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Offener Brief gegen die Entstellung der ehemaligen GSW Hauptverwaltung zu Gunsten von Amazon & Co.

Offener Brief jetzt unterzeichnen

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Auftrag der Eigentümer des Gebäudeensembles, das in den 90er Jahren als GSW Hauptverwaltung in der Rudi Dutschke Straße, Berlin Kreuzberg errichtet wurde, planen Sie, die Sonnenschutzanlage auf der Westseite des Turmes auszutauschen. Sie haben angekündigt, diese Konvektionsfassade in ihrer Machart und Funktionsweise sowie in ihrer charakteristischen Farbgebung zu verändern. Sie haben vor, die geschosshohen, dreh- und verschiebbaren Sonnenschutzpaneele aus perforiertem, in 9 Sonderfarben beschichteten Aluminiumbleche zurückzubauen und durch Stoffbehänge zu ersetzen, die am Ort fixiert sind und lediglich vertikal auf- und wieder eingerollt werden können. Diese Stoffbehänge sollen in Farben ausgeführt werden, die aus der Farbtabelle eines bestimmten Anbieters ausgewählt werden und von der bisherigen Farbgebung der Fassade vollständig abweichen. Das nun (von Ihnen) als „Rocket Tower“ bezeichnete Gebäude, in das neben Rocket Internet auch Amazon eingezogen sind, erhalte so ein „neues Gesicht“, nach ihrer Argumentation.

Die Änderung der Fassade stellt eine grobe Entstellung des Gebäudes dar. Wir fordern Sie auf, diese Pläne aufzugeben, die Fassade anstatt dessen zu reparieren und die Farbgebung zu erhalten und ggf. durch eine Farbbeschichtung der Bestandspaneele aufzufrischen.

Der von Ihnen geplante Austausch des spezifisch für das Gebäude entworfenen Verschattungssystems mit einem banalen Universalprodukt entstellt das Gebäude auf eine brutale Art. Er verunglimpft die Logik einer Architektur, die ganz in der Reaktion auf das Klima (Wind, Konvektion, Querlüftung, Sonnenstand) hin entworfen ist und die natürlichem Umgebungskomfort am Arbeitsplatz und maximale Flexibilität in der individuellen Licht- und Blicksteuerung ohne verschwenderischen Energieaufwand erzielt. Das Gebäude erhält seine spezifische Erscheinung auf Grund seiner Reaktion auf die natürliche Umwelt und ist deshalb zu dem ikonischen Pionier des nachhaltigen Bauens geworden, der bis heute weltweit Aufmerksamkeit genießt. Sowohl die Farbigkeit als auch die Funktionsweise dieser Sonnenschutzpaneele sind integraler Bestandteil der Architektur des Hauses. Die von Ihnen angedachte Veränderung stellt daher einen grundlegenden Eingriff dar, die das bestehende Werk entstellt – ganz abgesehen von den hohen Kosten, die mit einem Austausch der Bestandsanlage verbunden wären, und der vergleichsweise hohe Menge CO2 die durch eine solche Maßnahme emittiert würde. Leisten Sie dem Klimawandel keinen Vorschub sondern senden Sie stattdessen mit der Reparatur der Fassade ein zeitgemäßes Signal der Abfallvermeidung und der Ressourcenschonung!

Die ehemalige GSW-Hauptverwaltung war im Jahr 2000 Träger des Berliner Architekturpreis und erhielt zahlreiche weitere Preise, darunter den Bauphysikpreis 2003 und den Benedictus Award 2003 und wurde nominiert für den Mies van der Rohe Award und den Stirling Prize. Das Modell ist Teil der MoMA Architecture Collection. Das Gebäude erfährt national und international hohe Wertschätzung als eine Ikone und ein Pioniergebäude des klimabewussten Bauens. Seine äusserliche Präsenz und insbesondere die Farbigkeit des Gebäudes bestimmt den Stadtraum Berlins, der allen Menschen öffentlich zugänglich ist, und trägt wesentlich zur Identität des Ortes und seiner Bevölkerung bei. Wir fordern Sie nachdrücklich auf, von der unnötigen Verschandelung dieses Bauwerks durch den unreflektierten Austausch des für die Identität des Gebäudes so zentralen Sonnenschutzsystems abzusehen.

Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton und Juan Lucas Young

Wir freuen uns bereits eine Reihe von prominenten Erstunterzeichner*innen gewinnen zu können! Unter anderem befinden sich darunter:
Prof., Dipl. Ing. Thomas Auer, Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen, TU München; Partner TRANSSOLAR, Klimaengineering, Stuttgart, München, New York
Prof., Dr. mult. Barry Bergdoll, Meyer Schapiro Professor of Art History, Columbia University, New York City, U.S.A.
Prof. Aaron Betsky, School of Architecture and Design at Virginia Tech, Blacksburg, VA, USA
Prof. em, Dipl. Ing. Kees Christiaanse, ETH Zürich, Gründungsdirektor KCAP Architects and Planners Rotterdam, Zürich, Shanghai
Prof. Jean Louis Cohen, Sheldon H. Solow Professor in the History of Architecture am Institut für schöne Künste, New York University, New York City, U.S.A.
Hans-Jürgen Commerell, Direktor Aedes Architekturforums sowie Aedes Network Campus Berlin
Prof. Olafur Eliasson, Künstler
Prof., Dr. hc, FRIBA hon. Kristin Feireiss, Gründungsdirektorin Aedes Architekturforum und Aedes Network Campus Berlin
Prof. (EoE TUM), Dipl.-Des., Fritz Frenkler, Direktor AdK, Berlin. Im Namen der gesamten Sektion Baukunst der Akademie der Künste, Berlin
Dipl. Arch. ETH/SIA/BSA Patrick Gmür, Direktor Amt für Städtebau der Stadt Zürich a.D.; Gründungspartner von Steib Gmür Geschwentner Kyburz Partner AG, Zürich
Prof. Katharina Grosse, Kunstakademie, Düsseldorf, Vorstand Kunstwerke e.V., Berlin
Prof. Daniel Libeskind, Architect
Prof. Dipl. Arch. ETH/BDA Regula Lüscher, Universität der Künste, Senatsbaudirektorin/Staatssekretärin Berlin a.D.
Prof. Volkwin Marg, Gründungspartner Architekten von Gerkan, Marg und Partner
Prof. Dr.-Ing. h.c HG Merz, Stellvertretender Direktor. Im Namen der gesamten Sektion Baukunst der Akademie der Künste, Berlin; Founding Partner mm+ | merz merz gmbh & co. kg
Prof. Mohsen Mostafavi, Alexander and Victoria Wiley Professor und ehemaliger Dekan der Graduate School of Design, Harvard University, Cambridge MA. USA
Dipl. Ing. Anh-Linh Ngo, Chefredakteur und Mitherausgeber der ARCH+
Prof. Olaf Nicolai, Künstler, Akademie der Bildenden Künste, München
Prof. Karin Sander, Künstlerin, ETH Zürich Dept. Architecture and Art
Dr. Barbara Steiner, Direktorin und Vorstand der Stiftung Bauhaus Dessau
Prof., Dipl. Ing. Christiane Thalgott, Ehemalige Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München
Prof., Dipl. Ing. Jörn Walter, Oberbaudirektor der Freien und Hansestadt Hamburg a.D.

Auch Sie können den Offenen Brief mitunterzeichnen und gegen die Entstellung dieses wichtigen Baus protestieren: change.org