0
ARCH+ news

Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft

Eine Ausstellung des Vitra Design Museum, kuratiert von Ilka und Andreas Ruby sowie EM2N. 
3.6.–10.9.2017, Eröffnung: 2.6.2017, 18 Uhr 

ARCH+ beschäftigt sich seit seinen Anfängen mit der Wohnungfrage. Mit Heften wie Your Home is my Kasse oder Die Agonie der Wohnungspolitik wurde besonders in den 1970er- und 80er-Jahren nach Zugang zu bezahlbarem Wohnen jenseits der staatlichen und privatwirtschaftlichen Versorgung gefragt. Die Wohnungsfrage bezieht sich aber nie nur auf die reine Versorgung, es geht immer auch um eine gesellschaftliche und politische wohnkulturelle Debatte, um die Frage, wie wir wohnen wollen. Sie wurde in den letzten 10 Jahren ausführlich von unserer vor einem Jahr verstorbenen Redakteurin und Mitherausgeberin Sabine Kraft diskutiert: ARCH+ 176/177: Wohnen – wer mit wem, wo, wie, warumARCH+ 203: Planung und Realität – Strategien im Umgang mit Großsiedlungen, ARCH+ 206/207 Politische Empirie und ARCH+ 218: Wohnerfahrungen. Aber auch unseren Stadtheften ist die Wohnungsfrage immanent, wie z.B. Berlin oder London

Die Liste aus dem ARCH+ Archiv könnte zahllos erweitert werden, denn das Thema des Wohnens betrifft das Bauen grundlegend. Neu ist eine Tendenz in der zeitgenössischen Architektur, das Wohnen (wieder) kollektiv zu denken, diesem Themenfeld widmet sich die Ausstellung Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft des Vitra Design Museum. Im Rahmen der Ausstellung gastiert ARCH+ features in Weil am Rhein und diskutiert mit Pier Vittorio Aureli und Andreas Ruby die Frage: Public or Private?

Die Kurator*innen schreiben zur Ausstellung:

"Wohnraum ist eine knappe Ressource – das wird in den letzten Jahren immer deutlicher. Die Immobilienpreise in den Metropolen steigen, klassische Konzepte des Wohnungsbaus können dem Bedarf nicht mehr gerecht werden. Diese Herausforderungen haben eine stille Revolution in der zeitgenössischen Architektur ausgelöst: das Bauen und Wohnen im Kollektiv. »Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft« ist die erste Ausstellung, die dieses Thema umfassend beleuchtet und räumlich erfahrbar macht. Anhand von Modellen, Filmen und Wohnungen im Maßstab 1:1 präsentiert sie eine Vielzahl von Beispielen aus Europa, Asien und den USA. Historische Vorläufer veranschaulichen zugleich die Geschichte der gemeinschaftlichen Architektur – von den Reformideen des 19. Jahrhunderts bis hin zur Hippie- und Hausbesetzerszene, die mit dem Slogan 'Make love, not lofts' antrat.

Die Ausstellung beginnt mit einem Blick auf die Geschichte sozialer Wohnideale, die zumeist aus einem Protest gegen bestehende Verhältnisse entstanden sind. Dies unterstreicht eine Inszenierung, die Bezug auf die gesellschaftliche Brisanz des Themas nimmt: Filme zeigen historische Protestbewegungen für Wohnraum, während Transparente über die damals entwickelten Lösungsansätze informieren. Unter den gezeigten Beispielen sind die Phalanstères von Charles Fourier (1772–1837), die Ende des 19. Jahrhunderts im Tessin entstandene Kolonie Monte Verità, die Wohngenossenschaften der 1920er Jahre, aber auch die Freistadt Christiania in Kopenhagen oder die Genossenschaft Karthago in Zürich. Die gesellschaftspolitischen Hintergründe dieser Projekte machen die Aktualität der Ideen verständlich: Auch heute befindet sich die Gesellschaft im Umbruch, weil immer mehr Menschen anders als in klassischen Familienstrukturen leben – ob als Paar, Alleinerziehende, Singles oder allein lebende ältere Menschen. Für viele ist das Leben in Gemeinschaft eine vielversprechende Alternative, die soziale Kontakte fördert und Kosten senkt

Eine Installation aus 21 großformatigen Modellen heutiger Wohnbauprojekte bildet den zweiten Bereich der Ausstellung. Die gezeigten Beispiele stammen unter anderem aus Berlin, Zürich, Los Angeles, Tokio und Wien; unter den Architekten sind einszueins architektur, das ifau – Institut für angewandte Urbanistik, Jesko Fezer und Heide & von Beckerath, Michael Maltzan Architecture, ON design partners, pool Architekten und Ryue Nishizawa. Der detaillierte Blick auf die einzelnen Projekte zeigt, dass die neuen gemeinschaftlichen Wohnbauten auch eine durchweg innovative Herangehensweise an Volumen, Fassaden und Materialien mit sich bringen: Aus den besonderen Anforderungen und begrenzten Mitteln entsteht eine eigene Ästhetik. Die Präsentation der Modelle als imaginäre Stadt veranschaulicht zudem, dass Stadt und Wohnraum, Öffentlichkeit und Privatsphäre in vielen gezeigten Projekten nicht mehr klar getrennt, sondern auf neue Weise miteinander verwoben sind.

