0
Abb.: CORRESPONDENCIA JONAS MEKAS - J.L. GUERIN José Luis Guerín und Jonas Mekas Spanien Frankreich 2011
ARCH+ news

Jonas Mekas. 100 Years of Cinema, Arts, and Politics

18.–25. Januar 2023 im Kino Arsenal

Jonas Mekas – Filmemacher, Autor und Kurator (1922–2019) – äußerte immer wieder, seine Werke seien nicht politisch. Häufig ist jedoch genau das Gegenteil der Fall. Seine Antwort auf die Schrecken des 20. Jahrhunderts war die künstlerische Hinwendung zum Alltäglichen, für das er in seinen Filmen, Tagebüchern und Gedichten eine ästhetische Form suchte und ihm eine humanisierende Kraft zuschrieb. In seinem Werk spiegelt sich die wechselhafte Geschichte der letzten 100 Jahre.

Geboren 1922 in Litauen, erlebte Mekas in seiner Jugend, wie das Land im Baltikum zwischen die Fronten von Nationalsozialismus und Stalinismus geriet. 1944 musste er seine Heimat verlassen. Die Flucht und seine Gefangennahme, das Leben im Arbeitslager und in verschiedenen Displaced Person Camps schilderte er in seinen Tagebüchern eindringlich. Sie sind einzigartiges Zeitzeugnis der Nachkriegsjahre in Deutschland sowie der litauischen Diaspora in New York, wohin er 1949 mit seinem jüngeren Bruder Adolfas emigrierte. Dort wurde Mekas zu einem einflussreichen Netzwerker internationaler Avantgarden und schuf so Räume für eine Gegenkultur. In seinen Tagebuch-Filmen und in den New York Diaries dokumentierte er diese Entwicklung und reflektierte zugleich sein fortdauerndes Displacement.

Sein Geburtsland blieb ein wichtiger Ankerpunkt seiner Arbeit. Mit der Unabhängigkeit Litauens und der politischen Einbindung des Baltikums in die EU und die NATO schien die Gefahr erneuter Bedrohungen gebannt. Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sind Konfliktlinien des letzten Jahrhunderts wieder aufgebrochen, die Mekas in seinem Werk zum Gegenstand gemacht hat.

Anlässlich seines 100. Geburtstags thematisiert das umfassende, von Christoph Gnädig, Christian Hiller und Anne König kuratierte Programm die politischen Dimensionen von Jonas Mekas’ Schaffen. Gesprächsrunden mit Filmemacher*in­nen, Künstler*innen und Weggefährt*innen erörtern die Themen Memories, Displacement, Counter-Culture, Cold and New Wars und Politics of Everyday. Neben dem Filmprogramm im Kino 1 werden im Kino 2 u.a. politische Videoarbeiten von Mekas installiert. Auf der digitalen Plattform arsenal 3 wird das Programm online mit Filmen von Chantal Akerman, Sergei Loznitsa und Jonas Mekas erweitert. Performative Lesungen von Heike Geißler, Eglė Lukšaitė und Goda Palekaitė intervenieren in die Programme. Asia Bazdyrieva liest aus ihrem ukrainischen Kriegstagebuch.
 

 

Weitere Informationen:

https://www.arsenal-berlin.de/kino/filmreihe/jonas-mekas-100-years-of-cinema-arts-and-politics/

 

In Englisch:

https://www.arsenal-berlin.de/en/cinema/film-series/jonas-mekas-100-years-of-cinema-arts-and-politics/

 

Die Veranstaltungen finden in englischer Sprache statt.

 

Gefördert vom Hauptstadtkulturfonds. Projektträger: ARCH+ Verein zur Förderung des Architektur- und Stadtdiskurses e.V., Berlin; mit Unterstützung von: Lithuanian Culture Institute, Vilnius, Botschaft der Republik Litauen, Berlin, Estate of Jonas Mekas, New York, Dovzhenko Centre, Kyiv, Re:Voir, Paris und Spector Books, Leipzig.

