0
ARCH+ news

IBA Hamburg: Workshop Smart Materials

Smart Materials / Smart Technologies – für eine nachhaltige und vernetzte Architektur //

Im Rahmen der IBA Hamburg (2006-2013) sind architektonische Pilotprojekte geplant, die unter Anwendung performativer Werkstoffe und intelligenter Technologien neue Maßstäbe für eine nachhaltige Architektur setzen sollen. Um das Thema für die Aufgabenstellung aufzubereiten, führt die IBA Hamburg in Zusammenarbeit mit der Architekturzeitschrift ARCH+ einen internationalen Fachworkshop durch, der dazu dient, den Stand der Technik durch Experten und Praktiker aufzuarbeiten. Die Ergebnisse haben wir in ARCH+ 198/199 Haus der Zukunft vorgestellt.

Dieser Workshop bildet die Grundlage für die inhaltliche Ausrichtung des anschließenden Wettbewerbs. Ziel des Verfahrens ist die Realisierung weltweit vorbildlicher Bauten für die Stadt des 21. Jahrhunderts im Themenfeld Smart Material und Smart Technologie, die dem hohen Niveau einer Internationalen Bauausstellung entsprechen.

Im Unterschied zu herkömmlichen Baustoffen, die sich im Sinne der Lastabtragung statisch verhalten, bezeichnet der Begriff Smart Material Materialien und Materialsysteme, die aufgrund ihrer Materialsynthese oder -beschaffenheit dynamisch auf sich verändernde Umweltbedingungen reagieren können. Ihre Wechseleigenschaften resultieren aus physikalischen und/oder chemischen Einflüssen, z.B. Änderungen von Temperatur, Druck oder Einstrahlung, oder aus der Einwirkung elektrischer oder auch magnetischer Felder. Im Sinne der Zielsetzung der IBA sollen solche Materialien im Fokus stehen, die Fragen der Nachhaltigkeit in die Performance des Baustoffs integrieren.

Jenseits der Materialebene gewinnen Smart Technologien für die ökologische Performanz der Gebäude, z.B. bei der Gebäudesteuerung, eine immer größere Bedeutung. Sie können sowohl auf der Ebene technischer Systeme als auch auf der Software-Ebene zum adaptiven Verhalten von Gebäuden beitragen. Smart Technologien können von der Weiterentwicklung herkömmlicher Haus- und Gebäudetechnik bis hin zu komplexen Regelsystemen von Stoff- und Energiekreisläufen reichen.

Die angestrebten Gebäude sollen sich durch den intelligenten Einsatz von funktionellen adaptiven Technologien, Materialien, Produkten und Konstruktionen ökologisch verhalten, indem sie auf Veränderungen ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Umgebung reagieren und sich auf diese einstellen. Durch den Einsatz von Smart Materials und Smart Technologien besteht die Möglichkeit zur Optimierung von Energie- und Materialströmen, da ein Großteil dieser Materialien und Produkte Energie und Materie mittelbar oder unmittelbar aus der Umgebung beziehen.

Um einen diskursiven Charakter zu bewahren, sieht der Workshop im Wechsel Einleitungsreferate, Impulsreferate, Praxisberichte, Respondentenbeiträge und Diskussionen vor.

•    Die Einleitungsreferate dienen der allgemeinen Begriffsdefinition und thematischen Eingrenzung, z.B. was sind Smart Materials bzw. Smart Technologies für die Architektur. Sie sollen darüber hinaus einen Überblick über den Stand der Materialforschung heute geben.

•    Die Impulsreferate sollen Perspektiven von für die Architektur relevanten Entwicklungen umreißen und über den Stand der Anwendung von Smart Materials in der Architektur informieren. Zum anderen sollen sie architektonische Perspektiven aufzeigen, um abschätzen zu können, in welche Richtung  sich die Architektur durch Anwendung der neuen Technologien entwickeln kann.

•    Ergänzt werden die Referate durch Praxisberichte, die realisierte Projekte in der Absicht vorstellen, aus den unterschiedlichen Erfahrungen von Architekten ein praktisches Zwischenergebnis zu ziehen.

•    Auf die einzelnen Vorträge sollen eingeladene Respondenten aus Forschungsinstitutionen und aus der Industrie antworten, um die Sichtweise der Forschung und der Hersteller einzubinden. Als Experten können sie hilfreiche Hinweise darüber geben, was heute realisierbar ist und welche Entwicklungen in der Materialforschung auf absehbare Zeit zu erwarten sind.

•    Hieran soll sich eine moderierte Diskussionsrunde anschließen, die aus architektonischer Sicht folgende Fragestellungen thematisiert:

1. Welche architektonischen Perspektiven werden durch die Smart Materials befördert?
Können die Smart Materials die Rolle einnehmen, die Baustoffe wie Beton, Stahl und Glas als Träger des Neuen Bauens hatten? Kann die neue Generation von Baustoffen ebenfalls zum Inbegriff und zur Basis einer „Kommenden Baukunst“ werden?

Zu diskutieren wäre somit die Frage, ob Smart Materials architektonisch wirksam werden wie das erste Komposit in der Geschichte des Neuen Bauens, der Stahlbeton, oder in ähnlicher Weise wie der Stahlbau. Das Prinzip der Materialsynthese oder -kombination wird heute auf eine Vielzahl unterschiedlichster Baustoffe anwendet. Dadurch entstehen neue Materialien mit einer gänzlich neuen Performanz, die nicht nur konstruktiv, sondern auch raumklimatisch und energetisch wirksam sind. Kann die schöpferische Anwendung dieser performativen Materialien neue räumliche Konfigurationen freisetzen, die aufzuspüren und weiterzudenken die Aufgabe einer jungen Generation von Architekten sein wird?

