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Interview in der Zeitschrift "sonnendeck"

Die Ausstellung "Post-Oil City – Die Stadt nach dem Öl" in der ifa-Galerie Stuttgart stellt urbanistische Projekte vor, die im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Mobilität in Zeiten schwindender Ölreserven vorbildhaft und zukunftsweisend sind. Kooperationspartner ist die Architekturzeitschrift ARCH+, die neben der Ausstellung ein umfangreiches Katalogheft präsentiert. sonnendeck-Redakteur Michael Reuter sprach mit Christian Berkes, der zum Kuratorenteam der Ausstellung gehört.

MR: Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und Ihrer Zeitschrift?

CB: Das Institut für Auslandsbeziehungen sprach uns an, und wir sind schnell übereingekommen, dass es die richtige Zeit sei, eine Ausstellung über die Zukunft der Stadt vor dem Hintergrund von Ressourcenproblemen und Klimawandel zu machen. Ansätze auf technischer- oder architektonischer Ebene gibt es viele. Die Diskussion für den städtischen und damit gesellschaftlichen Zusammenhang wird hingegen noch nicht intensiv genug geführt.

MR: Mit welchem Ausstellungsdisplay arbeiten Sie?

CB: Das Display haben wir zusammen mit Thilo Fuchs vom Design Studio TATIN entwickelt. Der Besucher wird mit einem interaktiven Stadtmodell des Büros CHORA von Raoul Bunschoten empfangen und auf die Ausstellung eingestimmt, es schließen sich eine Folge von Panels mit Text- und Bildmaterial sowie einige Filmscreens an. Wir arbeiten hier räumlich mit drei Ebenen, die den Blick des Betrachters führen. Anders als im Katalogheft, wo man jeweils nur eine Doppelseite vor sich liegen hat, lassen sich die vorgestellten Projekte im Ausstellungsraum in einer Kontinuität lesen und werden mit historischen Referenzen in Zusammenhang gebracht. Es ist der Versuch, in die Vergangenheit zu schauen, auch in die utopische Vergangenheit, und sich zu fragen: Welche positiven Effekte können existierende Modelle entfalten, wenn sie – nicht nur technologisch – weiterentwickelt werden?

Lassen Sie es mich am Projekt „Masdar-City“ erklären: Der Stadtgrundriss greift auf die Form traditioneller arabischer Städte zurück. Sie schotten sich zur Umgebung ab, haben einen quadratischen Grundriss und bestimmte klimatische Ausrichtungen und Straßenquerschnitte. Masdar ist deswegen aber keine Kopie, sondern die Momentaufnahme einer Entwicklungslinie aus kulturellen Erfahrungen und technischen Systemen. Der Philosoph Bruno Latour spricht von „Übersetzungsketten“, bei welchen es vor allem auf die „richtige Tonart“ ankommt und weniger auf einen unmittelbaren Bezug zum Ausgangspunkt. Prozesse solcher Art versuchen wir mit der Ausstellung nachzuvollziehen.

MR: Stichwort Masdar: Ist es nicht absurd, dass die ersten Öko-Städte ausgerechnet in der Wüste entstehen?

CB: Es scheint absurd, ist aber folgerichtig: Gerade Staaten, die sich heute fast ausschließlich über ihre Ölförderung finanzieren, haben angesichts der Ressourcenendlichkeit ein Interesse, durch innovative Technologien und Konzepte oder auch reizvolle Arbeitsbedingungen und neue touristische Angebote langfristig ihr Überleben zu sichern.

MR: Post-Oil City zeigt innovative Projekte aus der ganzen Welt. Gibt es prägnante Unterschiede zwischen den Kontinenten?

