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Ein Offener Brief der ARCH+ anlässlich der Diskussion um die rechtsradikalen Ursprünge der Neuen Frankfurter Altstadt. Über 50 namhafte Persönlichkeiten unterstützen als Erstunterzeichner_innen das Statement. Sie können auf change.org den Brief mitunterzeichnen.
Unser Autor und Beiratsmitglied Prof. Dr. Stephan Trüby publizierte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 8. April 2018 einen wichtigen Beitrag zur „Urszene“ der rekonstruierten Neuen Frankfurter Altstadt. Trüby hat darin nachgewiesen, dass es der rechtsradikale, völkische und geschichtsrevisionistische Autor Dr. Claus Wolfschlag war, der mit seinem nicht minder radikalen politischen Weggefährten Wolfgang Hübner im September 2005 jenen Antrag Nr. 1988 der „Freien Wähler BFF (Bürgerbündnis für Frankfurt)“ formulierte, der zur Blaupause dessen wurde, was ab 2006 auf den parlamentarischen Weg gebracht und heute nun in Frankfurt gebaut steht: die „Neue Altstadt“ mit 15 rekonstruierten Altstadthäusern zwischen Dom und Römer. Die Website des Pro Altstadt e.V. benennt noch heute Wolfschlag und Hübner als „Väter der Wiederaufbau-Initiative“.
Nach Veröffentlichung ließ der Angriff der rechten Szene, der auch und vor allem ein Angriff auf moderne und zeitgenössische Architektur insgesamt ist, nicht lange auf sich warten. Im rechtsradikalen Blog Politically Incorrect schreibt Wolfgang Hübner Sätze, die ob der historischen Unkenntnis jüngerer Architekturentwicklungen nicht der Rede wert wären, jedoch in ihrer toxischen Vermischung mit dem Jargon der Neurechten das politische Projekt vieler Rekonstruktionsvorhaben deutlich vor Augen führen: „Trüby, Luxusantifaschist des Jahrgangs 1970, bekennt sich mit solch wutschnaubender Polemik als überzeugter Anhänger einer aus dem verbreiteten ‚Schuldkult‘ resultierenden ‚Sühnearchitektur‘, die viele deutsche Städten mit Betonbrutalismus und Traditionsverachtung verschandelt.“
Der Brutalismus als Architekturrichtung wird kurzerhand mit einem angeblichen „Schuldkult“ verknüpft – einem beliebten Kampfbegriff der Szene, der zuletzt durch die infame Rede des AfD-Politikers Björn Höcke über das Gedenken an die Shoah einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Es geht also mitnichten lediglich um eine Architekturdebatte, wie es die Protagonisten dieser Szene weismachen wollen. Es geht eindeutig um Politik. Um eine Politik, die die Entfesselung eines wütenden Mobs bewusst miteinkalkuliert, wie zahllose Drohbotschaften an unseren Autor bezeugen. Diese Angriffe sollten all jene aufwühlen, die sich zeitgenössischer Architektur und einem zivilen Für und Wider der Argumente verpflichtet fühlen.
Denn um eines geht es den Kritikern Trübys sicherlich nicht: um Argumente und Rationalität. Wie anders ließe sich Hübners absurde Frage „Sind schönere Städte ‚rechtsradikal‘?“ erklären, die Trübys Rede von rechtsradikalen Akteuren in bewusst desinformierender Absicht auf Architekturen überträgt? Wie anders ließe sich Roland Tichys absurder Ausruf erklären, der – in kalkulierter Verdrehung der Argumente Trübys – in seinem neurechten Magazin Tichys Einblick aufschreit: „Jetzt sind die Fachwerkhäuser dran!“
Doch wer glaubt, dass die Arbeit mit Fake News nur rechten Blogs vorbehalten ist, der irrt. Denn auch die ansonsten seriöse Welt leistete sich in dieser Debatte am 23. April einen Beitrag, der mit argumentativen Verdrehungen und Unterstellungen sowie absurden Fragen wie „Ist Fachwerk faschistisch?“ von der erwartbar desinformierenden und agitierenden Publizistik der Neurechten kaum zu unterscheiden ist. Schlimmer noch: Der Artikel wurde zur Initialzündung einer Social-Media-Hass-Kampagne aus dem Umfeld der rechtsextremistischen, vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung, bei der mit dem Hashtag „#Fachwerk“ u. a. gegen „linke Abschaumjournalisten“ gehetzt wird. Ausgerechnet in der Welt, die sich stets bürgerlich gibt, wird mit verächtlich machenden Begriffen ein Angriff auf die intellektuelle Integrität eines Akademikers gestartet, ein Angriff, der sich aus dem verbreiteten Anti-Elitendenken der Neurechten speist.
