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ARCH+ news

Vorfertigungseuphorie im Kalten Krieg

Text von Juliana Kei

Online-Beitrag zu ARCH+ 233: Norm-Architektur – Von Durand zu BIM

2017 richtete das Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen der Universität Kassel im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt a. M. das Symposium Norm-Architektur – Von Durand zu BIM aus, auf dessen Basis 2018 die gleichnamige ARCH+ 233 erschien. Eine Auswahl von zusätzlichen Konferenzbeiträgen veröffentlichen wir nun erstmals online.

Die Mächte des Kalten Krieges instrumentalisierten standardisierte Architektur für Aggression und Abwehr. Ziel war es, die in ihrer Bedeutung zurückgehende Bewegung der Moderne anzugreifen, Architekt*innen gegen eine autoritäre Politik zu verteidigen und eine neue Nische in der Architektur zu schaffen. Eine Analyse des sechsten World Congress of Architects der International Union of Architects (UIA) 1961 in London beleuchtet die starke Verflechtung der Diskussionen über eine standardisierte Architektur und das Berufsbild des Architekten.[1]

Anfang der 1960er-Jahre war Architektur bereits auf vielen Bühnen des Kalten Krieges vertreten. Richard Nixon und Nikita Chruschtschow hatten 1959 mit ihrer sogenannten Küchendebatte über Vor- und Nachteile von Kapitalismus und Kommunismus, die sie im Rahmen der US-amerikanischen Nationalausstellung in Moskau vor der Küche des scherzhaft „Splitnik“ getauften vorgefertigten amerikanischen Hauses führten, die Architektur vollends ins Rampenlicht gerückt. Auch die UIA-Kongresse der ausgehenden 1950er-Jahre und der frühen 1960er-Jahre galten als entscheidende Ereignisse, die die Architektur als krisenhaften Schauplatz ideologischer Kämpfe des Kalten Krieges exponierten. Bei den Kongressen 1958 in Moskau und 1963 in Havanna und Mexiko-Stadt konnten Architektendelegationen aus dem Westen persönliche Gespräche mit geopolitischen Giganten wie Nikita Chruschtschow, Che Guevara und Fidel Castro führen. Für die UIA war der Kongress 1958 ein besonders triumphaler Moment, weil dort der Standard für eine neue Generation von sowjetischen Wohnblocks formuliert wurde. Architekten aus dem Westen erhielten sogar die Gelegenheit, für ihre sowjetischen Kollegen das Wort zu ergreifen; sie drängten Chruschtschow, diese nicht für die Fehler des stalinistischen Monumentalismus verantwortlich zu machen.

Im Vergleich zu den Turbulenzen während dieser Veranstaltungen war der UIA-Kongress 1961 in London eine vordergründig zahme Veranstaltung inmitten des Kalten Krieges. Er wurde eher als Fortsetzung des Kongresses von 1958 denn als eigenständige Veranstaltung konzipiert; eigentliche Absicht war es, die internationalen Fortschritte auf dem Gebiet der Vorfertigungstechnologie zu feiern und dabei die nach Stalins Tod in der UdSSR vollzogene Offensive zur standardisierten Massenproduktion in hohen Tönen zu loben.[2] Nicht anwesend bei dieser „Architekturdiplomatie“ des Kalten Krieges, die Teilnehmende aus über 40 Ländern anzog, war eine offizielle Delegation aus den Vereinigten Staaten.[3] US-Amerikaner, die an dem dreitägigen Kongress teilnahmen, taten dies auf eigene Rechnung und repräsentierten keine gemeinsame Haltung der amerikanischen Architekt*innen. Dies galt insbesondere für den Historiker der modernen Architektur Henry Russel Hitchcock, einen der Hauptredner. Der Kongress hätte dem Anspruch seines Titels „Neue Techniken und neue Materialien“ in den 1960er-Jahren ohne die Teilnahme von Richard Buckminster Fuller nicht gerecht werden können. Auch wurden einige US-amerikanische Gebäude in der Ausstellung des Kongresses präsentiert. Die Debatte um standardisierte Architektur konzentrierte man daher zweckmäßig auf den Bau mehrgeschossiger Gebäude mit Betonfertigteilen. Das gemeinsame Interesse an standardisiertem Massenwohnungsbau für den Wiederaufbau nach dem Krieg sowohl in den Sowjetstaaten als auch in Europa spiegelte sich auch in dem Ausstellungskatalog wider – große Wohnanlagen nahmen über ein Sechstel der Exponate ein und wurden prominent in den Podiumsdiskussionen thematisiert.[4]

