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Lawrence Weiner / Arsenale Institute
Empfehlung

The Language of Lawrence Weiner (1942 – 2021)

Eine Forschungsausstellung 22. April – 30. Juni 2022
Arsenale Institute for Politics of Representation
Castello 1430 /A, Riva dei Sette Martiri, 30122 Venezia

Nach Anmeldung: frontdesk@arsenale.com

Lawrence Weiner (1942–2021), mit dem in den ersten Dezembertagen des vergangenen Jahres ein Freund gestorben ist, entwickelte seine Werkform und die theoretische Stellung zu ihr Ende der 60er Jahre, um mit großer Konsequenz an beiden als Standpunkt ein Leben lang festzuhalten.

Trotzdem findet sich am Grund seines Tuns ein Paradox. Es ist das Spannungsverhältnis, das es eröffnet, das sein OEuvre im Kern am präzisesten charakterisiert. 

Seine berühmt gewordene Auffassung, Kunst könne ihrem Wesen nach nur die Mitteilung eines Individuums an das andere sein, bestimmte den Schluss, dass sie sich deshalb ganz in das Medium des Denkens, in Sprache also verwandeln müsse. Darin erscheint Weiners kategorischer Schritt zur Verwandlung des Felds des Ästhetischen in diese Form von Geist – sie wurde gegen seinen Widerstand der Entstehung der Konzeptkunst zugemessen – einerseits als eine radikale Einlösung des Verdikts des Philosophen G. W. Hegel zum Ende der Kunst.

Dieser antizipierte im Angesicht einer Gesellschaft, die sich unter dem Einfluss von Naturwissenschaften, Mechanisierung und beginnender Industrialisierung zunehmend mit geistigem Gehalt aufgeladenen Formen und Inhalten von Kunst zuwandte, den Verlust ihrer inneren Natur, der Sinnlichkeit. Deshalb befand Hegel, alle Kunst sei nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung ein Vergangenes. Weiner, so meint man, mache mit eben dieser Bestimmung ernst. Seine am meisten zitierte, von ihm selbst oft wiederholte und deshalb am meisten mit ihm verbundene Declaration of Intent von 1968 liest sich wie die Affirmation eben dieser Diagnose Hegels: Ob die Idee des Künstlers, auf die es einzig ankomme, auch ausgeführt werde, sei für sie nicht mehr entscheidend. Der dritte Teil des Syllogismus besagt deshalb: The piece need not be built.

Andererseits aber insistierte Weiner stets darauf, dass die von ihm gefundene Gestalt der Statements, sei es als typographische Konstruktion, als Schriftbild an der Wand, gedruckt auf Papier, auf einem vom Flugzeug gezogenen Schriftband am Himmel oder in einem seiner subversiven Künstlerbücher, gerade nicht der Qualität des Sinnlichen entbehrten, sondern wesentlich in ihrer Materialität bestünden. Denn Sprache kommt ohne den Zeichenkörper nicht zur Welt. Sie muss Laut oder Schrift werden, um zu sich selbst zu kommen und der intersubjektiven Verständigung in bedeutungsvollen Signalen fassbar zu werden. Sie muss sich also verdinglichen.

Lawrence Weiner bezog sich seit seiner Jugend stark auf die Literatur der Philosophiegeschichte, besonders die der Sprachphilosophie. Aus den Gesprächen mit ihm geht hervor, dass ihn dabei kein anderer mehr prägte als Ludwig Wittgenstein, ein Autor, der zwei einander diametral widersprechende Konzepte von Sprache hinterließ. Die Auflösung des Rätsels eines körperlichen Daseins von Geist in der geschriebenen Sprache, die dem Gedachten erst zur Wirklichkeit verhilft – der eigentümlichen Praxis Lawrence Weiners also –, liegt in Wittgensteins erstem Theorie-Entwurf des Tractatus logico-philosophicus von 1921. In diesem Text unterstellt Wittgenstein gleichsam subkutan eine Abbildtheorie der Sprache. Die Wahrheit einer Aussage bestünde in der Äquivalenz der syntaktischen Ordnung von Wörtern mit der physischen Ordnung realer Dinge, deren Namen sie sind.

