TRAGWERKSTECHNISCHE METHODEN
Das Tragwerk des Forschungspavillons zeigt eine neuartige Form des sog. Strukturleichtbaus, dem ein völlig neuer Ansatz zur Materialeinsparung in der Tragstruktur zu Grunde liegt. Hier werden Biegespannungen nicht vermieden, sondern aktiv eingesetzt, um den extrem dünnen Sperrholzstreifen die notwendige Steifigkeit zu verleihen. Aufgrund dieser Biegevorspannung ist es möglich, ein extrem leichtes und gleichzeitig sehr steifes Tragwerk zu erzeugen. Diese Tragwerksform wird als "biegeaktiv" bezeichnet (vgl. Atlas Kunststoffe und Membranen, Kapitel Tragwerk und Form). Bei solchen Tragwerken wird Geometrie und Systemsteifigkeit durch elastisches Verformen der Tragelemente erzeugt. Nach diesem Grundprinzip der Formgebung durch Biegung entstanden auch Gitterschalen wie die Multihalle Mannheim, welche aus einem ebenen Stabgitter in eine doppelt gekrümmte Schalenform gebogen wurde. Der Vorteil biegeaktiver Tragwerke liegt in der Möglichkeit, komplex gekrümmte Formen aus einfachen geradlinigen oder ebenen Bauteilen zu erzeugen. Vorraussetzung für geringe Biegeradien bei ausreichender Resttragfähigkeit sind dünne Bauteildicken. Die notwendige Steifigkeit wird durch die Biegevorspannung und das Koppeln mehrerer Biegeelemente hergestellt.
Geeignet für biegeaktive Tragwerke sind Materialien mit hoher Bruchdehnung, d.h. hohe Tragfähigkeit bei relativ geringer Steifigkeit. Diese Eigenschaften sind besonders gut durch Faserverbundwerkstoffe wie GFK (Glasfaserverstärkter Kunststoff) oder Holz gegeben.
Tragstruktur
Die Tragstruktur des Pavillons ergibt sich durch das alternierende Koppeln von Zug- und Biegelementen zu einem in sich stabilen Bogenpaar. Durch die Aneinanderreihung und das Verbinden von 40 Bogenpaaren entsteht die Schalenform des Torus mit 10 m Außendurchmesser und einer Spannweite von 3,50 m. Die exakte Form der Biegelinien und deren Abhängigkeiten untereinander wurden hierbei sowohl experimentell als auch anhand von parametrischen digitalen Modellen ermittelt. Auf dieser rein geometrischen Grundlage wurde dann eine Methode zur numerischen Formfindung in einem Finite-Elemente-Programm entwickelt, mit Hilfe derer das System aus ebenen Streifen in seine finale Form gebogen wurde. Durch die Simulation des tatsächlichen Materialverhaltens unter allen vorgegebenen geometrischen und physikalischen Randbedingungen konnte das exakte Biege- und Tragverhalten der gekoppelten Streifen berechnet werden. Dieses statische Modell verifiziert dabei einerseits die geometrische Form unter Berücksichtigung der eingeprägten Biegespannungen und wurde andererseits zur Bemessung der Konstruktion unter Windlasten herangezogen.
Messreihen
Aufgrund des ausgeprägten Relaxationsverhaltens (Spannungsabbau unter konstanter Verformung) von Holz wurde zeitgleich mit dem Errichten des Pavillons ein Teststand in der Nähe aufgebaut, der bestückt wurde mit gebogenem Holzstreifen in drei verschiedenen Krümmungsradien. Wie im Pavillon verwendet, sind auch diese Streifen aus dem gleichem Holz und mit gleicher Lackierung. Sie werden in regelmäßigen Zeitabständen aus der Versuchsvorrichtung ausgebaut, um das Rückstellverhalten zu messen. Damit lässt sich eine Aussage über den Spannungsabbau im Pavillon treffen. Diese Daten sind Voraussetzung für eine realistische Verformungsberechnung mit dem Finite-Elemente Modell, welche als Vergleichsrechnungen dienen bei großmaßstäblichen Verformungstests des Pavillons.
Digitale Simulationsmodelle
Dieses entscheidende Materialverhalten der elastischen Biegung bildet die Grundlage für das computerbasierte Informationsmodell. Dafür wurde das Biegeverhalten des zur Verwendung kommenden Materials anhand einer Vielzahl physikalischer Tests empirisch untersucht und durch FEM Simulationen abgeglichen.
Geodätische Vermessung
Nach Fertigstellung wurde der Pavillon kontinuierlich vermessen und seine exakte Geometrie mittels Laserscanners erfasst. Mit dieser Technik konnten die aufgrund von Umwelteinflüssen auftretenden Materialveränderungen beobachtet und der damit verbundene Spannungsabbau in der Tragstruktur während verschiedener Phasen der Standzeit dokumentiert werden. Schlussendlich wird der Pavillon vor seinem Abbau noch Belastungstests unterzogen, die darüber Aufschluss geben werden, zu welchem Grad sich die Tragstruktur verformen lässt bzw. wie redundant die Struktur ist.
