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FAKT: Neuhardenberg, © Simon Menges
Media partnership

Von Prothesen und der Koexistenz von Architektur und Natur

Bis zum 31. Oktober präsentiert die Villa Massimo auf Schloss Neuhardenberg erstmals Arbeiten der Rompreisträger*innen außerhalb Berlins. Nachdem im ersten Teil des Berichts anlässlich der Ausstellungseröffnung die Leiterin der Villa Massimo Julia Draganović ihre Vision von der Institution reflektiert hat, führt Anh-Linh Ngo, Chefredakteur der ARCH+, im zweiten Teil das Gespräch mit Sebastian Kern, Martin Tessarz und Jonas Tratz von FAKT – Office for Architecture fort.

Nachdem im ersten Teil des Berichts anlässlich der Ausstellungseröffnung die Leiterin der Villa Massimo Julia Draganović ihre Vision von der Institution reflektiert hat, führt Anh-Linh Ngo, Chefredakteur der ARCH+, im zweiten Teil das Gespräch mit Sebastian Kern, Martin Tessarz und Jonas Tratz von FAKT – Office for Architecture fort.

 

Anh-Linh Ngo: Im Gespräch mit der Direktorin der Villa Massimo Julia Draganović haben wir darüber gesprochen, dass Rom in früheren Zeiten dazu diente, den europäischen Kunstgeschmack zu eichen und zu vereinheitlichen. Die heutigen Bedingungen sind ganz andere. Was bedeutet ein Rom-Aufenthalt für ein junges Architekturbüro heute? Stand für Euch im Vordergrund, Zeit zu haben, intensiv an bestehenden Themen und Projekten zu arbeiten oder hat die Stadt selbst eine Rolle gespielt?

FAKT: Rom als Stadt war definitiv ein wichtiger Einfluss. Sicher stellt die Stadt heute nicht mehr diese Eichung dar, man geht nicht mehr wie früher dorthin, um bestimmte Dinge zu erlernen und direkt zu kopieren. Trotzdem erweitert der Aufenthalt den baugeschichtlichen Bezugsrahmen enorm, vor allem im Vergleich zu einer Stadt wie Berlin, wo wir herkommen. Andererseits hat Rom vielleicht die Schwierigkeit, dass wenig Neues entstehen kann, weil es so ein Übermaß an baulichem Erbe gibt. Ein Aspekt, der uns während unseres Aufenthalts dort angefangen hat zu faszinieren, war das Zusammenspiel der Monumente mit den modernen, vielfach metallischen Strukturen, die diese historischen Monumente zusammenhalten und abstützen; sie wirken fast wie Prothesen. Im Grunde sind das nur Hilfskonstruktionen, aber man könnte sie auch als eine Art des Weiterbauens verstehen. Uns hat interessiert, wie man das Erbe eben nicht nur erhält, sondern erweitert und fortschreibt.

 

ALN: Wie tritt man mit einem solchen Ort in eine produktive Auseinandersetzung? Welche Ansätze habt Ihr gefunden, diese Beobachtungen über die Stadt für Eure Praxis fruchtbar zu machen?

FAKT: Wir haben beim Erkunden der Stadt nach Fragestellungen gesucht, die uns interessieren. Ein Thema waren zum Beispiel die vielen weitläufigen Gärten und Parks, die inselartig über die ganze Stadt verteilt sind, sich aber durch ihre Introvertiertheit und Abgeschiedenheit oft dem öffentlichen Raum entziehen. Wir wollten diese Räume als Potential verstehen, von dem wir lernen und mit dem wir arbeiten können. Auch die Villa Massimo ist ein solcher Raum. Als Stipendiaten waren wir privilegiert, ihn nutzen zu können. Oft sind es Institutionen, die über diese Räume verfügen und die damit die Verantwortung haben, sie für mehr Menschen erlebbar und nutzbar zu machen. Das brachte uns auf die Idee, über leichte Strukturen nachzudenken, die mit diesen Gartenwelten koexistieren können, die aber trotzdem einen Mehrwert schaffen, also zusätzliche Nutzungen erlauben. Eines der Projekte, die wir erarbeitet haben, war ein Raum für einen solchen Garten.