 

Kino Arsenal

Potsdamer Str. 2

10785 Berlin

030 26955-100

mail@arsenal.berlin.de

arsenal-berlin.de

 

 

Programm:

MEMORIES


Mi 18.1., 16h & Do 19.1., 16h, Eintritt frei
Oral History Interview: Jonas Mekas   United States Holocaust Memorial Museum   USA 2018   OF 385’
Im Sommer 2018 führte Ina Navazelskis, Programmkoordinatorin des United States Holocaust Memorial Museum Washington, ein sechsstündiges Oral-History-Interview mit Jonas Mekas und befragte ihn u.a. nach seinen Erinnerungen an den litauischen Holocaust. Vor dem Hintergrund dieses Interviewfilms widmet sich die Diskussionsrunde mit Ina Navazelskis, dem Historiker Christoph Dieckmann und der Literaturwissenschaftlerin Claudia Sinnig der Frage, was Zeitzeugenschaft bei einem Autor heißt, der das autobiografische Schreiben und Filmen zu seiner künstlerischen Ausdrucksform entwickelt hat.


Mi 18.1., 18h, Eröffnung: Christoph Gnädig, Christian Hiller, Anne König
REMINISCENCES OF A JOURNEY TO LITHUANIA   Jonas Mekas   D/USA 1972   OF 82
Der Film zeigt Mekas’ erste Reise nach Litauen 1971, 27 Jahre nach seiner Flucht: Es ist die Rückkehr in eine verklärte, aber auch fremd gewordene Heimat unter sowjetischem Regime.

Mi 18.1., 20.45h, Einführung: Christoph Gnädig, Christian Hiller, Anne König
Lesung: Heike Geißler und Goda Palekaitė, aus den Tagebüchern von Jonas und Adolfas Mekas Gespräch: „I’m trying to remember“ mit Christoph Dieckmann (Historiker), Ina Navazelskis (Journalistin) und Claudia Sinnig (Literaturwissenschaftlerin)
Im Anschluss Screening:
GOING HOME   Adolfas Mekas, Pola Chapelle   USA 1971  OF 61’
Parallel zu Jonas Mekas filmte sein Bruder Adolfas Mekas die gemeinsame Reise in die litauische Heimat.

DISPLACEMENT

Do 19.1., 19h, Einführung: Christoph Gnädig, Christian Hiller, Anne König
REMINISZENZEN AUS DEUTSCHLAND   Jonas Mekas   USA 2012   OF 25’
Jonas Mekas besucht die Orte, an denen er sich während seiner Zeit als Displaced Person in Deutschland aufhielt. Auf der Flucht 1944 kamen die Mekas-Brüder in ein Arbeitslager, nach Kriegsende waren sie in verschiedenen Flüchtlingslagern untergebracht.
Lesung: Heike Geißler und Goda Palekaitė, aus den Tagebüchern von Jonas und Adolfas Mekas
Hörspiel: Föhrenwald   Michaela Melián   D 2005   50’
Gespräch: „Displaced Persons Camps“: Michaela Melián und Marcus Velke (Historiker)

COUNTERCULTURE

Fr 20.1., 16h, Eintritt frei
Destruction Quartet Jonas Mekas   USA 2006   4-Kanal-Video   OF 60’

Fr. 20.1., 18h Einführender Vortrag: „Art and Activism“: Andrew Uroksie (Kunst- und Medienwissenschaftler)
STREET SONGS   Jonas Mekas   USA 1966/1983   OF 11’
Julian Beck, Mitbegründer des Living Theatre, sitzt 1966 auf einer leeren Bühne und wiederholt mantraartig „Free All Men! Stop the War! Change the World!“
THE BRIG   Jonas Mekas   USA 1964   OF 68’
Die Filmadaption einer Inszenierung des Living Theatre zeigt eine Strafbaracke, in der Militärgefangene auf kleinstem Raum mit sinnlosen Verhaltensregeln gequält werden. Die disruptive Ästhetik ist für Mekas’ spätere Diary-Filme stilprägend.

Fr 20.1., 21h
Gespräch (online): „Jonas Mekas and the New York Underground“ mit Amy Taubin (Filmkritikerin)

Lesung: Heike Geißler und Goda Palekaitė, aus Texten von Jonas Mekas

Im Anschluss Screenings:
JONAS   Gideon Bachmann   Deutschland 1968   OmE 30’
Das für den NDR entstandene Porträt zeigt den Underground-Impresario auf seinen täglichen Streifzügen durch New York, das dabei beiläufig ­mitporträtiert wird.
FOR LIFE AGAINST WAR (SELECTIONS) (Week Of The Angry Arts) USA 1967   OF 38’
Für die Week Of The Angry Arts 1967 entstand dieser Kompilationsfilm als ein kollektives Statement amerikanischer unabhängiger Filmemacher*innen – stilistisch unterschiedlich, aber in ihrer Opposition gegen den Vietnamkrieg vereint.
WHEN   Jonas Mekas USA 1967   stumm 2’
Jonas Mekas Beitrag zu diesem Protestfilm.