CB: Im außereuropäischen Raum und in den Entwicklungsländern sind die Bedingungen in den Städten ganz andere, als in dem, was wir als „europäische Stadt“ bezeichnen. Im deutschen Kontext geht es darum, wie Städte umgebaut, welche Maßnahmen und Methoden in bestehende Strukturen implementiert werden können.
In den Entwicklungsländern muss dagegen oft schnell zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden, weil die Bevölkerung extrem wächst. Gelegentlich gibt es „das weiße Blatt“ und die Planenden können Neues entwickeln, ohne sich auf konkrete räumliche Vorgaben einlassen zu müssen. Von größerer Bedeutung ist allerdings die Möglichkeit, die Fehler, die in der Geschichte der westlichen Planungskultur begangen wurden hier nicht zu wiederholen. So versucht man im Projekt „N.E.S.T.“ beispielsweise, die Stadt partizipatorisch mit den Bewohnern vor Ort zu entwickeln.

MR: Die Zeitschriften sind voll von futuristischen, ökologisch wertvollen und energieeffizienten Architekturentwürfen. Es scheint, als ob der technische Fortschritt die Menschheit im Alleingang retten könne. Aber wie realistisch sind die grünen Modelle? Wird nicht suggeriert, die Menschheit könne ohne Abstriche am Lebensstil ins CO2-neutrale Himmelreich kommen?

CB: Der Einsatz von neuen Technologien und die Transformation von Lebensstilen sind zentrale Herausforderungen. Vor den Toren der Stadt Masdar wird ein riesiges Solarkraftwerk errichtet, aber um den bisherigen durchschnittlichen Energieverbrauch zu decken, müsste die gesamte Fläche der Stadt mit Photovoltaikanlagen bebaut werden. Das heißt, auch hier ist die Einsicht gegeben, dass die Lebensgewohnheiten angepasst werden müssen. Siebzig Prozent des Energieverbrauchs müssen zuerst eingespart werden, um dann den Restbedarf mit regenerativen Energien decken zu können. Solche Herausforderungen verlangen die Betrachtung komplexer gesellschaftlicher Mechanismen, welche nicht durch falsche Technikversprechen ersetzt werden können.

MR: Die „N.E.S.T.“ Siedlung in Äthiopien versteht sich laut Projektbeschreibung als Workshop, „in dem die zukünftigen Bewohner lernen sollen, ihren Lebensraum schrittweise nach demokratischen Prinzipien wie Partizipation und Emanzipation zu gestalten.“ Ist es nicht anmaßend, wenn die Planer versuchen, nicht nur ökologische, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen zu forcieren oder gar zu diktieren?

CB: „Wir haben einen fertigen Plan und ihr dürft helfen, ihn umzusetzen“: Das wäre anmaßend. Aber alle vorgestellten Projekte zeigen, und das ist ein wichtiger Punkt für eine nachhaltige Stadtentwicklung, dass die Pläne sehr offen sind, und dass die Bedürfnisse der Menschen vor Ort integriert werden. Es geht nicht um den einen begnadeten Einfall, der alle Probleme löst, sondern um Phasenplanung und Prozesssteuerung. Wie gestalten wir die Stadt so, dass sie in der Lage sein wird, auf kommende, auch unvorhersehbare Probleme zu reagieren?

MR: Werden dann alle Städte in Zukunft gleich aussehen?

CB: Die vereinheitlichte Stadt wird es nicht geben, weil sie nicht funktioniert. Es ergeben sich in Planungsprozessen immer Einsichten und Erkenntnisse, die man auf andere Gebiete, andere Probleme, andere Anliegen übertragen kann, aber die Ausstellung Post-Oil City versucht nicht, die perfekte Stadt zu finden. Uns geht es darum, die Projekte als Prinzipien darzustellen. Wir zeigen verschiedene Ansätze, deren Qualität nicht über den direkten Vergleich beurteilt wird, sondern über die Erweiterung durch historische Referenz-Projekte. Wir wollen dem Besucher einen neuen Blickwinkel auf die Geschichte der Zukunft der Stadt eröffnen.

Erschienen im Kunstmagazin Sonnendeck, Ausgabe Februar 2010