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Rezension von Sebatian Randerath
„Technology is the answer, but what was the question?“[i] – diese Provokation des britischen Architekten Cedric Price von 1979 könnte im Licht aktueller Großprojekte und kapitalistischer Spekulationen sogenannter Smart Cities und Plattform-Urbanismus kaum aktueller sein. Wie immer wieder kritisiert wurde, streben die Allianzen aus Big-Tech-Unternehmen und nationalstaatlichen Organisationen in Smart-City-Projekten mittels Ausbaus von Sensornetzwerken und digitaler Infrastruktur die Privatisierung, Kapitalisierung und Kontrolle urbaner Räume an. Gleichzeitig werden diese Technologien von Forscher*innen und Aktivist*innen vermehrt als Möglichkeit der urbanen Imagination und Intervention von unten verstanden. Diese sollen zur Aushandlung des Rechts auf Stadt beitragen, bzw. zum „Recht auf Information“ wie Tooran Alizadeh und Deepti Prasad jüngst bemerkten.[ii] Digitale Infrastruktur und urbane Architektur sind materiell und diskursiv untrennbar miteinander verwoben. Damit treten verschiedene Kontrollfantasien, Imaginationen und Heilsversprechen ins Zentrum der Produktion und Aushandlung gegenwärtiger Raumverhältnisse. Diese sind jedoch keineswegs nur Phänomene unserer Gegenwart – Vernetzung, Kontrolle und Ökologisierung von (urbanen) Räumen wurden bereits lange vor dem Aufkommen von Smart Cities und Plattform-Urbanismus imaginiert und verhandelt.
Das Medien-Werden der Architektur
Genau an dieser Stelle setzt der von Moritz Gleich und Christa Kamleithner herausgegebene Bauwelt-Fundamente-Band Medium unter Medien – Architektur und die Produktion moderner Raumverhältnisse an und zeigt, wie Informationssysteme und (technische) Medien Architektur durchdringen und dabei Architektur selbst zum Medium wird; zu einem, das die Produktion von Raumverhältnissen co-konstituiert sowie „Klima, Subjektivität und soziales Verhalten verändert“[iii] hat. Um sich diesen Veränderungen zuzuwenden bringen die Herausgeber*innen Ansätze der deutschsprachigen Medienkulturwissenschaft und der angloamerikanischen Architekturgeschichte zusammen. Die Anthologie versammelt sowohl bereits zuvor publizierte als auch eigens für den Band verfasste Beiträge von Zeynep Çelik Alexander, Christoph Asendorf, Beatriz Colomina, Mark Crinson, Moritz Gleich, Tom Holert, Christa Kamleithner, Reinhold Martin, Roland Meyer, Bernhard Siegert und Meredith TenHoor.
Historisch setzen die Beiträge nicht erst bei der Geschichte der digitalen Vernetzung von Städten oder der Kapitalisierung von Smart Cities an, sondern liefern vielmehr verschiedene Vorgeschichten der Vernetzung von (urbanen) Räumen und räumlichen Informationssystemen – von Regalen, über Straßenschilder, bis Röntgenkammern. Wie die Herausgeber*innen schon zu Beginn bemerken, wollen sie dadurch verschiedene Zugänge zur „Vernetzung und Transformation alter und neuer räumlicher Elemente“[iv] eröffnen. So zeigt die Sammlung sehr eindrücklich, dass Architektur nicht erst durch Smart-City-Spekulationen und digitale Infrastruktur als ein eigenes Medium begriffen wurde.
Wie bereits der Untertitel vermuten lässt, liegt dem Band ein spezifischer Moderne-Begriff zugrunde. Diesen leiten die Herausgeber*innen nicht etwa aus der Verbreitung von modernen Massenmedien oder Gestaltungsprinzipien moderner Architektur ab, sondern gehen von einer sogenannten infrastrukturellen Moderne aus. Den Beginn dieser Moderne setzen sie durch das Aufkommen von „Infrastrukturen, mit denen sich an entfernten Orten Wirkungen erzielen und Umgebungsbedingungen kontrollieren lassen“[v] fest. Die infrastrukturelle Moderne beinhaltet sowohl das Aufkommen von Techniken des Wohnkomforts um 1800, als auch Konzepte zur Umweltkontrolle durch Technologien des Air-Conditioning um 1970.
