Das vor vier Jahren eröffnete Humboldt Forum präsentiert sich in der Hülle des Schlosses des preußischen Königtums beziehungsweise des Deutschen Kaiserreichs. Als idealisierte Deckerinnerung verdrängt es die komplexe Geschichte des Ortes im 19. und 20. Jahrhundert: Imperialismus und Unterdrückung der Minderheiten, die Revolution von 1918, die Zeit der Weimarer Republik, des Zweiten Weltkriegs, der Deutschen Teilung und der DDR, aber auch der friedlichen Wiedervereinigung und der kulturellen Aneignung des Palastes der Republik. Zur Geschichte des Ortes gehört inzwischen auch die Rolle rechtsradikaler Kreise bei der „originalgetreuen“ Rekonstruktion. Ebenso problematisch ist das Nicht-Verhältnis der äußeren Erscheinung des Gebäudes zum Nutzungskonzept des Humboldt Forums. Der legitimatorische Verweis auf die königlichen Kunstkammern kann diese Diskrepanz nicht überbrücken und stellt zudem eine Beziehung zur kolonialen Dimension preussisch-deutscher Geschichte her, welche zu Recht unter große Kritik geraten ist.
Aus diesen Gründen haben Architekt*innen, Künstler*innen, Publizist*innen und Wissenschaftler*innen die Initiative Schlossaneignung gegründet, die vom Bund als Eigentümer und Betreiber des Humboldt Forums fordert, die mit dem Nachbau der Berliner Schlossfassaden erfolgte Preußenverherrlichung aufzubrechen, die Fassaden des Humboldt Forums weiterzuentwickeln und für andere Perspektiven auf die deutsche Geschichte zu öffnen. Damit würde auch der Instrumentalisierung des Projektes durch rechtsradikale Kreise der Boden entzogen, die für den „originalgetreuen“ Wiederaufbau geworben und gespendet haben.
Der Status quo sollte nicht als Endpunkt eines schmerzvollen Prozesses verstanden werden, sondern als Ausgangspunkt, der transformiert und entwickelt werden kann im Rahmen einer Umbaukultur, die sich unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven auf die Geschichte öffnet und der Diversität der heutigen Gesellschaft Rechnung trägt.
Als erstes Projekt lädt ein Ideenaufruf dazu ein, künstlerische Ideen zu entwickeln, wie die bislang verdrängten Dimensionen der Geschichte und des Ortes in die Fassaden des Humboldt Forum eingeschrieben werden können. Neben permanenten, physischen Formen der Intervention sollen auch temporäre, performative und künstlerisch-forschende Arbeiten berücksichtigt werden. Ebenso sind künstlerische Beiträge möglich, die sich mit einer grundlegenden Änderung an der Programmierung, der Governance und dem Umgang mit den Sammlungen befassen, wenn sich diese Vorschläge auch in den Stadtraum abzeichnen – denn es bleibt unverzichtbar, die gegenwärtige Prägung des öffentlichen Raums durch den Bau infrage zu stellen. Die Ausschreibung wird am 13. Juni veröffentlicht, die Resultate des Calls im Herbst in der neuen Gesellschaft für bildende Künste nGbK Berlin vorgestellt und publiziert.
Vorstellung der Initiative bei Aedes
Donnerstag, 13. Juni, 18:30 Uhr
Christinenstraße 18-19, 10119 Berlin
Eintritt frei, Anmeldung erbeten
Am 13. Juni stellt sich die Initiative im Aedes Architectural Forum in Berlin vor und wird ihr erstes Projekt, den Ideenaufruf an Künstler*innem, Architekt*innen und Gestalter*innen öffentlich bekanntgeben. Weitere Informationen finden sich auf schlossaneignung.de
Vertreter*innen der Initiative Schlossaneignung sind an diesem Abend Elisabeth Broermann (Architects for Future), Kristin Feireiss (Aedes), Annette Maechtel (nGbK), Anh-Linh Ngo (ARCH+), Philipp Oswalt (Architekt und Publizist) und Jürgen Zimmerer (Historiker). Im Anschluss diskutieren sie mit Gabi Dolff-Bonekämper, Kunsthistorikerin; Thomas Hacker MdB (Europa- und medienpolitischer Sprecher der FDP Bundestagsfraktion, Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Humboldt Forum) und Awet Tesfaiesus MdB (Obfrau der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Kultur und Medien, Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Humboldt Forum).
Bildmaterial zu den verdrängten historischen Spuren und zur Thematik rechtslastiger Spender findet sich hier.