Contested Modernities – Postkoloniale Architektur und Identitätskonstruktion in Südostasien

Kambodscha kam 1863 unter französische Kolonialherrschaft und wurde mit dem heutigen Vietnam und Laos später Teil von Französisch-Indochina. 1953 erlangte das Land die Unabhängigkeit von Frankreich und wurde unter Führung des Staatsoberhaupts Prinz Norodom Sihanouk und seiner parteiähnlichen Organisation Sangkum Reastr Nyium („Sozialistische Gemeinschaft des Volkes“) stark modernisiert.

Das Vann Molyvann Project machte die Neue Khmer-Architektur durch verschiedene Ausstellungen und Publikationen breiteren Kreisen bekannt, stieß eine Diskussion über die Bedeutung der Bewahrung des architektonischen Erbes der Moderne in Asien an und diente einer neuen Generation kambodschanischer Architekt*innen und Wissenschaftler*innen als Inspiration.

„Hier ist das Leben real.“ Das schrieb eine Bewohnerin des White Building, als ich sie bat, ihre Gedanken über das Viertel an der Wand des Ateliers von Sa Sa Art Projects festzuhalten. Genauer gesagt: Sie bat mich (mit einem schüchternen Lächeln), es für sie zu schreiben, weil sie weder lesen noch schreiben kann.

In den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren gehörte Mam Sophana zu den wichtigsten Protagonisten der Neuen Khmer-Architektur. Er studierte in den USA, weshald sich sein Stil deutlich von jenem anderer kambodschanischer Architekten seiner Zeit unterschied, die oft kurz vor oder unmittelbar nach der Unabhängigkeit in Frankreich ausgebildet wurden. Während des kambodschanischen Bürgerkriegs, noch vor der Machtergreifung der Roten Khmer im Jahr 1975, floh Mam Sophana nach Singapur und war dort bis zu seiner Rückkehr nach Kambodscha 1992 als Architekt tätig. Mam arbeitet heute nach wie vor in Phnom Penh und berät nebenher die kambodschanische Regierung in stadtplanerischen Fragen.

Indonesien ist der größte Inselstaat und mit seinen rund 270 Millionen Einwohner*innen das Land mit der viertgrößten Bevölkerung der Erde. Diese setzt sich aus über 30 ethnischen Gruppen zusammen. Etwa 87 Prozent gehören dem Islam an, der Rest verteilt sich auf das Christentum, den Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus und animistische Religionen. Die Hauptstadt der Republik Indonesien ist Jakarta, das an der Nordwestküste der Insel Java gelegen ist. Über 10 Millionen Menschen leben in der größten Stadt Süd­ostasiens, deren Metropolregion mit rund 30 Millionen Einwohner*innen die zweitgrößte städtische Agglomeration der Welt ist.

1953 schrieb die Regierung der Republik Indonesien einen Wettbewerb für den Entwurf der neuen Nationalmoschee in Jakarta aus. Als Symbol der postkolonialen nationalen Identität war das Projekt von größter Bedeutung. Die Moschee sollte an der nordöstlichen Ecke des Merdeka-Platzes entstehen, der von Präsident Sukarno zum repräsentativen Zentrum der Hauptstadt erkoren worden war. Unter den 27 eingereichten Vorschlägen wurde der moderne Entwurf von Friedrich Silaban ausgewählt, doch die Realisierung seiner gigantischen Vision erwies sich als schwieriger als erwartet.

1955 lobte Präsident Sukarno einen Wettbewerb für ein neues Nationaldenkmal in Jakarta aus, das in der Mitte des Medan Merdeka („Freiheitsplatz“), der während niederländischen Kolonialherrschaft Koningsplein (Königsplatz) gehießen hatte, entstehen sollte. Zu jener Zeit befanden sich in der Umgebung reihenweise Villen europäischer Würdenträger, die dem Trubel der als ungesund geltenden Altstadt von Batavia (wie Jakarta in der Kolonialzeit hieß) mit ihren Moskitos entfliehen wollten.

