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Fotografie: © Jan Sobottka, www.catonbed.de, 2020
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Zum Tod von Klaus Heinrich (1927–2020)

Am Montag, den 23.11.2020, ist Klaus Heinrich 93-jährig in Berlin gestorben. Wer jemals das Privileg hatte, ihn persönlich zu erleben, kann den großen Verlust ermessen, dass ein Mensch, der durch das Wort lebte und lehrte, nun verstummt ist.

Klaus Heinrich war ein Charismatiker. Seine umfassende Bildung und seine Gabe, die Dinge in kulturhistorischen Zusammenhängen zu balancieren – ein von ihm häufig benutzter Begriff, der neben vielen anderen Konnotationen für mich auch perfekt den schwebenden Zustand seines Denkens als Aktivität zum Ausdruck bringt – haben Generationen von Studierenden in den Bann gezogen. Er gewann die Menschen jedoch auch durch seine einnehmende Art, seine Verschmitztheit, seine bis ins hohe Alter immer wieder aufblitzende Schalkhaftigkeit.

Als ARCH+ Klaus Heinrichs Vorlesungen zu Karl Friedrich Schinkel und Albert Speer als Teil seiner Dahlemer Vorlesungen herausbrachte, hat er mich als viel Jüngeren mit Großmut und offenen Armen in seine Welt aufgenommen. Er und seine Frau Renate Heinrich luden mich immer wieder zu ihrem Lieblingsitaliener ein. Überhaupt war Italien sein, ihr Sehnsuchtsland. Jahrzehnte lang verbrachten beide ihre Sommerferien dort. Und seitdem Klaus Heinrich als junger Mann Rom kennenlernte, hat die Stadt ihn nie wieder losgelassen. Rom lieferte ihm zentrale Topoi seines Denkens, etwa den der Substruktion. In den römischen Substruktionen, die zeithistorische und kulturelle Schichten buchstäblich überbauten, eingruben, verdrängten, erkannte er „das räumliche Sichtbarwerden der gattungsgeschichtlichen Fundamente einer gleichsam archäologisierenden Architektur“.

Als jemand, der als Jugendlicher nur knapp der NS-Mordmaschinerie entkam, widmete er sich zeit seines Lebens einer Frage: „Wie können wir uns vor dem bewahren, was an Selbstzerstörungsmechanismen in uns schlummert? Die Gefahr ist keineswegs gebannt, denn heute ist vieles, was wir tun, selbstzerstörerisch. Die Frage lautet: Wie können wir uns gegen Selbstzerstörung wehren? Gerade auch mit der Architektur.“

Die Gefahr der Selbstzerstörung, das Problem der Verdrängung, die Selbstaufklärung als Geschichtsutopie – das waren Klaus Heinrichs Themen: „Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass es mir um Aufklärung ging. Denn nur eine selbstaufgeklärte Menschengesellschaft hat die Chance, weiterzuleben.“ In diesem selbstaufklärerischen Geiste werden wir seine Piranesi-Vorlesungen, die wir aus mangelnden Ressourcen bisher nicht angehen konnten, nun in Angriff nehmen. Denn seine Auseinandersetzung mit Architektur bleibt einzigartig.

Auf die Frage, welche Rolle Architektur heute habe, antwortete Klaus Heinrich in dem einführenden Gespräch zu den Schinkel-Speer-Vorlesungen, aus dem auch die anderen Zitate stammen: „Eine ganz simple: Sie hat uns wieder auf die Widerständigkeit von Raum und Zeit zu stoßen – geradezu. Eine Architektur, die uns das nicht gestattet, sondern versucht, das Räumliche gleichgültig zu machen und das Zeitliche in einen einzigen Zustand zu verwandeln, verdient nicht den Namen ‚Architektur‘. Denn Architektur ist ohne eine Utopie der Verleiblichung, die sich gegen Selbstzerstörung wendet, gar nicht denkbar. Das, würde ich denken, ist eigentlich der Witz und die Aufgabe der Architektur von heute.“

Ein aktueller Gedanke in diesen Zeiten.
Anh-Linh Ngo


Klaus Heinrichs Dahlemer Vorlesungen – Karl Friedrich Schinkel / Albert Speer sind vergriffen. Aus aktuellem Anlass bieten wir die streng gehüteten letzten 50 Exemplare aus unserem Archiv an. Schreiben Sie dafür an vertrieb(at)archplus.net, Betreff: Klaus Heinrich. Solange der Vorrat reicht. Wir arbeiten an einer Neuauflage.