Wie Architektur zum Medium wurde
Mit seinen medienhistorischen Einblicken verfolgt der Band medienökologische Überlegungen zur Architektur, die vor allem durch Reyner Banham angestoßen wurden.[vi] Diesem Verständnis nach greifen architektonische Medien in Umgebungsrelationen ein und verändern diese zugunsten von Mobilität, Kontrolle und Komfort. Anknüpfend an John Durham Peters Philosophie elementarer Medien, Kulturtechnikforschung und Infrastrukturforschung werden Medien hier nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern als elementare Existenzgrundlagen verstanden.[vii] Dadurch geraten nicht nur architektonische Schwellenelemente wie beispielsweise Drehtüren, sondern selbst Luft und Rauch in den Fokus der Auseinandersetzung mit vernetzten Räumen.
Bernhard Siegerts Beitrag etwa regt eine Diskussion des durch ihn mitgeprägten medientheoretischen Ansatzes der Kulturtechniken am Gegenstand von Türen an. Türen sind, wie Siegert bereits zu Beginn seines Beitrags argumentiert, Teil räumlicher Kulturtechniken, da sie Systeme zur Unterscheidung von Innen und Außen etablieren, deren Bedienung als kulturell erlernte Technik erfolgt. Anhand von Filmbeispielen wie D.W. Griffiths Lonedale Operator (1911) oder David Cronenbergs Videodrome (1983) diskutiert Siegert theoretische Überlegungen zu räumlichen Kulturtechniken.
Eine detaillierte Studie räumlicher Kulturtechniken legt auch Zeynep Çelik Alexander mit ihrem Beitrag vor. Anhand der Library of Congress in Washington D.C. zeigt Alexander, dass Raumkonzepte architektonischen Kulturtechniken nicht vorausgehen, sondern durch deren Ordnungsprinzipien erst konstituiert werden. Der Beitrag macht auf bemerkenswerte Weise deutlich, wie bedeutend der Dialog zwischen Medientheorie und Architekturgeschichte für die Analyse der räumlichen Wissensproduktion ist.
Eine ebenso detaillierte Aushandlung räumlicher Medienbegriffe findet im Beitrag von Reinhold Martin statt. Martin folgt der Luft als elementarem Medium und deren Temperierung, um Architektur als Medienkomplex, das heißt, als Beziehung zwischen Eingängen und Ausgängen in den Blick zu nehmen. Dazu untersucht Martin die Geschichte des Hauptsitzes der Chase Manhattan Bank in New York und dessen Verstrickungen mit fossilem Kapitalismus und Managementstrukturen der 1950er-Jahre.
Anschließend folgt Mark Crinson einem ganz elementaren Medium des fossilen Kapitalismus: dem Rauch industrieller Produktion im Manchester des 19. Jahrhunderts. Dabei will Crinson die Zirkulation und Totalität des fossilen Kapitalismus nachzeichnen und nimmt bei seiner Analyse Romane des 18. Jahrhunderts, Kohleminen, Baumwollfabriken und insbesondere deren in vielen Fällen tödliche Rauchproduktion, sowie den Bau der Rylands Library, die durch Profite ebendieser Industriestätten gestiftet wurde, in den Blick. Durch die Breite dieser miteinander verflochtenen Gegenstände analysiert Crinson sowohl strukturelle Verbindungen und Asymmetrien als auch symbolische Dimensionen des fossilen Kapitalismus im Manchester des 19. Jahrhunderts.
Ähnlich elementare, wie ungerechte Verbindungen legt Meredith TenHoors Beitrag über Entwicklung der Nahrungsmittelversorgung und Landwirtschaft im Frankreich der 1930er-Jahre offen. Anhand einer Analyse von Ausstellungen, Zeitschriften und Filmen erforscht TenHoor mediale Imaginationen des ländlichen und städtischen Infrastrukturausbaus zur Nahrungsmittelversorgung. Medienästhetisch zeigt sie eindrücklich, wie diese Imaginationen durch spezifische Ästhetiken vermittelt wurden, die ausgehend von avantgardistischen Bestrebungen in die politische Planung diffundierten. TenHoors Beitrag eröffnet eine kritische Perspektive auf Modernisierungsdebatten, indem sie am historischen Material deutlich macht, wie darin insbesondere koloniale Räume ausgeblendet wurden oder kolonialer Rassismus medial reproduziert wurde. Den Beiträgen von Crinson und TenHoor gelingt es daher, trotz ihrer eurozentrischen Gegenstandsbereiche, Verstrickungen von Optimierungs- und Modernisierungsversprechen mit fossiler und rassistischer Ausbeutung aufzuzeigen.