Das 2001 gegründete Büro d-associates aus Indonesien hat sich unter anderem mit Projekten wie dem Tamarind House in Süd-Jakarta oder dem DRA House auf Bali einen Namen gemacht. Im Vorfeld der Asienspiele 2018 wurden die Architekt*innen mit der Renovierung des Sportkomplexes Gelora Bung Karno in Jakarta betraut, den Präsident Sukarno ursprünglich für die Spiele 1962 errichten ließ. d-associates verorten ihre Arbeit selbst im Kontext des klimagerechten, tropischen Bauens und spiegeln damit die Haltung einer neuen Generation indonesischer Architekt*innen wider, die seit den 2010er-Jahren zunehmend die globale Bühne betritt.

Myanmar (früher Birma oder auch Burma) errang 1948 die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht. 1962 putschte sich General Ne Win gewaltsam an die Macht und seine Militärregierung erklärte den „birmanischen Weg zum Sozialismus“. In der Folge wurde Myanmar für Jahrzehnte vom Rest der Welt abgeschottet.

Was von U Sun Oos Entwürfen blieb, war eine moderne, geschwungene Struktur aus Stahlbeton und Ziegeln, die sich auf die Raum- und Massenverhältnisse der religiösen Denkmäler Birmas bezieht. U Sun Oos Bemühungen um eine moderne Monumentalität mit ikonischem Charakter ist erkennbar, wird unter den politischen Verhältnissen aber nicht vollends Realität.

Ne Win, Staatsoberhaupt der Militärdiktatur, nutzte das Gebäude als Regierungszentrum und betrachtete es als architektonische Verkörperung des „Birmanischen Weges zum Sozialismus“, der in der lang­jährigen Isolation des Staates und der völligen Verarmung der Bevölkerung mündete. 2005 wurde Myanmars Hauptstadt nach Naypyidaw verlegt.

Die Republik Singapur liegt als Stadtstaat auf einer Insel vor der Südspitze Malaysias und zählt derzeit über 5,7 Millionen Einwohner*innen. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1965 wird die Politik von der People’s Action Party (PAP) bestimmt. Singapur ist eines der reichsten Länder der Welt, hat aber auch besonders hohe Lebenshaltungskosten.

Tiong Bahru entstand zwischen 1936 und 1950 als erste Wohnsiedlung des Singapore Improvement Trust (SIT). Jener war 1927 durch die Singapore Improvement Ordinance von der britischen Kolonialregierung eingerichtet worden. Erklärtes Ziel der Organisation war es, Slums zu beseitigen, enge Nebenstraßen in den traditionellen Shophouse-Vierteln aufzulösen, überfüllte und berüchtigt-unhygienische Wohnungen zu ersetzen und mit alldem „für die Verbesserung der Stadt und der Insel Singapur [zu] sorgen“.^[1]

Erst in den letzten 20 bis 30 Jahren hat sich in Singapur ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass es notwendig ist, wichtige Baudenkmäler der Nachkriegsmoderne zu pflegen und zu erhalten. Der Weg dorthin war von Schwierigkeiten und Spannungen zwischen Behörden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Öffentlichkeit geprägt. Die unterschiedlichen Ansichten über den Umgang mit historischen Bauten offenbarten einen generellen Konflikt: auf der einen Seite die Entwicklungsagenda des Staates, die auf den schnelllebigen modernistischen Stadterneuerungsvorstellungen der 1960er-Jahre beruhte, auf der anderen Seite der Wunsch der Öffentlichkeit nach einer integrativeren Stadtplanung, die auch immaterielle Werte wie das kulturelle und soziale Gedächtnis der Stadt berücksichtigt.

Tay Kheng Soon zählt zu Singapurs unbequemeren Zeitgenossen. In den letzten 50 Jahren äußerte er immer wieder offene Kritik an städtebaulichen Entwicklungen – sei es mit dem von ihm mitbegründeten Thinktank Singapore Planning & Urban Research Group (SPUR), als Partner des Architekturbüros Design Partnership oder mit seinem eigenen Büro Akitek Tenggara. Mit Design Partnership verantwortete er mit dem People’s Park Complex und dem Golden Mile Complex zwei der Architektur­ikonen der Moderne in Südostasien.