 

Umstrittene Moderne

Vorfertigung schuf zwar gewissermaßen eine Brücke der Verständigung zwischen den sich bekriegenden Mächten, aber die ideologischen Grabenkämpfe dauerten an. Während die Architekten aus dem Ostblock bestrebt waren, sich von ihren früheren stilistischen Missgriffen zu distanzieren, fühlten sich ihre Kollegen aus dem Westen nicht mehr den Grundsätzen der Moderne verpflichtet. Im Plenum wurde aus dieser Bewertung früherer Experimente ein Frontalangriff auf den International Style, der als die Hauptausdrucksform der Moderne in der Architektur betrachtet wurde. Der erste Vortrag auf dem Kongress von Henry Russell Hitchcock mit dem Titel „A General Survey of Architectural Changes Caused by the Emergence of New Techniques and Materials“ (Überblick der Veränderungen in der Architektur durch das Aufkommen neuer Techniken und Materialien) fand nur wenig Anklang. Hitchcock schlug einen weiten Bogen durch die Architekturgeschichte und behauptete, die Technik der Vorfertigung seit ihrer Entstehung in den 1850er-Jahren in Großbritannien sei und bliebe „insgesamt nur eine Randerscheinung der weltweiten Bauindustrie“.[5] Für ihn würden die Entwicklungen in der industriellen Architektur nicht die mechanische Ästhetik der Moderne ersetzen. Folglich gebe es zwar Raum für die Entwicklung von Vorfertigung einzelner Teile wie Vorhangwände, aber seien die soziologischen und stadtplanerischen Ergebnisse einer weitreichenden Akzeptanz solcher (in der Fabrik produzierten) Wohneinheiten einfach so schrecklich, dass man sie sich gar nicht ausmalen möge.[6]

Hitchcock erntete für seinen Vortrag lautstarken Protest von beiden Parteien des Kalten Krieges. Delegierte aus der Tschechoslowakei, Ostdeutschland und der UdSSR lehnten Hitchcocks Argumentation rundweg ab. Ihrer Ansicht nach würden die positiven und unumkehrbaren Ergebnisse der modernen technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen nicht von der Architektur des International Style, sondern von der Massenproduktion und der Industrialisierung der Architektur erfasst. Die französischen und jugoslawischen Delegierten wiesen Hitchcocks Beurteilung zurück und gaben sich zuversichtlich, dass das Streben nach Humanismus, das ihrer Meinung nach seinen Ausdruck in der Vorfertigung fand, schließlich obsiegen werde. Ernst Neufert, der Westdeutschland repräsentierte, tat Hitchcocks Analyse als dubios und irrelevant ab und nannte ihn „einen außenstehenden Denker – einen Kunsthistoriker“[7]. Nach Hitchcocks Vortrag sah keiner der Kongressteilnehmer mehr die Architektur des International Style, die seit den Jahren zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg als die tragende Säule der westlichen Architektur galt, als Motor für die Entwicklung in der Architektur an. Das Formulieren einer neuen Vision für die Architektur wurde zur vorrangigen Aufgabe.

Diese leidenschaftliche Ablehnung der Architektur des International Style war gewissermaßen bereits in den baulichen Strukturen des UIA Kongresses angelegt. Die Veranstaltungen 1961 fanden in zwei speziell dafür errichteten temporären Bauten statt, im kleineren wurde die Ausstellung präsentiert und im anderen fanden die Treffen und Vorträge statt. Beide Baustrukturen waren von dem in Großbritannien lebenden britisch-südafrikanischen Architekten Theo Crosby entworfen worden. Er war der Herausgeber der Zeitschrift Architectural Design und ein enger Verbündeter der Independent Group. Mit seinen beiden Kongressgebäuden wollte er zwei unterschiedliche Ansätze demonstrieren, wie standardisierte Bauteile integriert werden können. Das Ausstellungsgebäude wurde aus leicht verfügbaren Elementen von der Stange gebaut, etwa Gerüstbretter und Dachblech, die nach dem Kongress für andere Zwecke weiterverwendet werden konnten. Das andere, größere Gebäude dagegen war aus speziell dafür angefertigten, in Massenproduktion hergestellten Teilen gebaut, die Crosby zusammen mit dem Ingenieur Frank Newby und der British Aluminium Company entwickelt hatte. Sie hatten ein skulpturales, aus kleinen, nebeneinander aufgereihten Pyramiden vorgefertigtes Dach entworfen, das nicht nur ansprechend aussah, sondern auch einen durch Streulicht hellen Innenraum entstehen ließ. Crosby hob die Flexibilität und die vielfältigen Ausdrucksformen hervor, die mit kundenspezifischen, standardisierten Bauelementen möglich seien. In Crosbys Entwurf, im Ineinandergreifen von Gestaltung und Konstruktion, schwang eine Kritik an den immer gleichen modernen Gebäudeblocks mit, die zu dieser Zeit noch immer in ganz Großbritannien und Europa verbreitet waren. Die Kongressgebäude und hunderte, im Katalog von Crosby präsentierten Beispiele, sowohl alte wie neue, im Osten wie auch im Westen, innerhalb als auch außerhalb des Lagers der Moderne, führten vor Augen, dass der „zur Routine gewordene Funktionalismus“ keinesfalls der einzige Stil sei, der Rationalität bei Materialeinsatz, Bau und Raumgestaltung beweise.