Auch Tom Holert untersucht globale Verflechtungen zwischen Architektur und Medien anhand von Zukunftsentwürfen von Bildungs- und Erziehungsarchitekturen in den „langen 1960er und 1970er Jahren“. Dabei analysiert er, wie räumlichen Medien, wie Unterrichtsmöbel lernfördernde Funktionen zugesprochen wurden, welche mit reformpädagogischen Ansätzen und neo-kolonialen Agenden sogenannter „Entwicklungspolitik“ im globalen Süden verbunden waren und wie die Reproduktion von Rassismus gegenüber migrantischen Schüler*innen in Reformschulen mit räumlicher Handlungsmacht verwoben war.
Der Beitrag von Christoph Asendorf blickt ebenfalls auf Fantasien und Entwürfe räumlicher Medien im Lichte globaler Vernetzung. Medial untersucht Asendorf zunächst die Erfahrungen der scheinbar globalen Vernetzung durch Funk- und Radiotechnik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Davon ausgehend diskutiert er verschiedene künstlerische und architektonische Werke der klassischen Avantgarde von Paul Klee bis Sergej Eisenstein, sowie kunst- und kulturtheoretische Klassiker von Aby Warburg bis Walter Benjamin. Anhand dieser Beispiele arbeitet sein Beitrag räumliche Transparenzvorstellungen der klassischen Avantgarde heraus.
Konkret medienhistorisch fällt Beatriz Colominas Text zur Frage der Transparenz zwischen (Bild-)Medien und Architektur aus. Darin untersucht sie die räumlichen Dispositive von Röntgentechnologie und deren Diffusion in Überwachungsarchitekturen an Pariser Bahnhöfen von 1898 bis zu den architektonischen Kontrollfantasien des frühen 20. Jahrhunderts. Dabei zeigt sie Verflechtungen von architektonischen Utopien, technischen Bildmedien und der Kontrolle weiblich gelesener Körper auf und macht anhand dieser Verflechtungen eindrücklich auf das Aufkommen von Transparenz-, Gesundheits- und Kontrolldiskursen aufmerksam, welche im Lichte von Entwürfen zur sensorbasierten Überwachung urbaner Räume während der COVID-19 Pandemie aktueller denn je wirken.[viii]
Wie Moritz Gleich in seinem Beitrag zeigt, reichen mediale Konzepte vernetzter Räume bis ins 18. Jahrhundert zurück und betrafen zunächst nicht primär Städte, sondern die Entwicklung von Haustechniken. Dabei zeichnet er auf Basis von Briefen aus dem frühen 19. Jahrhundert nach, wie sich Konzepte von häuslichem Komfort parallel zu Versprechen der Fernwirkung und Kontrolle von Räumen durch technische Medien entwickelt haben. Gleichs Beitrag gibt daher Einblick in ein frühes Medien-Werden von häuslicher Architektur.
Eine Vorgeschichte digital vernetzter Raumverhältnisse liefert auch Christa Kamleithners Beitrag, der den Fokus auf die epistemische Figur vernetzter Medien schlechthin legt: die Nutzer*innen. Wie Kamleithner zeigt, liegen die Ursprünge nutzer*innenorientierter Gestaltungsansätze nicht nur im Human Computer Interaction (HCI) Design, sondern ebenso in der Architekturgeschichte der 1960er- und 1970er-Jahre. Dazu argumentiert Kamleithner sehr überzeugend, wie Verstrickungen zwischen Architekturtheorie, Planungsdiskursen, Sozialforschung und Infrastrukturausbau über die epistemische Figur der Nutzer*in Utopien durch Computer und Verkehr vernetzte Räume hervorgebracht haben und liefert eine bemerkenswerte Gegengeschichte zu gegenwärtigen Narrativen der Nutzer*innenorientierung in HCI-Design und in digital vernetzten Städten.
Auf eine weitere zentrale Dimension der nutzer*innenorientierter Gestaltung in urbanen Räumen macht Roland Meyer in seinem Beitrag aufmerksam. Er richtetet seinen Blick auf Informationsarchitekturen, das heißt Zeichensysteme, die den gebauten Raum in der Zeit um 1970 zu überlagern schienen, wie das Leitsystem am Flughafen Schiphol von Benno Wissing oder Sensornetzwerke zur Erfassung und Kontrolle von Menschenmassen, wie sie bei der Expo in Osaka eingesetzt wurde. Dadurch liefert er eine bemerkenswerte Analyse von Entwürfen zu Informationssystemen die den urbanen Raum als navigierbaren Datenraum erfahrbar machen sollten, sowie ein medienhistorisches Konzept zur Auseinandersetzung mit dem Informations-Werden des urbanen Raums durch ebendiese Leitsysteme, Interfaces und Sensornetzwerke: die Informationsarchitektur.