Um das vermeintlich Offensichtliche zu betonen: Es geht Trüby weder darum, die gebaute Neue Frankfurter Altstadt zum gebauten Faschismus zu erklären noch darum, allen Unterstützern von Rekonstruktionen rechtes Gedankengut zu unterstellen. Jede politische Ideologie kann jeden Architekturstil beliebig instrumentalisieren. Ebenso wenig geht es ihm darum, Rekonstruktionen als solche zu skandalisieren. Rekonstruktion im Sinne von Wiederherstellung nach Katastrophen und Kriegen – das hat der Autor wörtlich in seinem Aufsatz für alle nachlesbar geschrieben –, sind „eine historische Selbstverständlichkeit“. Trüby geht es um die mehr als berechtigte Warnung davor, dass Rekonstruktionsarchitektur mittlerweile zum Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten geworden ist. Diese These lässt sich an vielen Beispielen belegen: Nicht nur anhand der Neuen Frankfurter Altstadt, sondern auch anhand der Potsdamer Garnisonkirche, ebenso in der Architekturberichterstattung rechter Publikationsorgane und in der personellen Besetzung vieler sogenannter Stadtbild-Vereine.
Ein Rekonstruktions-Watch scheint vor diesem Hintergrund mehr als geboten: Urbane Gesellschaften, die sich erfreulicherweise für attraktive Innenstädte einsetzen, sollten sich künftig genauer darüber informieren, mit wem sie gemeinsame (Stadtbild-)Politik betreiben. Hinter einem rekonstruktionsseligen und scheinbar harmlos daherkommenden Architekturpopulismus, der ressentimentgetrieben jeglichen positiven Beitrag moderner und zeitgenössischer Architektur zur Lösung der Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft in Abrede stellt, verbirgt sich oft genug die Geschichtspolitik von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen.
Dr. Nikolaus Kuhnert, Mitherausgeber ARCH+
Anh-Linh Ngo, Mitherausgeber ARCH+
Über 50 namhafte Erstunterzeichner_innen aus Lehre und Praxis unterstützen den Offenen Brief. Zeigen auch Sie Haltung. Sie können auf change.org den Brief mitunterzeichnen.