COLD AND NEW WARS

Sa 21.1., 12h, Eintritt frei
LITHUANIA AND THE COLLAPSE OF THE USSR   Jonas Mekas   USA 2009   OF 286’


Sa 21.1., 12.30h
LOST LOST LOST   Jonas Mekas   USA 1978   OF 180’
Die Geschichte eines Filmemachers, der den Verlust der litauischen Heimat beklagt. Gegen Ende hat er seine Technik der rasenden Kamera perfektioniert und die New Yorker Kunstszene zu seiner neuen Heimat erklärt.

Sa 21.1., 16.15h
Lesung: Asia Bazdyrieva (Kunsthistorikerin) liest aus ihrem Tagebuch
Das Instagram-Foto einer Matratze in einem U-Bahnhof in Kyiv kurz nach Beginn des Kriegs: Auf der Decke liegt das Buch I Had Nowhere to Go, in dem Jonas Mekas seine Kriegserlebnisse schilderte. Matratze und Buch gehören der ukrainischen Künstlerin Asia Bazdyrieva, die selbst Tagebuch schreibt und dabei Bezug auf die Kriegserlebnisse von Jonas Mekas nimmt. Zu Gast in Berlin liest sie aus ihren Aufzeichnungen.
Im Anschluss Screenings:
356 DAY PROJECT   Jonas Mekas   USA2007   OF/OmE 21’
Auszüge aus Mekas’ Internettagebuch.
MA   Maria Stoianova Ukraine 2017   OmE 17’
Im Anschluss läuft MA (Maria Stoianova, UKR 2017 | 21.1.), das Videotagebuch einer ukrainischen Mutter aus Mariupol, die in Kriegszeiten der Tochter im fernen Kyiv von ihrem Alltag berichtet.

Sa 21.1., 18.45h
THE FALL OF LENIN   Svitlana Shymko   UKR 2017   OmE 11’
Ein Film über den Abriss von Lenindenkmälern in der Ukraine und die Errichtung neuer Denkmäler, die in einen Widerstreit mit den „Geistern der Geschichte“ geraten.
Gespräch: „Dekonstruktion historischer Narrative“ mit Sergei Loznitsa (Filmemacher), Ekaterina Degot (Kunsthistorikerin und Intendantin des steirischen herbst) und Olga Schubert (Kuratorin)
sprechen aus der Perspektive der Kunst über die Dekonstruktion historischer Narrative und die Entwicklung postsowjetischer Gesellschaften hin zur kriegerischen Gegenwart.

Sa 21.1., 20.30h, Einführung: Oleksandr Teliuk (Dovzhenko Centre, Kyiv)
RITUAL IN TRANSFIGURED TIME   Maya Deren   USA 1946   stumm 15’
Die gebürtige Ukrainerin Maya Deren wurde in den 40er Jahren zur einflussreichen Wegbereiterin der amerikanischen Filmavantgarde und früh zur Anlaufstelle für Jonas Mekas. Die beiden verband nicht nur ihre osteuropäische Herkunft, sondern auch das Interesse an einem zutiefst persönlichen und unabhängigen Kino.
356 DAY PROJECT (Auswahl)   Jonas Mekas   USA 2007   OF/OmE 21’
Auszüge aus Mekas’ Internettagebuch.
ZEMLIA   Erde   Oleksandr Dowschenko   UdSSR 1930   OmE 78’
Das „Film-Gedicht“ erzählt die Geschichte ukrainischer Kulaken, die sich Stalins Plan zur Kollektivierung ihrer Höfe widersetzen und ist zugleich eine Hymne auf die natürliche Abfolge von Leben und Tod.