Gemeinsame Diskursräume
Der Band gibt spannende Einblicke in materielle und diskursive Vorgeschichten räumlicher Informationssysteme und vernetzter Räume. Er erweitert dabei den historischen Blick auf die Herausbildung von Mobilität-, Kontroll- und Komfortdiskursen; dieser Blick auf das Medien-Werden von häuslichen, ländlichen und urbanen Räumen eröffnet außerdem neue Zugänge zu den eingangs erwähnten kapitalistischen Spekulationen und aktivistischen Imaginationen. Besonders hierfür erweist sich die Zusammenkunft von Architektur- und Medienforschung als produktiv. Und selbst wenn der zeitliche und geografische Horizont, dessen, was die Anthologie als infrastrukturelle Moderne auffasst, zuweilen limitiert ist, macht die Eröffnung eines gemeinsamen Diskursraums zwischen Architektur- und Medienforschung Hoffnung auf weitere Interaktionen zwischen den Disziplinen.
[i] Siehe Cedric Price: „Technology is the answer but what was the question“ (London, 1979), www.pidgeondigital.com/talks/technology-is-the-answer-but-what-was-the-question-/play/ (Stand: 10. Mai. 2024)
[ii] Siehe Tooran Alizadeh, Deepti Prasad: „The Right to the Smart City in the Global South: A Research Agenda“, Urban Studies 61, Nr. 3 (Februar 2024), S. 426–44
[iii] Moritz Gleich Christa Kamleithner (Hg.). Medium unter Medien – Architektur und die Produktion moderner Raumverhältnisse, Basel 2023, S. 11
[iv] Ebd. S. 7
[v] Ebd. S. 9
[vi] Siehe Reyner Banham: The Architecture of the Well-Tempered Environment, Chicago 1969; ARCH+ 93: Reyner Banham (1988)
[vii] Siehe John Durham Peters: Marvelous Clouds – Toward a Philosophy of Elemental Media, Chicago 2015
[viii] Siehe Beatriz Colomina: „The Swanson Lecture Series Presents Beatriz Colomina 10 29 2020“ (Online, 2020), www.youtube.com/watch?v=UduB0tSb480 (Stand: 10. Mai 2024); Beatriz Colomina: „The Swanson Lecture Series Presents Beatriz Colomina 10 29 2020“ (Online, 2020), www.youtube.com/watch?v=UduB0tSb480; Beatriz Colomina: X-Ray Architecture, Zürich 2019; Engin Isin, Evelyn Ruppert: „The Birth of Sensory Power: How a Pandemic Made It Visible?“, Big Data & Society 7, Nr. 2 (Juli 2020)
Anschließend folgt Mark Crinson einem ganz elementaren Medium des fossilen Kapitalismus: dem Rauch industrieller Produktion im Manchester des 19. Jahrhunderts. Dabei will Crinson die Zirkulation und Totalität des fossilen Kapitalismus nachzeichnen und nimmt bei seiner Analyse Romane des 18. Jahrhunderts, Kohleminen, Baumwollfabriken und insbesondere deren in vielen Fällen tödliche Rauchproduktion, sowie den Bau der Rylands Library, die durch Profite ebendieser Industriestätten gestiftet wurde, in den Blick. Durch die Breite dieser miteinander verflochtenen Gegenstände analysiert Crinson sowohl strukturelle Verbindungen und Asymmetrien als auch symbolische Dimensionen des fossilen Kapitalismus im Manchester des 19. Jahrhunderts.
Ähnlich elementare, wie ungerechte Verbindungen legt Meredith TenHoors Beitrag über Entwicklung der Nahrungsmittelversorgung und Landwirtschaft im Frankreich der 1930er-Jahre offen. Anhand einer Analyse von Ausstellungen, Zeitschriften und Filmen erforscht TenHoor mediale Imaginationen des ländlichen und städtischen Infrastrukturausbaus zur Nahrungsmittelversorgung. Medienästhetisch zeigt sie eindrücklich, wie diese Imaginationen durch spezifische Ästhetiken vermittelt wurden, die ausgehend von avantgardistischen Bestrebungen in die politische Planung diffundierten. TenHoors Beitrag eröffnet eine kritische Perspektive auf Modernisierungsdebatten, indem sie am historischen Material deutlich macht, wie darin insbesondere koloniale Räume ausgeblendet wurden oder kolonialer Rassismus medial reproduziert wurde. Den Beiträgen von Crinson und TenHoor gelingt es daher, trotz ihrer eurozentrischen Gegenstandsbereiche, Verstrickungen von Optimierungs- und Modernisierungsversprechen mit fossiler und rassistischer Ausbeutung aufzuzeigen.