2. Welche räumlichen Perspektiven werden durch Smart Materials befördert?
Während die Moderne mit Glas, Stahl und Stahlbeton die adäquaten Mittel für den von ihr propagierten fließenden Raum fand, stellt sich heute die Frage, welches neue Raumparadigma die neuen Materialien eröffnen. Können die neuen Materialien zu Strategien führen, die adäquat zum Paradigma der Transparenz im Neuen Bauen die räumliche Überlagerung und die Durchdringung von Innen- und Außenraum erweitern – auch und gerade unter ökologischen Gesichtspunkten? Welche Art von Fortentwicklung des fließenden Raums deutet sich an, wenn die Durchdringung von Innen- und Außenraum um diejenige von realem und virtuellem Raum erweitert wird – beispielsweise durch Interfaces als „Zugängen“ zu virtuellen Räumen? Ist crossover zwischen den Medien die gesuchte Strategie, wobei zu den Medien nunmehr die Architektur und die elektronischen Medien zählen? Oder sind andere Strategien vorstellbar und wenn welche?

3. Welche wohnungspraktischen Perspektiven werden durch Smart Materials befördert?
Erfahren mit den neuen Materialien die Vorstellungen der Moderne zur Befreiung des Wohnens (von überkommenen Konventionen und Ordnungen) eine Renaissance, aber mit anderen Mitteln?

Das moderne Prinzip des fließenden Raums fand konstruktiv im freien Grundriss (plan libre) und räumlich im offenen Grundriss seinen Ausdruck. Die damit verbundene Hoffnung nach Befreiung des Wohnens von traditionellen sozialen und funktionalen Zuordnungen hat sich jedoch kaum erfüllt. Immer noch herrschen überkommene Wohn- und Nutzungsvorstellungen und mit ihnen das Prinzip der funktionalen Raumgliederung vor, wobei der Raum als ein System von in sich abgeschlossenen Teilräumen oder Nutzungen und nicht als ein zusammenhängendes Kontinuum betrachtet wird. Können die neuen Materialien heute die Forderung der Moderne nach Durchlässigkeit neu interpretieren und zum Durchbruch verhelfen? Durchlässigkeit im lebenspraktischen und nicht mehr im klassenkämpferischen Sinne, als eine Durchlässigkeit zwischen sozialen Rollen, zwischen den Generationen, zwischen Wohnen und Arbeiten, zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, und ökologisch gewendet zwischen Architektur und Umwelt. Le Corbusier träumte von „Membranen von beliebiger Stärke“, die eine absolute Freiheit ermöglichen. Können die neuen Materialien zu Strategien führen, die diesen Traum verwirklichen? Oder sind andere Strategien vorstellbar und wenn welche?

4. Welche ökologischen Perspektiven eröffnen Smart Materials und Smarte Technologien für die Architektur?
Während die ersten Versuche, ökologische Fragen in der Architektur zu verankern, eher von einem romantischen Bild bestimmt war, das mit der Rückkehr zur Natur, zu natürlichen Baustoffen und einer ablehnenden Haltung gegenüber technischen Ausrüstungen verbunden war, hat sich seitdem eine umfassende Technisierung des Ökohauses durchgesetzt. Die Verschiebung hin zur Effizienzsteigerung ist heute kaum noch ohne technische Hilfsmitteln denkbar. Zudem geht es heute nicht mehr allein um natürliche Baustoffe, sondern um eine pragmatische Bewertung von Lebenszyklen und um Stoffkreisläufe.

Über den Umweg der Nachhaltigkeitsdebatte ist die meist metaphorisch gemeinte Wendung der Moderne, dass Architektur als ein Organismus zu betrachten sei, heute Realität geworden. Das Haus als ein sich selbstregulierendes System ist heute Stand der Technik. Dieser komplexe Organismus ist ohne den Einsatz hochentwickelter Hard- und Software gar nicht mehr überlebensfähig. Während die erste spielerische Anwendung von Smarte Technologien in sogenannten Smart Homes eher eine Erleichterung des Alltags der Bewohner versprachen, wird die Technologie inzwischen in den Dienst der ökologischen Performanz des Gebäudes gestellt, beispielsweise zur Steigerung der Energieeffizienz oder zur adaptiven Steuerung des Gebäudes an sich verändernde Umweltbedingungen. Was ergibt sich aus der Tatsache, dass Architektur als Organismus begriffen werden muss? Welche Rolle haben Smarte Technologien für eine solche Architektur?

Die Diskussion soll in Thesen münden, die die Leitlinien für das auszuarbeitende Wettbewerbsprogramm bilden.

Die Frage nach der Architekturrelevanz ist Ausdruck der vorherrschenden Diskrepanz zwischen dem erreichten Stand der Materialforschung und dem technologischen Fortschritt und ihrer Umsetzung in Architektur. Denn es lassen sich erst wenige Anwendungsbeispiele von Smart Materials in der Architektur belegen. Umso mehr stellt der IBA-Wettbewerb Smart Materials/Smart Technologies eine einmalige Chance dar, die Forderungen nach Nachhaltigkeit in der Architektur durch eine neue Generation von Baustoffen zu  untermauern, die die Fragen der Nachhaltigkeit in die Performance von Baustoffen integriert und damit die Debatte um Nachhaltigkeit vom Kopf auf die Füße zu stellen vermag – auf ihre (smart) materielle Basis. Die Ergebnisse des Workshops haben wir in ARCH+ 198/199 Haus der Zukunft vorgestellt.