Dr. Julia Draganović, die seit 2019 die Deutsche Akademie Rom, wie die Institution offiziell heißt, leitet, plant, die Stipendiat*innen künftig in verschiedenen Regionen Deutschlands vorzustellen und auf diese Weise eine der bedeutendsten Auszeichnungen für deutsche bzw. in Deutschland lebende Künstler*innen stärker sichtbar zu machen und gleichzeitig zu öffnen. Anh-Linh Ngo, Chefredakteur der ARCH+, sprach anlässlich der Ausstellungseröffnung auf Schloss Neuhardenberg mit ihr über Rom, Geschichte und Zukunft. In einem zweiten Teil wird das Gespräch mit dem Kollektiv FAKT weitergeführt.
Anh-Linh Ngo: Rom war in seiner Geschichte immer ein Ort, an dem die westliche Kunst und Architektur gewissermaßen geeicht wurden. Über Jahrhunderte ging man dorthin, um die Geschichte zu studieren und eine gemeinsame Identität in der künstlerischen Sprache zu bilden. Welche Rolle spielt Rom als Bezugspunkt heute noch in Ihrer Konzeption der Villa Massimo? Was kann ein solcher Ort in der heutigen globalisierten Welt noch für Denkprozesse auslösen?
Julia Draganović: Rom ist einer der Ursprünge der abendländischen Kunst. Diese Rolle wird es nie verlieren. Ich glaube sogar ganz im Gegenteil, dass Rom immer wichtiger werden wird, weil wir in unserer schnelllebigen Zeit immer mehr den Blick auf unsere Geschichte verlieren. Doch Erneuerung kann nur passieren, wenn man sich des eigenen Erbes bewusst ist. Dafür ist Rom ein gutes Beispiel. Es gibt viele Städte, die historisch einmal wichtig waren, diesen Status aber irgendwann verloren. Rom hingegen ist es immer wieder geworden. Die damit einhergehenden Schrumpfungs- und Expansionsprozesse haben das kulturelle Erbe nie beseitigt. Gleichzeitig ist es Rom gelungen, sich zu erneuern und den Finger am Puls der Zeit zu halten. Wer von außen auf Rom schaut, sieht meist nur die Geschichte. Alle stürzen in das historische Stadtzentrum, das natürlich als Monument einzigartig ist. Aber Rom lebt in der Peripherie. Es lebt dort, wo auch neue Architektur gebaut wird. Das wird selten gesehen. Aufgabe der Villa Massimo ist auch, darauf hinzuweisen.
ALN: Wie verhindert man bei dieser Beschäftigung mit der Geschichte jedoch bestimmte Tendenzen ins Identitäre? Die Trump-Regierung hatte in den letzten Tagen ihrer Amtszeit trotz der kontroversen Debatte davor noch unbemerkt eine Architekturdoktrin durchgesetzt, die das öffentliche Bauen auf die römisch-griechische Geschichte reduziert und damit den Klassizismus als Staatsstil festschreibt. Kann Rom bei jungen Architekt*innen und Künstler*innen, die hier der buchstäblichen Schichtung der Geschichte begegnen, etwas Progressives auslösen?
JD: Sicherlich wurde die Villa Massimo ursprünglich auch aus einem identitätspolitischen Motiv gegründet. Das Bestreben, in Rom eine Akademie einzurichten, gab es schon in den Jahrhunderten davor, von Seiten von Künstler*innen, die nach Rom reisten und sich dort erstmals als Deutsche empfanden. Sie kamen aus unterschiedlichen Fürstentümern und erfuhren im Ausland die deutsche Sprache als ihr Gemeinsames – das war identitätsstiftend. Das hat sich heute sehr verändert. Inzwischen gibt es 38 internationale Institute, die Stipendiat*innen aufnehmen. Der Austausch zwischen den Besucher*innen von verschiedenen Kontinenten ist rege – ebenso wie derjenige unter den Künsten. So verbringen auch in der Villa Massimo Architekt*innen ihre Zeit nicht unter sich, sondern in intensivem Austausch mit Schriftsteller*innen, bildenden Künstler*innen und Komponist*innen.
ALN: Ein Beispiel für eine solche fruchtbare Kooperation ist die Architektur- und Soundinstallation Palazzettino - Haus für einen Boxer. Können Sie etwas zu der Arbeit sagen?