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Lisbon Diaries: Montag, 15.11.2010

Die Sonne hell, der Himmel blau, die Luft kalt; Tau schimmert auf den Autodächern vor dem Haus. Doch die Sonne fängt schnell an zu wärmen, während ich durchs Bairro Alto zu den Terraços de Bragança am Hang zum Tejo flaniere.

 
 
 
 
 
 
 

Auf dem Weg sehe ich an jenem Hang ein eingeschossiges Haus, die Tür steht offen. Ich schiele herein, sehe einen großen Saal, fulminante Gemälde, einen Marmortisch zu Füßen der Treppe unter einem ausladenden Kronleuchter. Ein Handwerker steht am anderen Ende mit dem Rücken zu mir und verstellt den Blick in die tiefer liegenden Geschosse. Von draußen werde ich von einem einparkenden Autofahrer angesprochen. Ich frage, ob er hier wohnt und Kunstsammler sei. Er sagt "ja" und "nein, meine Eltern". Es folgt aber keine Einladung, so bleibt es bei dem flüchtigen Blick in eine üppige Welt.

Ich umkreise die Terraços de Bragança von Álvaro Siza Vieira  in der Hoffnung, von hinten mehr Einblick zu erhalten. Zur größeren Rua do Alecrim zeigt sich das Gebäude als straßenbegleitender Solitär mit Läden im Natursteinsockel und darüber liegenden Wohnetagen in monotoner Kachelverkleidung. Zur anderen Seite ist ein reiner Wohnriegel gesetzt, abgekoppelt an der Hangkante noch ein dritter Kubus, alles in sehr dezenten Kacheln – im Gegensatz zum additiven Muster der traditionellen portugiesischen Kacheln, das sich wie etwas Gewebtes über die Gebäude legt.

Noch bedauerlicher ist, dass alle Zugänge und Zwischenräume sorgfältig vergittert sind. Ich kann immerhin Pilotis erspähen beim Rückgebäude. Wieder zurück in der Alecrim steht eine Eingangstür – schlicht in Holz gehalten – unvermittelt offen. Nix wie rein. Vom Fluchttreppenhaus gibt es eine Tür zum Garten, sie lässt sich öffnen, formidabel. Jetzt sehe ich, dass die Pilotis in der Flucht der Fundament-Ruinen der 1988 abgebrannten Häuser stehen, eine elegante Referenz! Die Flure zu den Wohnungen sind kurz und sehr schlicht gehalten.

Mir kommt der Gedanke, dass ich von der Tiefgarage vielleicht noch in ein tiefer den Hang gelegenes Treppenhaus komme, der Lift fährt mich hin. Aber leider Fehlanzeige und das Gitter der Zufahrt ist geschlossen. Wieder im Aufzug reagiert dieser nicht auf meine Erdgeschoss-Wahl, die Türöffnung will leider auch nicht. Cleverer Einbruchschutz, dumm für mich. Also ausharren, bis jemand kommt. Nach fünf Minuten geht das Licht aus! Die mühsam in Zaum gehaltene Platzangst bricht sich Bahn. Nach weiteren fünf Minuten geht das Licht wieder an, die Tür öffnet sich und der Portier der Tiefgarage steht vor mir. Er entlässt mich durch das Gittertor und schaut mir noch lange skeptisch hinterher.

Dann die traurige Nachricht, dass der Kongress verschoben ist! Ein Nato-Gipfel ist an genau den selben Tagen in der Stadt, Obama wird zugegen sein, der Flughafen deshalb am Freitagvormittag gesperrt, die Gegendemonstration wahrscheinlich den öffentlichen Nahverkehr lahm legen. Keine Chance, die Referenten einzufliegen und zur Aula Magna zu befördern. Aber er wird nur verschoben auf den Januar, nicht abgesagt, also ein neuerlicher Grund, nach Lissabon zu reisen: Glück im Unglück!

Nach dem Mittagessen schnell zur Ausstellung ins Kulturzentrum Belem. Die Triennale findet ja erst zum zweiten Mal statt und sie haben kluge Konsequenzen aus der vorherigen gezogen. Nicht in den Sommermonaten, wenn alle Einheimischen an den Strand fliehen vor der flirrenden Hitze der Stadt. Nicht im Pavillon von Siza auf dem peripheren Expo-Gelände, das in einigen Artikeln schon als Ghetto bezeichnet wird, nicht der Armen, sondern der anderen, der Reichen, oder auch des Leerstands, weil jwd und teuer sich nicht gut verkauft. Nicht mit Eintritt, damit es so niederschwellig wie denkbar so viele Leute wie möglich erreicht. Und keine Selbstdarstellungsshow der Länder, sondern jede Ausstellung von einem ausgewählten Kuratoren-Team entwickelt.

