hierfür analysiert: die Weissenhofsiedlung, die Altenwohnanlage in Zuffenhausen, die Stadtbibliothek Stuttgart, das Porschemuseum, das Kunstmuseum Stuttgart, die Neue Staatsgalerie und der Zugang zum Kölner Dom.

Ausgehend von den im einleitenden Text beschriebenen Themen, wie zum Beispiel „Die ortlose Schwelle“ oder „Der schwellenlose Übergang“, die jeweils im Kontext der Bautypologien betrachtet wurden, kann man bei den Entwürfen im Überblick schwerpunktmäßig drei Kategorien oder Strategien erkennen: Raumerlebnis, Technik und Prinzip

Geprägt durch den unterschiedlichen Blickwinkel wurden Übergangssituationen zwischen extremen Polen, wie zum Beispiel öffentlich und privat, Natur und Technik oder räumliche Weite und Enge, beleuchtet. Für einige Arbeiten war der Kontext einer Situation sehr wichtig, um überhaupt einen Zwischenzustand aufbauen zu können. So mussten sich einige Studierende zunächst zwei Welten definieren, um herausfinden zu können, wie sie diese verbinden wollten.

Raumerlebnis
Es wurde sich intensiv mit extremen Übergangssituationen auseinandergesetzt. Bei dieser Bearbeitung ging es um eine räumliche Sequenz, die eine als besonders zu erlebende Zwischensituation in einem starken Kontext zum Inhalt hatte. Wenn es zum Beispiel um das Trennen und Verbinden von Öffentlichem und Privatem ging, standen oft die Blickbeziehungen im Vordergrund, die jeweils die Antizipation des nächsten Raumerlebnisses ermöglichten.

Technik
Bei einigen Arbeiten unterstützten technische Apparaturen den räumlichen Übergang. Das bedeutet, ein Mechanismus verstärkte das Raumerlebnis und machte den räumlichen Übergang erst wahrnehmbar. Der technische Apparat im Schwellenraum ist inhärenter Bestandteil des Erlebnisses. Auch bei dieser Herangehensweise spielte der Kontext eine große Rolle, indem gut vorstellbare Situationen generiert wurden.

Prinzip
Ein weiterer möglicher Schwerpunkt war es, die räumliche Erfahrung im Schwellenraum als ein Prinzip darzustellen. D.h., der Kontext nahm eine weniger wichtige Rolle ein, um eine eher abstrakte Ebene zu erlangen. Bei dieser Auseinandersetzung konnten Regeln, Strukturen und Potentiale des Schwellenraumes erkannt, dann analysiert und präsentiert werden.