Was das konkret bedeutet, erfahren die Besucher, wenn sie im dritten Ausstellungsbereich das 1:1-Modell einer sogenannten Clusterwohnung betreten und gemeinschaftliche Bereiche sowie private Räume durchstreifen. Grundrisse und Hintergrundinformationen zeigen, wie das neue Wohnen in Gemeinschaft umgesetzt wird. Ergänzt wird der Nachbau durch Fotografien von Daniel Burchard. Er hat acht Projekte in mehreren Ländern besucht und die neue Form des Zusammenlebens für die Ausstellung dokumentiert. Dabei wird deutlich, dass viele der neuen Wohnkollektive auch deshalb ein  Labor gesellschaftlicher Entwicklungen sind, weil sie neue Verbindungen von Wohnen und Arbeiten erproben, die erst dank der Digitalisierung möglich geworden sind.

Aber wie funktioniert die neue Architektur der Gemeinschaft ökonomisch, welche Herausforderungen stellt sie im Alltag und wie lässt sie sich praktisch realisieren? In einem in die Ausstellung integrierten Co-Working Space werden diese Fragen anhand von fünf Projekten erläutert: die Sargfabrik in Wien, das Zwicky-Süd in Zürich, La Borda in Barcelona, R50 in Berlin und die Apartments with a Small Restaurant in Tokio. Die Gestaltung dieses Bereichs als Arbeitsraum zeigt, dass die neue Verflechtung vieler Projekte mit dem öffentlichen Leben auch neue Finanzierungsmöglichkeiten bietet: So widmet das Zürcher Projekt Kalkbreite die Hälfte seiner Fläche Gewerbefunktionen und umfasst neben öffentlichen Einrichtungen wie einem Kino, einem verpackungsfreien Supermarkt, Restaurants und Cafés, Arztpraxen und diversen Büroflächen auch einen frei zugänglichen Innenhof mit Kinderspielplätzen.

Projekte wie die Kalkbreite beweisen überdies, dass gemeinschaftliche Wohnmodelle sich heute nicht nur erfolgreich im kommerziellen Wohnungsmarkt behaupten, sondern ihn darüber hinaus auch positiv verändern können. Sie sind Teil der so genannten »sharing economy«, die die Rolle des Eigentums grundlegend neu definiert, während soziale 'bottom-up' Bewegungen wie Occupy solche Ideale in der politischen Landschaft verankern. Die Ausstellung zeigt den Einfluss dieser Entwicklungen auf die Art und Weise, in der Bewohner und Architekten heute gemeinsam neue Formen des Zusammenlebens entwickeln – nicht als ein Produkt rein individueller Bedürfnisse, sondern als eine Antwort auf eine zentrale Frage unserer Zeit: Wie wollen wir in der Zukunft miteinander wohnen?"

Türkommunikation im Gemeinschaftswohnen – Die Schwelle wird hybrid

Siedle fördert die Ausstellung »Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft« und beteiligt sich aktiv daran. In einem angedeuteten Mehrgenerationenhaus mit Gemeinschaftsbereich ist eine Siedle-Anlage installiert. Für die Ausstellung hat Siedle eine Anwendung mit völlig neuem Interface-Design und innovativer Funktionalität entwickelt.

Teilnehmende Architekten

Dorte Mandrup Arkitekter (DK), CASA Architecten und Vrijburcht Stichting (NL), ifau + Jesko Fezer/ Heide & von Beckerath (DE), Hütten und Paläste Architekten (DE), Naruse Inokuma Architects (JP), Naka Architects’ Studio (JP), Studio mnm (JP), Osamu Nishida und Erika Nakagawa (JP), Ryue Nishizawa (JP), ON design partners (JP), Jinhee Park, SsD (KR), pool Architektur ZT (AT), gaupenraub +/- (AT), einszueins architektur (AT), Buol & Zünd (CH), Beat Rothen Architektur (CH), Müller Sigrist Architekten (CH), pool Architekten (CH), Enzmann Fischer und Partner (CH), Schneider Studer Primas (CH), Lacol Cooperativa d’Arquitectes (ES), BKK-2 (AT), Silvia Carpaneto + fatkoehl architekten + BARarchitekten mit Die Zusammenarbeiter (DE), Michael Maltzan Architecture (USA), Duplex Architekten (CH), Santiago Cirugeda von Recetas Urbanas (ES), all(zone) (TH).

ARCH+ features 63: Public or Private? Pier Vittorio Aureli im Gespräch mit Andreas Ruby, moderiert von Anh-Ling Ngo
ARCH+ features 63: Public or Private? Pier Vittorio Aureli im Gespräch mit Andreas Ruby, moderiert von Anh-Ling Ngo / © Dogma: Villa Urbana, 2015