POLITICS OF EVERYDAY

Das Fragmentarische und Spontane sind von Anfang an prägende Stilmittel der Kunst von Jonas Mekas. Den oft unauffälligen Alltag sichtbar zu machen und zu feiern, zeichnet seine „Politics of Everyday“ aus, die sich in der Tagebuchform manifestiert.

So 22.1., 12h Eintritt frei
NOTES FOR JEROME   Jonas Mekas   USA 1978   OF 60’
1966 verbrachte Mekas zwei Monate im südfranzösischen Cassis bei seinem Freund und Förderer Jerome Hill. Der Sommer sei einsam gewesen, sagte Mekas später, „ich dachte oft an zu Hause. Deshalb ist dieser Film dem ‚Wind Litauens‘ gewidmet. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, dass Jerome ebenso sehr ein Exilant war wie ich.“

So 22.1., 14h, Gespräch mit Hollis Melton
PARADISE NOT YET LOST (AKA OONA’S THIRD YEAR)   Jonas Mekas, USA 1979   OF 45’
Ein Tagebuchfilm, der zugleich eine Meditation über das Thema „Paradies“ ist. „Ich spreche zu dir, Oona. Sei idealistisch, nicht praktisch. Suche die unbedeutenden kleinen, aber wesentlichen Dinge.“
Im Anschluss berichtet Hollis Melton, Fotografin und Mekas’ damalige Lebenspartnerin, über den Entstehungsprozess seiner Tagebücher I Had Nowhere to Go, die sie 1991 in New York verlegt hat.

So 22.1., 15.30h, Gespräch mit Sebastian Mekas und José Luis Guerín
CORRESPONENCIA JONAS MEKAS – J.L. GUERÍN   José Luis Guerín, Jonas Mekas   ESP/F2011   OmE 100’
Ein kinematografischer Briefwechsel. Ein unregelmäßiges Hin und Her, ein fragmentarischer Austausch, Nachrichten aus dem Alltag.

Mo 23.1., 19h, Gespräch mit Peter Sempel
JONAS IN THE FIELDS   Peter Sempel   D 2021   OmU 107’
Peter Sempels vierter Film über seinen Freund Jonas Mekas: letzte Begegnungen bei Mekas in Brooklyn und in den Feldern von Litauen.

Mi 25.1., 18h
AS I WAS MOVING AHEAD OCCASIONALLY I SAW BRIEF GLIMPSES OF BEAUTY   Jonas Mekas   USA 2000   OmU OF 288’
„A masterpiece of nothing.“ Ein (Schnee)sturm von Details. Die Essenz eines Lebens konzentriert auf ein paar Stunden. Und ein ekstatisches Monument für Familie, Freunde und alltägliche Freuden. „This is a political film“, so Mekas.



arsenal 3

Auf der Streaming Plattform arsenal 3 werden diesen Monat fünf zusätzliche Arbeiten das Jonas-Mekas-Programm ergänzen.

OUT-TAKES FROM THE LIFE OF A HAPPY MAN   Jonas Mekas   USA 2012   OF 68’
Jonas Mekas rahmt flüchtige Aufnahmen der Familie, von Freund*innen und der Stadt mit persönlichen Reflexionen.
IN THE SHADOW OF THE LIGHT   Sarah Payton, Chris Teerink   NL/USA 2007   OF 93’
Der Film dokumentiert Mekas’ Liebe zum Kino: „Es geht um das besessene Verfolgen von Visionen und Ideen. Um Leidenschaft und Intensität.“ (JM)
NEWS FROM HOME   Chantal Akerman   F/B/BRD 1976   ohne Dialog 85’
Ein Film der Spannung zwischen Ton und Bild, Intimität und Distanz, Familie und Welt erzeugt. Über Bildern von New York in den 70er Jahren hört man Akermans Stimme, die Briefe ihrer Mutter vorliest.
THE OLD JEWISH CEMETERY   Sergei Loznitsa   NL/Lettland 2015   ohne Dialog 20’
Der Film erforscht den Ort eines nicht mehr existierenden jüdischen Friedhofs in Riga.
THE PARTISANS OF VILNA   Josh Waletzky   USA 1986   OmU 130’
Die Rekonstruktion der Geschichte des jüdischen Widerstands innerhalb und außerhalb des Ghettos von Wilna durch Erzählungen von Zeitzeug*innen, Fotos und Ausschnitten aus Dokumentarfilmen.