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Christoph Wagner Architkten: Erweiterung Lebensort Vielfalt, Berlin Charlottenburg
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Queeres Wohnprojekt in Charlottenburg ohne KfW-Förderung vor dem Aus

Offener Brief

Seit 1981 bietet die Schwulenberatung Berlin psychosoziale Hilfe für LSBTI*-Personen an. Vor über 12 Jahren hat sie ein Haus in der Niebuhrstraße in Charlottenburg in Erbpacht erworben, das von roedig.shop architekten BDA umgebaut wurde. Das „Lebensort Vielfalt“ genannte Haus beherbergt neben Beratungsräumen und einer Pflege-WG auch 24 Wohnungen und bietet diskriminierungsfreien Lebens- und Wohnraum – auch für finanziell schwache Mitglieder der Zielgruppe. Dieses Haus soll auf der Gartenseite durch einen Neubau für 45 Personen erweitert werden.

Die besondere Stärke des Erweiterungskonzepts liegt in der Vielfalt der Unterstützungsformen. Nachbarschaftliche, ehrenamtliche und professionelle Hilfe ergänzen sich hier auf ideale Weise und fördern Inklusion und Selbstbestimmung in jedem Alter. Der Lebensort Vielfalt wirkt Vereinsamung entgegen, fördert Solidarität und ist ein Modell für generationsübergreifendes Wohnen für eine gesellschaftliche Minderheit. Er möchte sich als Beispiel für eine neue Form des Zusammenlebens von Alt und Jung präsentieren.

Die Architektur von Christoph Wagner Architekten und Wenke Schladitz setzt diesen Anspruch räumlich und atmosphärisch um. Der Vielfalt der Unterstützungsformen begegnen sie mit unterschiedlichen Wohnungstypen (2 Cluster-Etagen, 3 Wohngemeinschaften, 13 Einzelwohnungen).

Alle Erschließungsflächen wurden nach außen gelegt und verbinden die verschiedenen Wohnungen über Podest-, Terrassen- und Laubengangflächen, so dass beiläufig Begegnungsräume entstehen. Die beiden Treppen, der Aufzug, die Podeste und die als Laubengänge gestalteten Flure, deren tragenden Elemente aus Holz bestehen, sind überdacht, aber haben keine Wände. Durch die offene Struktur und die verwendeten Materialien werden einerseits Assoziationen an institutionelle Räume (Flure, Bewegungsflächen in Heimen, Krankenhäusern, etc.) vermieden, aber auch Klimaaspekte gestützt, indem der Anteil des beheizten Gebäudevolumens reduziert wird. Die Laubengänge öffnen das Haus großmaßstäblich und einladend zum Bestandsgebäude hin. Das gesamte Gebäude wird vom 1.–4. OG konstruktiv aus Holz errichtet, das zu einem Großteil sichtbar bleibt.

Die Architekt*innen, wollen mit der Verwendung von Holz den Anteil hochklimaschädlicher Baumaterialien wie Stahlbeton, Styropor u.a. vermeiden. Um die Mehrkosten für den Holzbau gegenzufinanzieren, soll das Programm KfW-40 NH (Nachhaltigkeit) genutzt werden. Mit diesem erst am 1.7.2021 gestarteten Programm wurde Planer*innen erstmalig ein Instrument an die Hand gegeben, Mehrkosten für nachhaltiges Bauen den Auftraggeber*innen gegenüber ökonomisch zu begründen. Bei dem Projekt handelt es sich um ein knapp kalkuliertes Projekt, das nach Fertigstellung auch Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen bieten soll.

Das KfW-40-NH Programm fördert nachhaltige Projekte, hierbei ist der Begriff der Nachhaltigkeit weit gefasst und beinhaltet auch Aspekte wie Wohnen im Alter oder barrierefreies Wohnen und somit Kernpunkte, die das soziale Projekt Niebuhrstraße auszeichnen. Nun steht dieses nachhaltige Projekt durch den am 24. Januar 2022 abrupt beschlossenen Stopp der KfW-Förderung vor dem Aus – sofern nicht in wenigen Wochen bereits Klarheit über mögliche neue Förderungsmöglichkeiten hergestellt wird. Auch wenn das KfW-Förderprogramm nun doch in Teilen fortgesetzt wird, bleiben viele Fragen offen und es besteht weiterhin große Unsicherheit bei der Finanzierung von Neubauprojekten. 

Daraufhin haben die Architekt*innen einen Offenen Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck initiiert, der mittlerweile von über 120 Kolleg*innen unterzeichnet wurde. In diesem wird bis zum 15. Februar 2022 die Ankündigung von Terminen und Eckpunkten gefordert, mit denen die Bundesregierung künftig nachhaltiges Bauen fördern wird.

Dabei teilen die Initiator*innen durchaus die Meinung, dass die bisherige Förderpraxis teilweise das Falsche förderte und unbedingt Überholungsbedarf hatte. Aber einen Stopp zu verhängen ohne Vorankündigung und ohne verbindliche Termine und Eckpunkte neuer Regelungen zu benennen, führt kurzfristig zum Stopp vieler Wohnungsbauprojekte und der Absenkung des Standards. Viele der 120 Unterzeichner*innen berichteten, dass sie bereits in der letzten Woche aufgefordert wurden, massiv Kosten zu sparen und Standards zu senken – und meist stehen hier stehen die Maßnahmen für ökologische oder soziale Nachhaltigkeit zur Disposition.

Link zum offenen Brief

Christoph Wagner Architekten: Niebuhrstraße, Lageplan
Christoph Wagner Architekten: Niebuhrstraße, Grundriss 2. OG
Christoph Wagner Architekten: Niebuhrstraße, Hofansicht