 

Stil der Wahrheit

Nach der Verurteilung früherer stilistischer Verfehlungen verbreitete sich mit dem Vortrag des zweiten Hauptredners großer Optimismus gegenüber Vorfertigungstechnologien; gehalten wurde er von dem italienischen Bauingenieur und Architekten Pier Luigi Nervi. Er präsentierte die Vorfertigung als „den Bauprozess, der die vielfältigsten konstruktiven und gestalterischen Möglichkeiten bietet“[8]. Für Nervi ermöglichten die standardisierten Prozesse es der Architektur, einen „Stil der Wahrheit“ zu erreichen – einen Punkt, an dem die Leistungsfähigkeit von Material und Konstruktion maximale Ästhetik und wirtschaftlichen Nutzen erreichen.[9] Die Vorfertigungstechnologie solle als eine wissenschaftlich anerkannte Wahrheit betrachtet werden, und daher sollten ihre Stärken und Beschränkungen als wesensimmanent begriffen werden. Bei Nervis Begriff von Wahrheit war zentral, dass er auch Grenzen der Leistungsfähigkeit von vorgefertigten Gebäuden einräumte. Dieser Wahrheitsbegriff wurde von den Kongressteilnehmenden sogleich begierig aufgenommen, um die Diskussion in Richtung der sozio-ökonomischen Bedingungen für architektonische Produktion umzuleiten. Der Vertreter aus der Tschechoslowakei vertrat beispielsweise die Ansicht, standardisierte Gebäude könnten ihr wahres Potenzial nur dann maximal ausschöpfen, wenn sie im optimalen sozio-ökonomischen Umfeld errichtet und genutzt würden. So sagte er, „ein Beweis dafür ist die unterschiedliche Entwicklung der Industrialisierung von in Massenfertigung hergestellten Gebäuden in Ländern mit einem sozialistischen und einem kapitalistischen Wirtschaftssystem. Die wirtschaftlichen Faktoren sollten jedoch nicht allein auf die Betrachtung der maximalen Erträge reduziert werden, sondern vor allem in Bezug zu dem Maximum an gesellschaftlich-sozialem Nutzen gesetzt werden.“[10] Dieser Beitrag fand große Unterstützung bei den Delegierten der UdSSR, für die „Wahrheit“ in der Architektur nicht nur in den „Baumaterialien, Konstruktionen und Produktionsmethoden“ liege, sondern auch in den „funktionalen Anforderungen und in den Ideen, durch die eine Gesellschaft lebt“.[11] Die wahre Stärke von Massenproduktion könne nur in einer Gesellschaft mit einer starken Industriekultur realisiert werden: in einer sozialistischen Gesellschaft.