Auch Tom Holert untersucht globale Verflechtungen zwischen Architektur und Medien anhand von Zukunftsentwürfen von Bildungs- und Erziehungsarchitekturen in den „langen 1960er und 1970er Jahren“. Dabei analysiert er, wie räumlichen Medien, wie Unterrichtsmöbel lernfördernde Funktionen zugesprochen wurden, welche mit reformpädagogischen Ansätzen und neo-kolonialen Agenden sogenannter „Entwicklungspolitik“ im globalen Süden verbunden waren und wie die Reproduktion von Rassismus gegenüber migrantischen Schüler*innen in Reformschulen mit räumlicher Handlungsmacht verwoben war.
Der Beitrag von Christoph Asendorf blickt ebenfalls auf Fantasien und Entwürfe räumlicher Medien im Lichte globaler Vernetzung. Medial untersucht Asendorf zunächst die Erfahrungen der scheinbar globalen Vernetzung durch Funk- und Radiotechnik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Davon ausgehend diskutiert er verschiedene künstlerische und architektonische Werke der klassischen Avantgarde von Paul Klee bis Sergej Eisenstein, sowie kunst- und kulturtheoretische Klassiker von Aby Warburg bis Walter Benjamin. Anhand dieser Beispiele arbeitet sein Beitrag räumliche Transparenzvorstellungen der klassischen Avantgarde heraus.
Konkret medienhistorisch fällt Beatriz Colominas Text zur Frage der Transparenz zwischen (Bild-)Medien und Architektur aus. Darin untersucht sie die räumlichen Dispositive von Röntgentechnologie und deren Diffusion in Überwachungsarchitekturen an Pariser Bahnhöfen von 1898 bis zu den architektonischen Kontrollfantasien des frühen 20. Jahrhunderts. Dabei zeigt sie Verflechtungen von architektonischen Utopien, technischen Bildmedien und der Kontrolle weiblich gelesener Körper auf und macht anhand dieser Verflechtungen eindrücklich auf das Aufkommen von Transparenz-, Gesundheits- und Kontrolldiskursen aufmerksam, welche im Lichte von Entwürfen zur sensorbasierten Überwachung urbaner Räume während der COVID-19 Pandemie aktueller denn je wirken.[i]
Wie Moritz Gleich in seinem Beitrag zeigt, reichen mediale Konzepte vernetzter Räume bis ins 18. Jahrhundert zurück und betrafen zunächst nicht primär Städte, sondern die Entwicklung von Haustechniken. Dabei zeichnet er auf Basis von Briefen aus dem frühen 19. Jahrhundert nach, wie sich Konzepte von häuslichem Komfort parallel zu Versprechen der Fernwirkung und Kontrolle von Räumen durch technische Medien entwickelt haben. Gleichs Beitrag gibt daher Einblick in ein frühes Medien-Werden von häuslicher Architektur.
Eine Vorgeschichte digital vernetzter Raumverhältnisse liefert auch Christa Kamleithners Beitrag, der den Fokus auf die epistemische Figur vernetzter Medien schlechthin legt: die Nutzer*innen. Wie Kamleithner zeigt, liegen die Ursprünge nutzer*innenorientierter Gestaltungsansätze nicht nur im Human Computer Interaction (HCI) Design, sondern ebenso in der Architekturgeschichte der 1960er- und 1970er-Jahre. Dazu argumentiert Kamleithner sehr überzeugend, wie Verstrickungen zwischen Architekturtheorie, Planungsdiskursen, Sozialforschung und Infrastrukturausbau über die epistemische Figur der Nutzer*in Utopien durch Computer und Verkehr vernetzte Räume hervorgebracht haben und liefert eine bemerkenswerte Gegengeschichte zu gegenwärtigen Narrativen der Nutzer*innenorientierung in HCI-Design und in digital vernetzten Städten.
