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Venice Diaries: Mittwoch, 25.8.2010

Aufwachen, weil der ganze rechte Unterarm schmerzt, die linke Hand hat alles verkratzt. Sind venezianische Mücken Autan-resistent?

Zum Morgenkaffee „Fleisch und Stein“ von Richard Sennett. Im Gegensatz zu John Ruskins „Steine von Venedig“ (siehe 23.8.) geht es Sennett bei der Betrachtung von Venedig nicht um die Rekonstruktion einer idealen Stadtgesellschaft. Sein Blick richtet sich auf das bauliche Be-, Aus- und Eingrenzen von Körpern auf die jüdischen Ghettos und das deutsche Fondaco dei Tedeschi.

Alle Deutschen mussten im 14. Jahrhundert in ein Haus ziehen, um steuerlich überwacht zu werden. Mit der Reformation waren sie nicht nur fiskalisch zu kontrollieren, sondern auch klerikal: Das Fondaco (die Fabrik), der große Komplex nahe der Rialto-Brücke, wurde 1505 gebaut, es wird gerne als Handelshaus der Deutschen bezeichnet, entstand aber durchaus als strategisches Mittel der Konzentration und Isolation. Lange war die Hauptpost drin, für jeden zugänglich, zukünftig wird es ein MegaStore, sicherlich mit den bekannten Ausschließungsmechanismen.

Die Ghettos wiederum brauchten keine Mauern, es waren die Inseln der ehemaligen Gießereien (daher der Name von gettare, gießen), mit Wasser und Zugbrücken wurden diese fremden Körper isoliert.

Dann ein kleiner Ausflug, aus der Türe raus und die Nachbartüre wieder rein. Tor ist passender, denn hinter der schmalen Schmuckfassade verbirgt sich ein Palazzo – in den Sesterie wurde es immer sozial gemischt gewohnt. Quadratischer Hof, groß, sonnendurchflutet. Das Gegenteil der engen, schattigen Gassen. Einer der unzähligen Grimanis ließ ihn bauen. Soll 7 € Eintritt kosten, Geiz siegt. Nur kurz die Treppe hoch, über die Marmorimitatmalerein staunen und im langen Querraum den Terrazzo bewundert. Eine Frau mit Walkie-Talkie nähert sich …

Um 12 Uhr am Löwen auf San Marco verabredet. Früher war der Löwe für mich mit Sissi und den Tauben verknüpft. Die Piazza ist und war eine Bühne. Einst schritt der Doge die Galerie zur Urteilsverkündung ab, hielt er zwischen den beiden einzigen rötlichen Säulen, war die Hinrichtung verkündet. Sissi wurde im Film auf dem roten Teppich verschmäht, und erst bejubelt, als sie ihren Sohn ohne Kontenance heulend umarmte. Heute ist es Bühne und Bühnenbild natürlich für die knipsenden Touristenmassen. Entzückend, dass sich die geführten Gruppen immer schön in den Schlagschatten der Säule reihen.

Dann fix ein letztes Mal für die nächsten Tage an den Lido, das wird im Biennale-Auftrieb bestimmt zu kurz kommen. Die Architektendichte hat sich bereits merklich erhöht.

Abends zu einem sogenannten Colleteral Event, zum Istituata Swizzero, Ausstellung und Book Release von einem ETH-Projekt von Christ und Gantenbein, „Hong Kong in Zürich“. Die Ausstellung ist übergelayoutet, der Inhalt eine „ephemere“, weil nicht dauerhaft im Katalog dokumentierte Projektion von 20 Hong-Kong-Typlogien in den Zürcher Stadtraum. Die beiden Städte haben so ziemlich keine Gemeinsamkeiten, die Implantationen erscheinen oft mutwillig. Aber einige Inszenierungen mit schlanken Wohn- oder Geschäftstürmen in der Innenstadt überzeugen, auch die Wohnscheibe mit großen grünen Balkons statt dem Schrebergarten. Mehr kuratorischer Mut ist ihnen zu wünschen.