FAKT: Villa Almone, Analyse Grüninseln

ALN: Könnt Ihr das Projekt kurz beschreiben?

FAKT: Das Projekt begann mit einer Anfrage des deutschen Botschafters und seiner Partnerin, die sich leidenschaftlich um die Villa Almone, die Botschafterresidenz, und besonders um deren Garten kümmern. Die Villa befindet sich südlich der Innenstadt, in etwa dort, wo die Via Appia an die Aurelianische Mauer, die alte Stadtmauer Roms, mündet. Im hinteren Bereich des Gartens steht ein verfallenes Nebengebäude, für das eine Nachnutzung entwickelt werden sollte, die eine Alternative anbietet zu der sonst sehr repräsentativen und immer gleichen Nutzung für klassische Empfänge der Villa und ihres Vorplatzes. Die Idee war, einen Kulturraum zu schaffen, den die verschiedenen Institute vor Ort, wie die Villa Massimo und das Goetheinstitut, gemeinsam für kleine Ausstellungen nutzen können. Von Anfang an war für uns klar, die bestehende Struktur zu erhalten und nur leicht zu transformieren. Doch es fehlte an einer Art Umraum für eine solche Nutzung. Da das Gebäude in dem hinteren, verwunschenen Teil des Gartens liegt, wäre aber jede Art von Anbau unpassend gewesen. Darum haben wir das Konzept einer Leichtbaustruktur als schwebende Terrasse entwickelt, die nur punktuell gegründet ist. Der Garten könnte so weiter existieren, die Pflanzen müssen nicht entfernt werden, sondern können durch das Deck hindurch wachsen, gleichzeitig wird aber auch ein Außenraum geschaffen, auf dem man sich aufhalten kann und der mit dem Bestand korrespondiert.

FAKT: Villa Almone, Lageplan
FAKT: Villa Almone, Grundriss

ALN: Julia Draganović hat auch über ihre Verantwortung für den Park der Villa Massimo gesprochen. Vor allem auch vor dem Hintergrund der Klimakrise steht sie vor der Aufgabe, diesen englischen Garten, der eine starke Pflege und sehr viel Bewässerung benötigt, so zu transformieren, dass er den Ansprüchen der heutigen Zeit entspricht. Parks und Gärten spiegeln immer auch unser philosophisches, aber auch körperliches Verhältnis zur Natur wider. Was steckt in dieser Porosität der Struktur, die ihr für den Garten der Villa Almone entworfen und nun als 1:1 Prototyp im Schlosspark von Neuhardenberg realisiert habt?

FAKT: Es geht um die Koexistenz und Wechselwirkung von Architektur und Natur. Die Struktur erlaubt es der Natur, einen Teil des Raums selbst zu besetzen. Aber die minimal-invasive Struktur ist trotzdem in der Lage, der Natur gewisse Grenzen zu setzen. Wie ein Filter reguliert sie das Sonnenlicht oder auch den Niederschlag. Der Prototyp löst nicht alles ein, was Architektur sonst zu leisten hat hinsichtlich funktionaler Aspekte. Es war ein spannender Prozess für uns zu testen, wie weit man mit dieser Reduktion gehen kann, wenn Menschen sich dort trotzdem aufhalten können sollen: ein Raum, der nicht wie üblich komplett die Umwelt ausschließt, ein Raum, der dennoch anders nutzbar ist als ein reiner Naturraum. Eine ähnliche Auseinandersetzung mit der Natur zeigt sich auch in der Villa Massimo. Auch dort wird der Garten produktiv genutzt, eine Imkerin ist vor Ort, man bemüht sich um mehr Biodiversität. Das bedeutet nicht, dass man die Natur komplett sich selbst überlässt, sondern dass man einen behutsamen Umgang und ein Miteinander denkt. Unser Prototyp hier dient dazu, Architektur in diese Richtung weiterzudenken.