Prof. Dr. Marc Angélil, ETH Zürich
Prof. Thomas Auer, TU München / Transsolar, Stuttgart
Dr. Armen Avanessian, Philosoph, Berlin
Prof. Dr. Tom Avermaete, TU Delft
Marius Babias, Direktor des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.), Berlin
Prof. Markus Bader, Universität der Künste Berlin / raumlaborberlin, Berlin
Frank Barkow, Princeton University / Barkow Leibinger, Berlin
Prof. Verena von Beckerath; Bauhaus-Universität Weimar / Heide & von Beckerath, Berlin
Prof. Valentin Bontjes van Beek, Hochschule München
Stefan Behnisch, Behnisch Architekten, Boston/München/Stuttgart
Prof. Anne-Julchen Bernhardt, RWTH Aachen / BeL Sozietät für Architektur, Köln
Prof. Dr. Johan Bettum, Städelschule, Frankfurt
Prof. Dr. Friedrich von Borries, Hochschule für bildende Künste Hamburg
Prof. Arno Brandlhuber, ETH Zürich / Brandlhuber +, Berlin
Jens Casper, Casper Mueller Kneer Architects, Berlin
Hans-Jürgen Commerell, Direktor Aedes Architekturforum, Berlin
Prof. Dr. Burcu Dogramaci, LMU München
Prof. em. Dr. Werner Durth, TU Darmstadt
Oliver Elser, Kurator am Deutschen Architekturmuseum, Frankfurt am Main
Prof. Dr. Dietrich Erben, TU München
Dr. h.c. Kristin Feireiss, Direktorin Aedes Architekturforum, Berlin
Prof. Jesko Fezer, Hochschule für bildende Künste Hamburg
Laura Fogarasi-Ludloff, Ludloff Ludloff Architekten, Berlin
Prof. Marc Frohn, KIT Karlsruhe / FAR frohn&rojas, Berlin
Prof. Dr. Sokratis Georgiadis, Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart
Prof. Matthias Görlich, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
Prof. Dr. Christoph Grafe, Bergische Universität Wuppertal
Prof. Dr. Nina Gribat, TU Darmstadt
Prof. Dr. Maren Harnack, Frankfurt University of Applied Sciences / urbanorbit, Stuttgart
Tim Heide, Heide & von Beckerath, Berlin
Prof. Dr. Jörg Heiser, Prodekan der Fakultät Bildende Kunst, Universität der Künste Berlin
Prof. Dr. Michael U. Hensel, TU Wien
Prof. Dr. Florian Hertweck, Universität Luxemburg
Prof. Fabienne Hoelzel, Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart
Christian Holl, frei04 publizistik / Geschäftsführer BDA Hessen, Stuttgart
Prof. Bernd Kniess, HafenCity Universität Hamburg
Prof. Dr. Martin Knöll, TU Darmstadt
Prof. Dr. Stefan Kurath, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Prof. Jörg Leeser, Peter Behrens School of Arts Düsseldorf / BeL Sozietät für Architektur, Köln
Regine Leibinger, Princeton University / Barkow Leibinger, Berlin
Prof. Dr. Andres Lepik, TU München
Prof. Bart Lootsma, Universität Innsbruck
Prof. Jens Ludloff, Universität Stuttgart / Ludloff Ludloff Architekten, Berlin
Prof. Dr. Ferdinand Ludwig, TU München
Prof. Dr. Alexander Markschies, Dekan der Architekturfakultät der RWTH Aachen
Jürgen Mayer H., J. MAYER H., Berlin
Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier, Bauhaus-Universität Weimar
Prof. Achim Menges, Universität Stuttgart
Prof. PhD Markus Miessen, University of Gothenburg
Prof. Philipp Oswalt, Universität Kassel
Dr. Claudia Perren, Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau
Prof. Uwe Reinhardt, Peter Behrens School of Arts, Düsseldorf
Andreas Ruby, Direktor des Schweizer Architektur Museums, Basel
Amandus Sattler, Allmann Sattler Wappner Architekten, München
Prof. Dr. Klaus Schönberger, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Prof. Axel Sowa, RWTH Aachen
Prof. Dr. Laurent Stalder, ETH Zürich
Prof. Jörg Stollmann, TU Berlin
Prof. Andreas Uebele, Peter Behrens School of Arts, Düsseldorf
Prof. Dr. Philip Ursprung, ETH Zürich
Prof. Dr. Georg Vrachliotis, Dekan der Architekturfakultät des Karlsruher Instituts für Technologie
Prof. Ulrich Wegenast, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, Potsdam
Prof. PhD Eyal Weizman, Goldsmiths, University of London
Prof. Dr. Ines Weizman, Bauhaus-Universität Weimar
Prof. em. Frank Werner, Bergische Universität Wuppertal
Prof. em. Dr. Karin Wilhelm, TU Braunschweig
Prof. Tobias Wulf, Hochschule für Technik Stuttgart
Prof. i.R. Günter Zamp Kelp, Universität der Künste, Berlin
Prof. Dr. Martin Zimper, Zürcher Hochschule der Künste, Zürich