Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
mit Betroffenheit haben wir zur Kenntnis genommen, dass für zwei denkmalwürdige Gebäude der Charité konkrete Abrisspläne verfolgt werden:
– der so genannte Mäusebunker (Tierversuchslaboratorien der Freien Universität), Abrisstermin im dritten Quartal 2020;
– das Gebäude des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité, es liegt eine sogenannte Beseitigungsanzeige vor.
Durch zwei schriftliche Anfragen und die Beantwortung durch den Senat (Drucksache 18 / 21 963 und Drucksache 18 / 18 760) haben wir zur Kenntnis genommen, dass für den „Mäusebunker“ das Grundstück für die Bedarfe der Wissenschaft weiterhin als erforderlich angesehen wird. Vor Jahren hat die Charité entschieden, einen Ersatzneubau zu errichten. Eine mögliche und zudem wirtschaftliche Alternativnutzung des Bestandsgebäudes wurde für die Bedarfe der Wissenschaft nicht gesehen. Die Liegenschaft sei Gegenstand unterschiedlicher Untersuchungen für vorstellbare andere öffentliche oder private Nutzungen – stets unter der Prämisse des Abrisses des Bestandsgebäudes.
Uns ist bewusst, dass das Gebäude für die Charité hinsichtlich der Asbestbelastung und der Havarien eine schwere Last ist. Wir plädieren daher auch nicht für eine Fortsetzung der derzeitigen Nutzung, sondern für eine Prüfung von Alternativnutzungen unter Wahrung der Außenhülle, besser noch unter Wahrung denkmalpflegerisch wertvoller Innenbereiche.
Mit Stand 27. Januar 2020 wurde dem Abgeordnetenhaus mitgeteilt, dass die Prüfung der denkmalrechtlichen Unterschutzstellung und der Eintragung in die Denkmalliste noch nicht abgeschlossen ist. Es freut uns, dass dem Senat der Wert des „Mäusebunkers“ als ein Schlüsselwerk des Brutalismus bewusst ist, wie die Beantwortung der schriftlichen Anfrage Drucksache 18 / 18 760 dokumentiert. Die Aufnahme in zahlreichen Veröffentlichungen belege das große und anhaltende Interesse und den Stellenwert des Gebäudes, so der Senat. Dies drückt sich auch in einer Petition – gerichtet an Sie und Herrn Dr. Klaus Lederer – aus, mit der der Erhalt des „Mäusebunkers“ und des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin verfolgt wird (www.change.org/p/michael-müller-rettet-den-mäusebunker-und-das-ehemalige-institut-für-hygiene-und-mikrobiologie). Auch nehmen wir wohlwollend zur Kenntnis, dass das Landesdenkmalamt die geschichtliche, künstlerische, städtebauliche und wissenschaftliche Bedeutung der beiden Lehr- und Forschungsgebäude anerkennt und der Landesdenkmalrat Berlin die Erhaltung empfiehlt.
Da die Charité für beide Bauten bereits vor Prüfung der Denkmalbedeutung Abrissanzeigen eingereicht hat und das Areal für eine zukunftsfähige Wissenschaftsnutzung vorsieht, stehen sich zwei öffentliche Interessen gegenüber, die abgewogen und nach Möglichkeit in Einklang gebracht werden müssen.
Als stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Berliner Linksfraktion und als Chefredakteur der Architekturzeitschrift ARCH+ bitten wir Sie daher, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, in Ihrer Funktion als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Charité einen voreiligen Abriss der beiden Gebäude, die den historischen Anspruch Berlins als Wissenschaftsstandort dokumentieren und international wertgeschätzt werden, als Vorwegnahme des ausstehenden Ergebnisses der Denkmalprüfung nicht zuzulassen. Im Fall des Vorliegens der Denkmaleigenschaft bitten wir Sie, Untersuchungen zu geeigneten Nachnutzungsoptionen zu veranlassen und der Charité alternative Grundstücke anzubieten.
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, uns ist sehr bewusst, dass die Regierungspolitik wie auch die Charité in der derzeitigen Corona-Krise vor enormen Herausforderungen stehen und unser Anliegen möglicherweise nicht vorrangig berücksichtigt werden kann. Für diesen Fall bitten wir Sie, sich dafür einzusetzen, dass unter den aktuellen Bedingungen an den beiden Abrissterminen nicht mehr festgehalten wird und die Sache in hoffentlich bald ruhigeren Zeiten mit Bedacht entschieden wird.
Für eine wohlwollende Prüfung unseres Anliegens und eine Antwort über das Ergebnis wären wir Ihnen sehr dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Katalin Gennburg & Anh-Linh Ngo