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Between Walls and Windows. Architektur und Ideologie

Die vom 01.09. bis 30.09.2012 stattfindende Ausstellung stellt die ehemalige Kongresshalle, in der sich heute das Haus der Kulturen der Welt befindet, als Gebäude in den Mittelpunkt.

Im Ausstellungszeitraum ist das architektonische Wahrzeichen als Großskulptur zu erleben, neu interpretiert durch künstlerische und architektonische Interventionen, die das ideologische Programm der Nachkriegsmoderne offenlegen. Bei freiem Eintritt und von allen Himmelsrichtungen zugänglich entstehen neue Sichtweisen auf Form, Funktion und Geschichte.

Between Walls and Windows. Architektur und Ideologie. Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, Berlin.
Haus der Kulturen der Welt. / Foto: Frank Paul

Die Kongresshalle im Tiergarten hat im Stadtbild ein Pendant: die Kongresshalle am Alexanderplatz. Diese Verdoppelung ist beispielhaft für das geteilte Berlin: Zwischen 1945 und 1989 entstehen im Ost- und Westteil der Stadt Staats-, Wohn- und Kulturbauten, in die die politischen Bauherrn ideologische Botschaften einschreiben. Die "Initiative Weltkulturerbe Doppeltes Berlin" hält diese gespiegelte Berliner Architekturen für einzigartig und startet während der Ausstellung "Between Walls and Windows. Architektur und Ideologie" die Kampagne zur Nominierung des „Doppelten Berlins“ für die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. 

Zum ausführlichen Rahmenprogramm gehören Vorträge und Diskussionen, Expertenführungen, ein experimenteller Audioguide sowie das Jugendprogramm „Gedankenräume“, in dessen Rahmen sich Schüler aus dem ehemaligen West- und Ostberlin mit Architektur und Geschichte ihres Schulgebäudes auseinandersetzen.

Es erscheint ein umfangreicher Katalog mit vielen Abbildungen beim Hatje Cantz Verlag.

Between Walls and Windows. Architektur und Ideologie
1. – 30.9.2012
Eröffnung: 1.9.2012, 16 h
Open every day & Free to the public
Mo – So, 10 – 19 h, Sa 8.9. und 15.9. 10 – 22 h
Eintritt frei
Informationen zum Rahmenprogramm:  www.hkw.de/wallsandwindows

 

Kurzbeschreibungen der Arbeiten

Tile Theatre
von Amateur Architecture Studio (Wang Shu & Lu Wenyu)
Wang Shu und Lu Wenyu üben konzeptionelle und philosophische Kritik an der globalisierten Architekturpraxis, dem Hochgeschwindigkeitsbauen in China. Jenseits weltweiter Trends verfolgen sie andere Ziele: In ihren Entwürfen greift das Architektenduo lokale Handwerkstraditionen auf und bringt sie in Einklang mit zeitgenössischem Design. Sie verwenden traditionelle Materialien wie Bambus, Holz oder Backstein und kombinieren sie mit scheinbar kontrastierenden Baustoffen wie Beton. Das Wort „Amateur“ im Namen ihres Studios steht für den Gegenentwurf zu einer Professionalität, die regionale Unterschiede und menschliche Bedürfnisse ignoriert und sich einem monolithischen Größenwahn verschrieben hat. Für ihr „Tile Theatre“ recyceln sie die rund 60.000 traditionell gefertigten chinesischen Dachziegel aus ihrer Arbeit für die 10. Architektur-Biennale in Venedig 2006 und schaffen damit eine begehbare Pavillonskulptur auf dem Dach des HKW.

This is Me, This is my Country
von Arno Brandlhuber
Anlässlich eines Besuchs Kim Il-Sungs in Indonesien 1965 überreichte der damalige indonesische Präsident Achmed Sukarno dem Staatsgast eine Orchidee. Es war nicht irgendeine Orchidee, sondern eine eigens hybridisierte Sorte, die er nach dem nordkoreanischen Präsidenten benannte: Kimilsungia. Die Kimilsungia ist bis heute Nationalblume Nordkoreas. Abbildungen der Orchidee sind in ganz Pjöngjang zu finden, oft in Begleitung einer roten Begonie, der Kimjongilia, benannt nach Kim Il-Sungs Sohn. Inzwischen greift die Tradition, Staatsoberhäuptern und politischen Würdenträgern eine Orchidee zu widmen, über Nordkorea hinaus. Neuzüchtungen lauten auf Namen wie „Dendrobium Angela Merkel“, „Maxillaria Gorbatschowii“ oder „Brassolaeliocattleya Margaret Thatcher“. In den Eingangsbereich des HKW pflanzt Arno Brandlhuber einen „Garten der Ideologien“.

Collapsing Structures: Talking Buildings
von Angela Ferreira 
Bei Ausbruch der Nelkenrevolution 1974 in Portugal stand das Hotel „4 Estações“ in Maputo, Mosambik, kurz vor der Fertigstellung. Die portugiesischen Kolonialherren wollten den Mosambikanern das Bauwerk nicht überlassen und versiegelten, bevor sie das Land verließen, so die Legende, sämtliche Rohrleitungen mit Beton. Nach 33 Jahren Leerstand wurde das nie vollendete Gebäude 2007 abgerissen, um der US-Botschaft Platz zu machen. Ferreiras multimediale Skulptur, die formale Anleihen bei der Architektur des HKW nimmt, überblendet Bilder vom Hotelabriss und vom Wiederaufbau der Kongresshalle nach dem Einsturz 1980. Sie folgt dabei den Spuren von Zerstörung und Wiederaufbau ideologisch motivierter Außenpolitik nicht nur in Afrika.

