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Lawrence Weiner / Arsenale Institute
Recommendation

The Language of Lawrence Weiner (1942 - 2021)

A Research Exhibition at the Arsenale Institute, 22. April bis 30. Juni 2022

Trotzdem findet sich am Grund seines Tuns ein Paradox. Das Spannungsverhältnis, das es eröffnet, ist es, was sein OEuvre im Kern am präzisesten charakterisiert. Seine berühmt gewordene Auffassung, Kunst könne
ihrem Wesen nach nur die Mitteilung eines Individuums an das andere sein, bestimmte die Konsequenz, dass sie sich deshalb ganz in das Medium des Denkens, in Sprache verwandeln müsse. Darin erscheint Weiners kategorischer Schritt zur Verwandlung des Felds des Ästhetischen in diese Form von Geist – sie wurde gegen seinen Widerstand der Entstehung der Konzeptkunst zugemessen – einerseits als eine radikale Einlösung des Verdikts des Philosophen G.W. Hegel zum Ende der Kunst. Dieser antizipierte im Angesicht einer Gesellschaft, die sich unter dem Einfluss von Naturwissenschaften, Mechanisierung und beginnender Industrialisierung zunehmend mit geistigem Gehalt aufgeladenen Formen und Inhalten des Künstlerischen zuwandte, den Verlust seiner inneren Natur, der Sinnlichkeit. Deshalb befand er, alle Kunst sei nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung ein Vergangenes. Weiner, so meint man, macht mit eben dieser Bestimmung ernst. Seine am meisten zitierte, von ihm selbst oft wiederholte und deshalb mit ihm verbundene Declaration of Intent von 1968 liest sich wie die Affirmation eben dieser Diagnose Hegels. Ob die Idee des Künstlers, auf die es einzig ankommt, auch ausgeführt werde, sei für sie nicht mehr entscheidend. Der dritte Teil des Syllogismus besagt deshalb: The piece need not be built – wirklich errichtet werden, muss das Konzept nicht.

Andererseits aber insistierte Weiner stets darauf, dass die von ihm gefundene Gestalt der Statements, sei es als typographische Konstruktion, als Schriftbild an der Wand, gedruckt auf Papier, auf einem vom Flugzeug gezogenen Schriftband am Himmel, in einem seiner subversiven Künstlerbücher, gerade nicht der Qualität des Sinnlichen entbehrten, sondern wesentlich in ihrer Materialität bestünden. Denn Sprache kommt ohne den Zeichenkörper nicht zur Welt. Sie muss Laut oder Schrift werden, um sie selbst zu sein und der intersubjektiven Verständigung in bedeutungsvollen Signalen fassbar zu werden. Sie muss sich also verdinglichen.
Lawrence Weiner bezog sich seit seiner Jugend stark auf die Literatur der Philosophiegeschichte, besonders die der Sprachphilosophie. Aus den Gesprächen mit ihm schließe ich, dass ihn dabei kein anderer mehr prägte als Ludwig Wittgenstein, ein Autor, der zwei einander diametral widersprechende Konzepte von Sprache hinterließ.

Die Auflösung des Rätsels eines körperlichen Daseins von Geist in der geschriebenen Sprache, die dem Gedachten erst zur Wirklichkeit verhilft – der eigentümlichen Praxis Lawrence Weiners also –, liegt in Wittgensteins
erstem Theorie-Entwurf des Tractatus logico-philosophicus von 1921. In diesem Text unterstellt Wittgenstein gleichsam subkutan eine Abbildtheorie der Sprache. Die Wahrheit einer Aussage bestünde in der Äquivalenz der syntaktischen Ordnung von Wörtern mit der physischen Ordnung realer Dinge, deren Namen sie sind. Liegt diese Entsprechung von Sprachstruktur und empirischer Struktur vor, dann und nur dann könne man
von einem vernünftigen Satz sprechen, über dessen Wahrheit sich entscheiden lasse. Dieses Begriffs wegen sah Lawrence Weiner die Elemente seiner Sprachspiele auch als Objekte an, als Skulpturen im Raum, denen selbst wieder jene haptische Handgreiflichkeit und materielle Präsenz eignet, wie die der Gegenstände, über die sie urteilen.

Das Weinersche Werk im Mittelpunkt dieser Installation ist hierbei von besonderer linguistischer Kunstfertigkeit und gedanklicher Raffinesse. Würde man den überaus lakonischen Satzbau der englischen Originalfassung ins Deutsche übertragen, bedürfte man einer gedoppelten Subordination in zwei Nebensätze mit drei Kommata, ohne die die Phrase nicht dekodierbar wäre. Als wörtliche Transliteration hieße es: Eine Bestimmung, wo das, was ins Abseits fällt, ruht. Würde man eine kolloquiale Weise der Alltagsrede bevorzugen, wie das Weiner selbst oft getan hat, ergäbe sich etwa dies: Eine Bestimmung, wo das, was heruntergefallen ist, liegenbleibt. Die Satzstellung bringt das Verbum ans Satzende, das in der typographischen Gestaltung die unterste Zeile darstellt, in der es alleine zu stehen kommt. So vertritt physisch das geschriebene Zeitwort eben das Objekt, das heruntergefallen ist und liegenblieb. Auf diese Weise gelingt es Lawrence Weiner, die Welt als Wort zu fassen und das Wort wieder zur Welt zu bringen.

Der engere Kreis der am Arsenale Institut Beteiligten, zu dessen Erkenntnisinteresse Weiners OEuvre und im Speziellen seine Beziehung zu Ludwig Wittgensteins, Philosophie gehört, war sich einig darin, dass seine singuläre Rolle in der Kunst der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in der Medienreaktion auf seinen Tod weder in den USA noch in Europa angemessen erkannt und ausgesprochen wurde. Deshalb wurden
zum Anlass der 59. Biennale in Venedig im Jahr 2022 die Räume seiner Erinnerung gewidmet. Mit Hilfe seiner Witwe Alice Weiner, vermochten wir es, eben jene Wandarbeit zu präsentieren, deren linguistische Schönheit und konnotative Vieldeutigkeit uns,unter allen seinen Arbeiten besonders zu faszinieren anhält. Sie war bislang nur dreimal öffentlich zu sehen und wurde nie vorher publiziert. Neben diesem Werk, das im Zentrum des Vorhabens steht, werden alle seine Künstlerbücher bis zur magischen Grenze des Jahres 1980 ausgelegt. Die Vollständigkeit im Zeigen dieses wichtigen Mediums der Sprache von Lawrence Weiner ist nicht einfach zu erreichen, weil in einigen Fällen weltweit nur mehr eine Handvoll Exemplare existieren. Vermutlich waren sie in diesem Umfang in Europa noch nicht zugänglich. Ihre philologisch nüchterne Ausstellung geschieht um
des Wissens willen. Sie ist gedacht für die Forschung, für die, denen mit kenntnisreichem Interesse am Werk von Weiners gelegen ist und für seine Freunde.

Vor neun Jahren, am 29. Mai, 2013, gab es ein von feinem Frühlingsregen begleitetes Treffen auf einer Insel in der venezianischen Lagune. Auf den Schnappschüssen dieses Zusammenkommens zu einem conversation piece im Garten sah Lawrence Weiner besonders befreit und glücklich aus. Das Projekt ist in seiner Intimität auch eine Erinnerung an diesen besonderen Tag des Austausches, in dem der Zweck seiner Kunst liegt.

Wolfgang Scheppe, Venedig, 19. April 2022