Bei Nervis Vortrag drehte sich die Diskussion nicht mehr um die Frage, welchen Nutzen eine standardisierte Architektur bringen könne, sondern darum, wie eine standardisierte Architektur genutzt werden solle. Die gesellschaftliche Rolle und Implikationen standardisierter Architektur erlangten noch größere Bedeutung in dem Beitrag des letzten Hauptredners, dem polnischen Architekten Jerzy Hryniewiecki, der erklärte: „Standardisierung und Einheitlichkeit sind nicht nur Produkte einer ökonomischen Notwendigkeit. Sie entstanden auch, weil es eine allgemeine Tendenz dazu gibt, Gleichheit und Gerechtigkeit in den Alltag zu bringen, sie allgemein für alle einzuführen.“[12] Der moderne Mensch, so Hryniewiecki, sehne sich nach „Universalität, Übertragbarkeit, Unabhängigkeit“[13]. Zu diesem klaren Bekenntnis zu den gesellschaftlichen Implikationen von standardisierter Architektur gab es nur wenig Widerspruch, und der Gedanke wurde auch im Abschlussbericht von J. M. Richards, Generalberichterstatter des Kongresses, aufgegriffen. Richards, der zuvor einer der stärksten Verfechter der Moderne in Großbritannien gewesen war, drängte auf einen radikal neuen Blick auf die Verantwortung des Architekten. Standardisierung könne die Architektur von falschen „ästhetischen Vorsatz“ befreien und so die Architekten davor bewahren, frühere stilistische Fehler zu wiederholen: „Aber wir haben gelernt, dass der ästhetische Vorsatz abgekoppelt vom Bauprogramm für Mensch und Wirtschaft nichts erreichen kann. Ein Grund, warum ich glaube, dass wir Ermutigung aus unseren Diskussionen ziehen können, ist, dass wir bescheiden genug sind, uns weniger auf die Schaffung großartiger Architektur zu konzentrieren als auf Bedingungen, unter denen großartige Architektur möglich ist.“[14]

Richards’ Aufruf nach einer Abkehr vom künstlerischen Vorsatz implizierte ungewollt ein Untergraben der Rolle des Architekten bei der Berücksichtigung gesellschaftlicher Funktionen von Gebäuden. Am Ende des dreitägigen Kongresses einigte sich diese Gruppe, ironischerweise alles Architekten, dieser Profession die ihr lange zugesprochene soziale  und politische Verantwortung abzunehmen.

Angesichts der überwältigenden Einigkeit zur  Förderung von Standardisierung und industrieller Produktion von Architektur bemühten sich die jüngeren auf der Konferenz anwesenden Architekten polemisch ihre Position als Vorhut der Bewegung zu behaupten. Crosby, der Architekt der Kongresspavillons, verklärte den Optimismus in Bezug auf Standardisierung und Massenproduktion zur Forderung nach einer industriegetriebenen Architektur und ökonomischer Freiheit. In seinem Kongressbericht, der in der Zeitschrift Architectural Design veröffentlicht wurde, schrieb er: „Der Hersteller ist der neue Patron. Er steht jetzt am Ursprung der Bauindustrie. Er muss immer größere Mengen an Standardmaterialien herstellen, und seine Verantwortung für die Umwelt, die diese Materialien zwangsläufig erschaffen, wird immer größer. Er trifft jetzt die ästhetischen wie auch die technischen und ökonomischen Entscheidungen.“[15]

Mit der Krönung des Herstellers zum „Ursprung der Bauindustrie“ entfaltet Crosby eine radikale Umstrukturierung des gesamten Architekturfeldes, in dem das Gebäude seine Unabhängigkeit vom Architekten erlangt und sich selbst an die Kräfte der Marktwirtschaft bindet. Diese Anekdote könnte als Entgegnung auf den Versuch der sowjetischen Architekten gelesen werden, einen Überlegenheitsanspruch ihrer gesellschaftlichen Struktur und damit auch ihrer Architektur zu behaupten. Sie kann ebenso als Vorgriff auf die Wende der 1970er-Jahre hin zu einer freien Wirtschaft gesehen werden. Auf jeden Fall zeigte sich darin eine entschiedene Ablehnung der historischen Rolle des Architekten als „Herr des Raumes“. Crosby verkündet in seiner Rede, die drei großen Variablen moderner Räume „Territorium, Kommunikation und Geschwindigkeit“ [16] – um mit den Worten Michel Foucaults zu sprechen – seien nicht länger in der Hand der Architekten. An ihre Stelle würden nun Hersteller, Markt und Standardisierung treten.

Bemerkenswert am UIA-Kongress von 1961 ist, dass die Architekten nicht bloß Opfer waren, die ungewollt in die Situation gerieten, den Ansatz des Staates oder des Marktes unterstützen zu müssen. Ihnen kam, so wurde es dargestellt, durchaus eine aktive Rolle zu. Um die Fehler des vorangegangenen Jahrzehnts zu vermeiden, gaben Architekten sowohl aus dem Westen wie aus dem Osten zumeist freiwillig ihre Verantwortung als „Herren des Raumes“ auf. Inmitten der instabilen Lage des Kalten Krieges glaubten Architekten nicht mehr an ihre Fähigkeit, eine architektonische Vision als Antwort auf die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen hervorbringen zu können und scharten sich um die Idee von der Standardisierung wie um eine letzte Zuflucht.