Das Centro Cultural im Stadtteil Belém (CCB) liegt an geschichtsträchtigem Ort. Von hier brachen einst die Seefahrer zu ihren imperialistischen Reisen auf. Und der Ursprung des Gebäudes ist gar kein kultureller, sondern ein politischer: Das CCB wurde als Versammlungsort zur EU-Ratspräsidentschaft Portugals 1992 erbaut, und mit bereits vorher festgelegter Nachnutzung danach als Kultur- und Kongresszentrum 1993 eröffnet. Dementsprechend steht es auch ziemlich trutzburgig und autistisch in der Nachbarschaft des feingliedrigeren Mosteiro dos Jeronimos.

Die Räume des Museu Colecção Berardo liegen im nordwestlichen Flügel der Anlage auf mehreren Etagen. Die Ausstellung "Falemos de casas: Entre o Norte e o Sul” wird im Souterrain auf 3000 qm gezeigt. Seit langem ist der Saal mal nicht mit raumhohen Wände kleinparzelliert, sondern durch eine mäandernde Wandstruktur gegliedert. Öffnungen lassen Blickbezüge entstehen, ich kann manchmal von den Nordischen Länder durch Portugal bis zu Afrika/Brasilien blicken. Das sind die Hauptsektionen der Präsentation.

Als Prelude ist ein wichtiger Referenzpunkt von Delfim Sardo, dem Chef-Kurator, für "Let's talk about houses" gesetzt: Projekte von Peter und Alison Smithson, eines davon das "House of the Future" von 1955-66, eine neue, so noch nie gedachte Wohnform für neue Menschen als exemplarischer, so nie gebauter und bewohnter Prototyp (vgl. ARCH+ 198/199 Haus der Zukunft), und "Sugden House", 1956-66, ein nach den und für die Interessen der Bewohner gebautes Wohnhaus.

Der portugiesische Teil liegt an der verwinkelten Hauptachse, ist Trennung und Klammer zugleich. Die Projekte scheinen sehr sorgfältig ausgewählt, keines schreit, gibt an, drängt sich vor. Alle Fotografien sind speziell für die Ausstellung gemacht worden, der Fotograf André Cepeda hat nicht aufgeräumt und umdekoriert, sondern das Leben in den Häusern dokumentiert, so wie unlängst auch von Oliver Helbig für das erste ARCH+ features. Jedes Büro hat auf einem Tisch selbst den Bau erläutert, mal sachlich, mal sinnlich.

Obwohl bei Ferienhäusern mit Swimming-Pool immer sich die Klassenfrage aufdrängt, überzeugt die angerichtete Tafel von Pedro Reis durch schlichtes Landschaftsmodell neben Originalmaterialien und iPad hinter Pflanzenschale restlos. Eine Freude ist auch das dicke A2-Buch mit Zeichnungen bis zum 1:1.

Das zurückhaltendste Haus ist von Rui Mendes, eine asiatisch anmutende Innen-Außen-Raum-Folge, höchst sensibel. Wahrscheinlich deshalb haben sich Architekt und Bauherrin auch während der Projektphase ineinander verliebt.

Und dann, ach, welch alter Bekannter, die Terraços de Bragança. Ich erfahre, dass es Luxus-Wohnungen sein sollten, dass es eine öffentliche Durchwegung exakt an den die Frau Rüb hindernden Gittertoren geben sollte, dass traditionelle Materialien verwendet werden müssten, um eine Richtlinie für die weitere Stadtentwicklung zu setzen. Ich habe mich heute Morgen davon überzeugen können, dass diese Vorgaben anscheinend vom Konzept zur Realisation etwas verschlankten.

Bei den Nordischen Ländern gibt es viel, zu viel für die beschränkte Aufnahmefähigkeit des Ausstellungsbesuchers. Der oberflächliche Eindruck bleibt, dass dort entweder archaisch oder High-Tech gebaut wird, was dazwischen gibt es kaum. Die Präsentation von Fassadenprojekten als Picket-Fencing ist allerdings spannungsvoll gelöst.

Afrika/Brasilien wird eher kryptisch präsentiert, kein Wunder, es sind zarte Anfänge, kein Bericht vom Bestehenden. Der verschobene Kongress setzt genau hier an, das ist wunderbar, denn dass 1 Prozent der Architektur der industrialisierten Länder sehr gut ist, ist hinlänglich bekannt.

Davon morgen mehr. CR