Liegt diese Entsprechung von Sprachstruktur und empirischer Struktur vor, dann und nur dann könne man von einem vernünftigen Satz sprechen, über dessen Wahrheit sich entscheiden lasse.

Dieses Begriffs wegen sah Lawrence Weiner die Elemente seiner Sprachspiele auch als Objekte an, als Skulpturen im Raum, denen selbst wieder jene haptische Handgreiflichkeit und materielle Präsenz eignet, wie die der Gegenstände, über die sie urteilen.

Das Weinersche Werk im Mittelpunkt dieser Installation ist hierbei von besonderer linguistischer Kunstfertigkeit und gedanklicher Raffinesse. Würde man den überaus lakonischen Satzbau der englischen Originalfassung ins Deutsche übertragen, bedürfte man einer gedoppelten Subordination in zwei Nebensätze mit drei Kommata, ohne die die Phrase nicht dekodierbar wäre. Als wörtliche Transliteration hieße es: Eine Bestimmung, wo das, was ins Abseits fällt, ruht.

Würde man eine kolloquiale Weise der Alltagsrede bevorzugen, wie Weiner das selbst oft getan hat, ergäbe sich etwa dies: Eine Bestimmung, wo das, was heruntergefallen ist, liegenbleibt.

Die Satzstellung bringt das Verbum ans Satzende, das in der typographischen Gestaltung die unterste Zeile bildet, in der es vereinzelt zu stehen kommt. So vertritt physisch das geschriebene Zeitwort eben das Objekt, das ins Abseits fiel und liegenblieb. Auf diese Weise gelingt es Lawrence Weiner, die Welt als Wort zu fassen und das Wort wieder zur Welt zu bringen.

Zu den Erkenntnisinteressen des Arsenale Instituts zählt auch Weiners OEuvre und im Speziellen seine Beziehung zu Ludwig Wittgensteins Philosophie. Weil wir uns darin einig waren, dass seine singuläre Rolle in der Kunst der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in der Medienreaktion auf seinen Tod weder in den USA noch in Europa angemessen erkannt und ausgesprochen wurde, wurde zum Anlass der 59. Biennale in Venedig im Jahr 2022 der Projektraum des Instituts seiner Erinnerung gewidmet.

Dank der Unterstützung durch Alice Weiner war es möglich, eben jene Wandarbeit zu präsentieren, deren linguistische Schönheit und konnotative Vieldeutigkeit unter allen seinen Arbeiten besonders zu faszinieren anhält. Sie war bislang nur dreimal öffentlich zu sehen und wurde noch nie publiziert.

Neben diesem Werk, das im Zentrum des Vorhabens steht, werden alle seine Künstlerbücher bis zur Grenze des Jahres 1980 ausgelegt, als der Kunstmarkt diese Artikulationsweise des underground in sein Geschäft aufzunehmen begann . Die Vollständigkeit im Zeigen dieses wichtigen Mediums der Sprache von Lawrence Weiner ist nicht einfach zu erreichen, weil in einigen Fällen weltweit nur mehr eine Handvoll Exemplare existieren. Nach unserem Kenntnisstand waren sie in diesem Umfang noch nicht zugänglich.

Kein anderer Künstler seiner Generation zeichnete sich durch eine solche Großzügigkeit und Freundlichkeit gegenüber den Menschen aus, denen er in seiner Vielsprachigkeit begegnete. Sprache bestimmte nicht nur die Ausdrucksform seines Werks, sondern auch die Art und Weise, wie er sein Leben führte. Das Projekt ist in seiner Intimität deshalb auch eine Erinnerung an das conversation piece eines mit ihm vor neun Jahren verbrachten Tages im Garten auf einer Insel in der venezianischen Lagune. Er galt dem Austausch, in dem der Zweck seiner Kunst liegt.

Wolfgang Scheppe, Venedig, 19. April 2022

Mehr Informationen: arsenale.com