Abbildungsvorschlag: Foto 09, Simon Menges

 

ALN: Das Gebäude im Garten der Villa Almone und Euer Entwurf dafür besitzen einen ruinenhaften Charakter. Die Ruine als Folly im Park war immer schon ein beliebtes Thema im englischen Landschaftsgarten. Hat dieses Bild auch eine Rolle gespielt in eurer Auseinandersetzung mit der Struktur?

FAKT: Ein romantische Ruinenbild war beim Entwerfen erst einmal nicht entscheidend. Unser Ziel war es, dem schlichten Nutzgebäude nicht viel hinzuzufügen, sondern im Gegenteil die Anbauten, die über die Jahre hinzukamen, aber heute ihren Nutzen verloren haben, zu entfernen und so die ursprüngliche Purheit der Räume wieder freizulegen. Wir planen, es als relativ rohen Raum zu belassen und zu öffnen. Es stimmt allerdings, dass zusammen mit dem von Pflanzen überwucherten Deck der Eindruck einer Ruine entstehen kann. Vielleicht hängt das aber auch der verbreiteten Vorstellung zusammen, dass Räume immer ein hohes Maß an Perfektion benötigen, was man auch hinterfragen kann.

 

ALN: Wir haben in unserem Ausstellungsprojekt Cohabitation kürzlich genau dieses von der Moderne etablierte Bild der Perfektion der Architektur, die die Natur bezwingt und ausschließt, in Frage gestellt. Nun arbeitet ihr mit Materialien wie Metall, die auch für die Perfektion der Architektur stehen, kreiert damit aber einen Zustand, der den Romzeichnungen überwucherter Ruinen früherer Generationen ähnelt. Was sagt das über unsere Zeit aus? Wie verortet Ihr Eure Architekturpraxis vor dem Hintergrund der großen gegenwärtigen Debatten um die Klimakrise und die notwendigen Anpassungen der Kultur und Architektur?

FAKT: Es gibt natürlich verschiedene Lesarten unseres Prototyps. Der Plan erweckt zunächst den Eindruck einer rigiden Formsprache oder eines klar kartesianischen Rasters. Doch die Art, wie er dann räumlich funktioniert und die Natur sich einen Weg dadurch bahnt, bricht mit diesem Bild. Diese Widersprüchlichkeit war für uns das Spannende an dem Projekt. Als junges Büro machen wir ja auch Architektur im klassischen Sinne, und trotzdem haben diese übergeordneten Fragestellungen, etwa wie wir überhaupt leben wollen, für uns eine größere Wichtigkeit als die gestalterischen.

ALN: Der Aufenthalt an der Villa Massimo bietet sich ja gerade dafür an, sich für solche grundsätzlichen Fragen Zeit zu nehmen.

FAKT: Ja, das hat es uns ermöglicht, über unsere eigene Arbeit neu nachzudenken, auch inspiriert durch das große Atelier und die weitläufige Gartenanlage, in der wir wohnen und arbeiten durften. Dass uns diese Fragen in den letzten Jahren besonders bewegt haben, wurde ebenso durch unsere Lehrpraxis angestoßen. Obwohl uns oft nur wenige Jahre trennen, haben unsere Studierenden diese Themen schon deutlich stärker verinnerlicht als unsere eigene Generation und denken sie von Anfang an mit. Zur Zeit unseres Studiums war das noch nicht so präsent. Dass man immer in Austausch bleibt und sich und die eigene Praxis dadurch selber hinterfragen muss, ist ein Wert, den wir grundsätzlich in der Lehre sehen.

 

ALN: Wie ist der Planungsstand Eures Projekts in Rom?