Diese Selbstreflexion und der darauf beim UIA-Kongress formulierte Rückzug waren durchaus zweischneidig für die Architektur. Einerseits waren sie Indiz dafür, dass Architekt*innen aus der westlichen Welt begannen, ihren früheren Top-down-Ansatz bei Nachkriegsplanung und –bau neu zu bewerten. Andererseits war auch ein tief sitzender Pessimismus bei den Architekten aus Europa und den Sowjetstaaten zu spüren – sie glaubten nicht mehr, dass Architekten die Rahmenbedingungen und die Qualität der Gebäude, die sie produzieren, kontrollieren könnten. Im Zeitalter einer von Technologien geprägten Architektur blieb dem Architekten nur noch die Rolle des Mediators, der zwischen den verschiedenen Interessengruppen bei der Produktion von Gebäuden vermittelt. Indem sie der standardisierten Architektur als „Stil der Wahrheit“ huldigten, enthoben sie die Architektur der eigenen Domäne.

Auch 50 Jahre nach dem sechsten UIA-Kongress hält dieses Spannungsverhältnis zwischen der Rolle der Architekten, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und der standardisierten Architektur an. Immer wieder musste Standardisierung beim Bauen als Sündenbock herhalten. Sie muss, vielleicht mehr als jeder andere Baustil, die Schuld für zahlreiche soziale, ethnische, ökonomische und ökologische Ungerechtigkeiten auf sich nehmen. Der Kongress von 1961 war nur eines von vielen Ereignissen in der jüngeren Vergangenheit, die die Machtverhältnisse zwischen den Beteiligten, die zu den bestehenden Ansichten zur Standardisierung in der Architektur geführt haben, deutlich machen. Um diese jüngste, belastete Geschichte der standardisierten Architektur neu untersuchen zu können, lohnt es sich noch immer zu fragen, was und wie es beim Kongress 1961 heraufbeschworen wurde. Wichtiger noch als die Frage, was der „Stil der Wahrheit“ ist, ist die, wie er auszugestalten und zu interpretieren ist. Statt nach der Rolle des Architekten zu fragen, könnte es um die Frage gehen, wie die Rolle des Architekten in Bezug zu standardisierter Architektur formuliert werden kann.

 

 

[1] Der Aufsatz basiert neben der in den Fußnoten genannten Literatur auf folgenden Quellen: Greg Castillo: Cold War on the Home Front: The Soft Power of Midcentury Design, Minneapolis MN 2010; Theo Crosby: „International Union of Architects Congress Building, South Bank, London“, in: Architectural Design 31, Nr.11 (Nov.1961), S. 484–509

[2] Miles Glendinning: „Cold-war Conciliation: International Architectural Congress in the late 1950s and early 1960s“, in: The Journal of Architecture 14, Nr. 2 (Apr. 2009), S. 201

[3] Ebd.

[4] Theo Crosby: Architecture of Technology, London 1961

[5] Henry Russell Hitchcock: „A General Survey of Architectural Changes Caused by the Emergence of New Techniques and Materials“, in: Ralph P. Andrew, Anthony E. Brooks (Hg.): Final Report of the Sixth Congress of the International Union of Architects, London 1961, S. 5

[6] Ebd.

[7] Ernst Neufert: „Comments by National Sections- West Germany“, in: Final Report 1961 (wie Anm. 5), S. 22

[8] Pier Luigi Nervi: „The Influence of Reinforced Concrete and Technical and Scientific Progress on the Architecture of Today and Tomorrow“, in: Final Report 1961 (wie Anm. 5), S. 57

[9] Ebd., S. 61

[10] „Comments by National Sections – Czeschoslovakia“, in: Final Report 1961 (wie Anm. 5), S. 65

[11] Ebd., S. 73

[12] Jerzy Hryniewiecki: „The Effect of Industrialisation on Architecture“, in: Final Report 1961 (wie Anm. 5), S. 108

[13] Ebd.

[14] J.M. Richards: „General Report“, in: Final Report 1961 (wie Anm. 5), S. 158

[15] Theo Crosby: „Conclusion“, in: Architectural Design 31 (Nov. 1961), S. 509

[16] Michel Foucault: „Space, Knowledge, and Power“, in: Michel Foucault, Paul Rabinow (Hg.): The Foucault Reader, New York 1984, S. 239–56

 

 

Lektorat: Nicole Minten-Jung