Auf eine weitere zentrale Dimension der nutzer*innenorientierter Gestaltung in urbanen Räumen macht Roland Meyer in seinem Beitrag aufmerksam. Er richtetet seinen Blick auf Informationsarchitekturen, das heißt Zeichensysteme, die den gebauten Raum in der Zeit um 1970 zu überlagern schienen, wie das Leitsystem am Flughafen Schiphol von Benno Wissing oder Sensornetzwerke zur Erfassung und Kontrolle von Menschenmassen, wie sie bei der Expo in Osaka eingesetzt wurde. Dadurch liefert er eine bemerkenswerte Analyse von Entwürfen zu Informationssystemen die den urbanen Raum als navigierbaren Datenraum erfahrbar machen sollten, sowie ein medienhistorisches Konzept zur Auseinandersetzung mit dem Informations-Werden des urbanen Raums durch ebendiese Leitsysteme, Interfaces und Sensornetzwerke: die Informationsarchitektur.
Gemeinsame Diskursräume
Der Band gibt spannende Einblicke in materielle und diskursive Vorgeschichten räumlicher Informationssysteme und vernetzter Räume. Er erweitert dabei den historischen Blick auf die Herausbildung von Mobilität-, Kontroll- und Komfortdiskursen; dieser Blick auf das Medien-Werden von häuslichen, ländlichen und urbanen Räumen eröffnet außerdem neue Zugänge zu den eingangs erwähnten kapitalistischen Spekulationen und aktivistischen Imaginationen. Besonders hierfür erweist sich die Zusammenkunft von Architektur- und Medienforschung als produktiv. Und selbst wenn der zeitliche und geografische Horizont, dessen, was die Anthologie als infrastrukturelle Moderne auffasst, zuweilen limitiert ist, macht die Eröffnung eines gemeinsamen Diskursraums zwischen Architektur- und Medienforschung Hoffnung auf weitere Interaktionen zwischen den Disziplinen.
[i] Siehe Beatriz Colomina: „The Swanson Lecture Series Presents Beatriz Colomina 10 29 2020“ (Online, 2020), www.youtube.com/watch?v=UduB0tSb480 (Stand: 10. Mai 2024); Beatriz Colomina: „The Swanson Lecture Series Presents Beatriz Colomina 10 29 2020“ (Online, 2020), www.youtube.com/watch?v=UduB0tSb480; Beatriz Colomina: X-Ray Architecture, Zürich 2019; Engin Isin, Evelyn Ruppert: „The Birth of Sensory Power: How a Pandemic Made It Visible?“, Big Data & Society 7, Nr. 2 (Juli 2020)
[i] Siehe Cedric Price: „Technology is the answer but what was the question“ (London, 1979), www.pidgeondigital.com/talks/technology-is-the-answer-but-what-was-the-question-/play/ (Stand: 10. Mai. 2024)
[ii] Siehe Tooran Alizadeh, Deepti Prasad: „The Right to the Smart City in the Global South: A Research Agenda“, Urban Studies 61, Nr. 3 (Februar 2024), S. 426–44
[iii] Moritz Gleich Christa Kamleithner (Hg.). Medium unter Medien – Architektur und die Produktion moderner Raumverhältnisse, Basel 2023, S. 11
[iv] Ebd. S. 7
[v] Ebd. S. 9
[vi] Siehe Reyner Banham: The Architecture of the Well-Tempered Environment, Chicago 1969; ARCH+ 93: Reyner Banham (1988)
[vii] Siehe John Durham Peters: Marvelous Clouds – Toward a Philosophy of Elemental Media, Chicago 2015
[viii] Siehe Beatriz Colomina: „The Swanson Lecture Series Presents Beatriz Colomina 10 29 2020“ (Online, 2020), www.youtube.com/watch?v=UduB0tSb480 (Stand: 10. Mai 2024); Beatriz Colomina: „The Swanson Lecture Series Presents Beatriz Colomina 10 29 2020“ (Online, 2020), www.youtube.com/watch?v=UduB0tSb480; Beatriz Colomina: X-Ray Architecture, Zürich 2019; Engin Isin, Evelyn Ruppert: „The Birth of Sensory Power: How a Pandemic Made It Visible?“, Big Data & Society 7, Nr. 2 (Juli 2020)
Moritz Gleich und Christa Kamleithner, Hrsg., Medium unter Medien: Architektur und die Produktion moderner Raumverhältnisse, Bauwelt Fundamente 173 (Basel: Birkhäuser, 2023)