FAKT: Wir haben es bisher auf der Konzeptebene entwickelt und würden die Planung gerne weiterführen. Das Nebengebäude verfällt und bedarf in jedem Fall irgendeiner Art der Intervention. Wir sind guter Dinge, weil es der ausgesprochene Wunsch der Botschaft ist, dass dieses Projekt realisiert wird. Von deutscher Behördenseite und italienischer Genehmigungsseite hat so ein Projekt natürlich einen gewissen Zeithorizont, realistisch sind etwa fünf Jahre. Dass wir hier in Neuhardenberg innerhalb von fünf Monaten einen Prototyp errichten konnten, aus dem wir wiederum lernen und neue Erkenntnisse ziehen konnten, war eine große Chance.

 

ALN: Ich würde den zeitlichen Aspekt auch als ein Hauptthema Eurer Struktur sehen, die ja buchstäblich davon lebt, dass sie von etwas Lebendigem durchdrungen wird, das sie auch verändert. Darauf lassen sich in der Architektur bisher wenige ein. Dort wird immer auf einen perfekten Zustand hingearbeitet, der dann möglichst lange erhalten werden soll. Welche Rolle spielt für Euch die Frage der Zeitlichkeit in der Architektur?

FAKT: Es ist eine Herausforderung, anzuerkennen, dass wir anpassungsfähige Strukturen brauchen. Dieses Thema ist kein neues, aber es gibt aktuell nur wenige Beiträge, die es über die Konzeptebene hinaus entwickeln. Uns hat fasziniert, dass sich das Bild unserer Installation über die Jahreszeiten hinweg komplett ändern wird. Wir haben sie als 1:10 Modell gebaut und verschiedene Szenarien mit unterschiedlichen Formen von Bewuchs getestet. In einem längeren Zeithorizont könnte man sich vorstellen, dass sie von der Natur überformt wird. Das ist dann auch eine Frage der Nutzerschaft. Wie unterhält man das, was erlaubt man, was schneidet man zurück. Ein Baum, der dort durchwächst, würde auf Dauer diese Struktur an gewissen Stellen spreizen. Gleichzeitig haben uns die Gärtner*innen des Schlossparks berichtet, dass die Struktur das Wachstum der Graslandschaft beschleunigt, weil eine leichte, nach oben hin gerichtete Öffnung für viele Pflanzen das Wachstum fördert. Es wäre spannend, dieses Zusammenspiel über die Jahre zu beobachten, wie es knirscht und aneckt, das Raster verschoben wird, wenn sich die Natur ihren Weg bahnt.

 

ALN: Welches Fazit zieht Ihr aus Eurem Aufenthalt in Rom, wie hat die Erfahrung Euch weitergebracht?

FAKT: Abgesehen von der inhaltlichen Fülle war es wertvoll, die Möglichkeit zu haben, dort zu dritt als Gruppe leben und arbeiten zu können. Unser Büro gibt es jetzt seit acht Jahren, wir haben relativ bald nach dem Studium angefangen zusammenzuarbeiten. Das Stipendium hat uns noch einmal ein anderes Niveau der Gemeinschaft ermöglicht, in einem Raum, der eigentlich für eine*n Künstler*in mit einer Familie konzipiert ist.

 

ALN: Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Stipendiat*innen, konntet Ihr von dieser Zusammenstellung der Disziplinen der Villa Massimo profitieren?

FAKT: Es war spannend, in so enger Nachbarschaft zu leben, fast wie ein Mini-Künstlerdorf. Man kannte sich vorher kaum, oder zumindest war es in unserem Fall so. Also gab es zunächst eine Anlaufphase und dann bildete sich über die Zeit, wie wahrscheinlich meistens, bestimmte Allianzen, Sympathien und Interessensüberschneidungen heraus. Mit manchen sind wir bis heute gut befreundet und haben bereits angefangen, kleinere Projekte zusammen zu entwickeln. Die Villa Massimo ist ein Ort, an dem andere Gedanken und Ideen entstehen, weil man sich auch über das Fachliche hinaus ganz anders austauscht. Man wohnt zusammen, isst zusammen, entdeckt zusammen Dinge, das ist ein besonderer Wert.

FAKT: Neuhardenberg © Simon Menges