MODELLIERUNGSTECHNISCHE METHODEN
Die aus der FEM-Simulation gewonnen Daten bildeten die Grundlage für das computerbasierte Informationsmodell. Anders als in herkömmlichen digitalen Entwurfsprozessen war dieses zentrale digitale Informationsmodell keine geometrische Abbildung des intendierten Pavillons. Dies wäre auf Grund der komplexen Abhängigkeiten von Form, Struktur und Umwelt nicht möglich gewesen.
Informationsmodell
Das Informationsmodell war ein individuell programmiertes Computerscript (in RhinoScript®), welches dazu benutzt wurde, die im Laufe des Planungsprozesses benötigten Dateien zu erstellen. Der Inhalt dieser Dateien war streng von deren Verwendungszweck abhängig. Für Renderings und Designentscheidungen zum Beispiel musste ein dreidimensionales Geometriemodell erzeugt werden, wohingegen für den Zuschnitt auf dem Roboter ganz andere Anforderungen bestanden.
Durch den streng modularen Aufbau des Informationsmodells war es möglich, zu jeder Zeit während des extrem kurzen Entwurfsprozesses und trotz vieler Planungsbeteiligter ständig die Oberhand über die digitale Informationsflut zu behalten. Änderungen, seien sie bedingt durch Feedback des FEM-Modells oder durch sonstige Entscheidungen, wurden direkt im Code umgesetzt und wirkten sich somit augenblicklich auf den Stand aller übrigen Daten aus: Von der zweidimensionalen Zeichnung, über die herstellungsrelevanten und maschinenspezifischen Daten bis hin zum dreidimensionalen Modell.
Dieser innovative Ansatz im digitalen Data-Management im architektonischen Entwurfsprozess bedient sich moderner Softwarewerkzeuge, indem er diese um projektspezifische Funktionalität erweitert.
Geometriemodell
Als zentrales Evaluierungsmodell für Entscheidungsprozesse diente das digitale Geometriemodell. Es war sozusagen die dreidimensionale „Visualisierung“ des Informationsmodells und eine essentielle Schnittstelle, welche dabei half verschiedenste Entwurfsentscheidungen und Herstellungsfaktoren zu evaluieren.
Dieses Modell bezog seine geometrische Information aus dem Informationsmodell, in welchem die relevanten materialspezifischen Eigenschaften der Tragstruktur und viele weitere formbestimmende Parameter eingebettet waren.
Die wechselseitigen Abhängigkeiten von Geometrie, Material und externen Kräften wurden in zahlreichen physikalischen Messreihen erfasst und evaluiert. Der Fokus dieser Messreihen lag auf der Erfassung der Auslenkung elastisch verformter Holzstreifen unter externen (Druck-)Lasten.
Obwohl das zugehörige Geometriemodell formbestimmende Faktoren wie die auf den fertigen Bau wirkenden Eigen-, Verkehrs und Windlasten nicht berücksichtigte, ermöglichte es dennoch schon eine realitätsnahe Evaluation möglicher Entwürfe in Form von materialgetreuen, digitalen Machbarkeitsstudien. Dass diese einen zu jeder Zeit, insbesondere schon in den frühesten Entwurfsphasen vorhandenen, zentralen Bestandteil des Projektes darstellten, waren ein besonderes Anliegen und ein wichtiger Innovationsaspekt im digitalen Modellierungsverfahren. In „regulären“ Entwurfsprozessen, die sich CAD-Software bedienen, werden materialspezifische Eigenschaften oft erst durch aufwändige Simulationen erkannt und spielen in der Entwurfsphase eine untergeordnete Rolle. Diese Strategie wäre für eine solch extrem leichte Struktur, wie sie der Pavillon darstellt, nicht tragfähig gewesen.
Neben dem dreidimensionalen Geometriemodell konnten mit Hilfe des über 6400 Zeilen langen Codes des Informationsmodells alle relevanten Daten für die Berechnung in der FEM-Analyse-Software als auch die CNC-maschinenspezifischen Daten für die Herstellung generiert werden.
Die zentrale Rolle des Informationsmodells spiegelt sich in der zentralen Rolle des Entwerfers in solch einem computergestützten Entwurf wider: Die Potentiale und Möglichkeiten eigener Designentscheidungen können sich erst dann entfalten, wenn der Entwerfende in der Lage ist, relevante, formbestimmende Faktoren zu abstrahieren und in einem parametrischen Modell in gegenseitige Verbindung zu setzen. Durch das Erarbeiten dieser Abhängigkeiten positioniert sich der Architekt zentral im Wirkungsfeld aller Planungsbeteiligten, indem er es schafft, alle nötigen Informationen zusammenzutragen und seinen Entwurf nicht über die anderen hinweg, sondern mit Ihrer Hilfe zu gestalten.