Baghdad Case Study
von Terence Gower 
Nirgends gehen Ideologie und Architektur so eng Hand in Hand wie in Botschaftsbauten. In den 1950ern, als der Irak für die USA ökonomische und strategische Interessen barg, wollte die amerikanische Architekturpolitik Transparenz und Dialogbereitschaft signalisieren, was sich im Botschaftsneubau in Bagdad 1957 widerspiegelte. 50 Jahre später – das Verhältnis beider Staaten hat sich grundlegend gewandelt – bezog die Botschaft ein neues Gebäude: Auch dieser „Superbunker“ reflektiert die politischen Beziehungen. Seine recherchebasierte Arbeit zur (architektonischen) Außenpolitik der USA präsentiert Gower in einem stilisierten 50er-Jahre-Interieur.

Initiative Weltkulturerbe Doppeltes Berlin
Das enge Verhältnis von Architektur und Ideologie manifestiert sich besonders deutlich in weltanschaulich geteilten Territorien. Am Beispiel Ost- und West-Berlins zwischen 1945 und 1989 lässt sich die Rolle von Architektur als Projektionsfläche für ideologische Botschaften ablesen. In beiden Teilen der Stadt entstanden symbolträchtige Staats-, Wohn- und Kulturbauten, vorhandene Gebäude wurden ideologisch auf Linie gebracht. Als Ergebnis dieses „architektonischen Wettrüstens“ lässt sich noch heute eine Dopplung von Bauwerken in Ost und West erkennen: zwei Kongresshallen, zwei Volksbühnen u.s.w. Die Initiative Weltkulturerbe Doppeltes Berlin hält diese spiegelbaren Architekturen für einzigartig und startet im September die Kampagne zur Nominierung des Doppelten Berlins für die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.

You Can Say Anything You Want For As Long As You Want
von Iñigo Manglano-Ovalle 
Architekt Hugh A. Stubbins sah in seiner Kongresshalle mit dem Auditorium als Herzstück die Verkörperung von Rede- und Meinungsfreiheit. Manglano-Ovalles Installation thematisiert den Einfluss akustischer und räumlicher Inszenierung auf die Wirkungsmacht des gesprochenen Worts. Auf der Bühne des Auditoriums steht ein jedem Besucher zugängliches Mikrofon inmitten des leeren Zuhörerraums. Doch statt zu verstärken, absorbiert es das Gesagte und sendet es unbearbeitet an ein Internetarchiv, das die Vielzahl der Stimmen sammelt und öffentlich hörbar werden lässt.

19 hours at the kiosk
von Markus Miessen 
Auf der Dachterrasse des HKW, dort, wo sich wie von einer Schiffsbrücke der Blick auf Reichstag und Kanzleramt, die architektonisch massiven Symbole politischer Macht, öffnet, errichtet Miessen einen informellen Versammlungsort. Rings um den Kiosk, der zur begehbaren Lesevitrine wird, entsteht ein „anderer Raum“ als Schauplatz für Lesungen, Konzerte und Gespräche, ein partizipatives Forum, in dem die „öffentliche Institution“ als solche auf ihre Funktionsweisen und Potenziale hin befragt und fortgeschrieben wird.

Crypt of the Congress Hall
von Marko Sančanin 
Nahezu überall auf der Welt sind öffentliche Einrichtungen dazu angehalten, architektonische Daten des sie beherbergenden Gebäudes zu archivieren. Sorgfältig gebundene Blaupausen und bauliche Berechnungen versichern die Stabilität des Materiellen. Doch nicht nur auf Wände, Säulen und Schrägen stützt sich ein Bau. Auch immaterielle Strukturen machen ein Gebäude zu dem, was es ist. Sančanin improvisiert eine „Krypta“ der Erinnerungen, der ausrangierten oder vergessenen Dinge zur ehemaligen Kongresshalle rings um eine erst kürzlich wiederentdeckte, alte Bauskizze der Dachkonstruktion auf einer verborgenen Wand des HKW. Dabei unterzieht er materielle wie immaterielle Strukturen einer kritischen Lektüre.

fm-scenario/where palms stand/mask/delay
von Eran Schaerf 
fm-scenario ist ein Projekt, dass die Verfasstheit der Massenmedien sowie ihre Raumproduktion im digitalen Zeitalter in den Blick nimmt. Das Projekt stellt im Internet (fm-scenario.net) ein Audioarchiv mit Höreranrufen, Features und Nachrichten zur Verfügung, aus dem Nutzer Erzählungen erstellen können. Eine solche Montage bildet das Skript für Schaerfs Installation im HKW. Angesiedelt in den Dolmetscherkabinen eines Konferenzraums der ehemaligen Kongresshalle, einer Architektur, die Übersetzungsprozesse spiegelt, verschwimmen die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion, Sender und Empfänger, Nutzer und Autor.

You Rate It! Neither poor, nor standard!
von Supersudaca 
Supersudaca spüren den diffusen Machtstrukturen des globalen Marktes in seinen konkreten Ausformungen weltweit nach. Ihre Arbeit für das HKW widmen sie den Säulenheiligen des Kapitalismus: Rating-Agenturen entscheiden über das Geschick ganzer Länder und die Lebensumstände der wirtschaftlich schwächsten Bevölkerungsschichten. In der Garderobe des HKW inszenieren Supersudaca eine Parodie auf die macht-architektonischen Mechanismen der Agenturen und schreiben einmal mehr soziale Gerechtigkeit auf ihre Fahnen.