Das Beispiel des „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“ zeigt: Noch nie seit 1945 war die Architektur-Reaktion in Deutschland so professionell organisiert und erfreute sich so großer Unterstützung wie heute. Wie konnte es soweit kommen?
Seit geraumer Zeit schwelt in Deutschland ein Konflikt unter Architekt*innen und Stadtplaner*innen, der an Schärfe alles in den Schatten stellt, was in den letzten Jahrzehnten in der Branche diskutiert wurde. Erklärungen jagen Gegenerklärungen, die ihrerseits wiederum Gegen-Gegenerklärungen provozieren. Fronten tun sich oftmals aus heiterem Himmel auf: in Stadtplanungsämtern, Fachkongressen und Fakultäten. Im Zentrum der Debatte steht der Architekt Christoph Mäckler.
Der umtriebige Frankfurter hat viel vor: An die Stelle der Stadtplanung soll nichts weniger als „Stadtbaukunst“ treten.[1] Das mag für manche Architekt*innen, vor allem aber für die breitere Öffentlichkeit erst mal ganz verführerisch klingen. Doch mit Hilfe seines 2008 an der TU Dortmund gegründeten selbsternannten „Deutschen Institut für Stadtbaukunst“, das ursprünglich nur „Dortmunder Institut für Stadtbaukunst“ heißen sollte (was aber an der Kritik von Kolleg*innen an der TU Dortmund scheiterte), hat es Mäckler innerhalb von nur zehn Jahren geschafft, in der deutschen Architektur und Stadtplanung eine ultrakonservative Wende herbeizuführen. Diese Wende kulminierte in der im Mai 2019 veröffentlichten „Düsseldorfer Erklärung“– gegen die sich kurz nach Erscheinen lautstark Protest regte, und zwar von 50 namhaften Professor*innen, die an Entscheidungsträger*innen von Bund, Ländern und Kommunen appellierten, die „Düsseldorfer Erklärung“, die seit April 2020 auch in Buchform[2] [Abb. VII.1] vorliegt, kritisch zu hinterfragen.
Nun dürfte der nächste Eskalationsschritt anstehen. Denn trotz der scharfen Kritik an der „Düsseldorfer Erklärung“ sollen deren Inhalte laut Bundesarchitektenkammer (BAK) „zeitnah an das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) übergeben werden”.[3] Das Ganze wird als „Stuttgarter Konsens” verkauft – was insofern irritiert, als keiner der Kritiker*innen der Erklärung an irgendeiner angeblichen Konsensbildung überhaupt beteiligt war. Durch den beispiellosen Vorgang gerät auch die seit 2013 amtierende Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann, immer mehr in die Kritik. Ihr Name steht nicht nur für das Debakel um die Personalie Florian Pronold als Gründungsdirektor der Berliner Bauakademie, sondern auch für die einseitige Übernahme der Standpunkte des Mäckler-Instituts durch eine berufsständische Organisation, die auf nationaler und internationaler Ebene die Interessen von über 135.000 Architekt*innen in Deutschland gegenüber Politik und Öffentlichkeit vertritt.[4]
„Leipzig-Charta / Neue Leipzig-Charta“ (2007/2020), „Kölner Erklärung“ (2014), „100% Stadt“ (2014), „Düsseldorfer Erklärung“ (2019) und „Gegen die Düsseldorfer Deregulierung“ (2019)
Doch um was geht es inhaltlich überhaupt? Zentraler Streitpunkt bei der Debatte um die „Düsseldorfer Erklärung“ ist die Frage, wie die „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ zu deuten und umzusetzen ist. Sie wurde im Jahre 2007 – also kurz vor Gründung des Instituts – von jenen 27 Minister*innen verabschiedet, die seinerzeit in Europa für Stadtentwicklung zuständig waren (eine Neufassung namens „Neue Leipzig-Charta“, die einen Schwerpunkt auf die Gemeinwohlorientierung europäischer Städte legt, wurde am 29. November 2020 beim Informellen Ministertreffen zur Stadtentwicklung im Rahmen der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschlossen). Mit der Leipzig-Charta wurden gemeinsame Grundsätze und Strategien für eine europäische Stadtentwicklungspolitik festgelegt: eine „integrierte Stadtentwicklung“ unter Einbeziehung nicht nur der Wirtschaft, sondern auch von Interessengruppen und der Öffentlichkeit im allgemeinen; eine aktive Innovations- und Bildungspolitik; so die Modernisierung der Infrastrukturnetze und die Steigerung der Energieeffizienz; die Herstellung und Sicherung qualitätsvoller öffentlicher Räume einschließlich der Pflege historischer Bausubstanz, und zwar mit dem Ziel, nicht nur die Lebensqualität von Bewohner*innen zu steigern, sondern auch den Tourismus zu fördern. Die Zukunft der „europäischen Stadt“ wird im „Konzept der Mischung von Wohnen, Arbeiten, Bildung, Versorgung und Freizeitgestaltung in den Stadtquartieren“ gesucht, verbunden mit einem partizipativen Ansatz, der „die beteiligten Akteure zusammenführt“, „Netzwerke unterstützt und Standortstrukturen optimiert“. Denn: „Integrierte Stadtentwicklung fördert den sozialen und interkulturellen Dialog.“[5] Eine moderate, konsensfähige Erklärung.
Einige Jahre später setzte das „Deutsche Institut für Stadtbaukunst“ zum großen konservativen Hijacking der Leipzig-Charta an, und zwar zunächst 2014 mit der „Kölner Erklärung“. In dem von Mäckler, dessen einstigen TU-Dortmund-Kollegen Wolfgang Sonne und weiteren Autor*innen verfassten Text heißt es unter anderem: „Deutschland war noch nie so wohlhabend, seine Stadträume aber noch nie so armselig. Die Planungssysteme waren noch nie so ausgefeilt, die Bürger aber erhielten noch nie so wenig städtebauliche Qualität.”[6] So weit, so sicherlich nicht falsch. Doch auf die zutreffende Diagnose folgt ein umstrittener Therapievorschlag, mit dem auf die Komplexitätsanforderungen der Gegenwart mit einem kleinen „Einmaleins des Städtebaus“ reagiert werden soll: der Klippschulgeometrie von „Straße, Block und Haus“ und Gebäuden mit „anschauliche[r] Straßenfassade“.[7] Bereits das Logo des Instituts mit seinen giebelständigen Häuschen auf schmalen Parzellen spielt auf diese Geschmackspräferenz an [Abb. VII.2]. Es passt, dass von Mäckler auch die architekturtheoretische Grobschlächtigkeit „Flachdach ist spießig“[8] überliefert ist.
Gegen derlei rein ästhetische Angebote stellten sich kurz nach Veröffentlichung der „Kölner Erklärung“ 26 etablierte Städtebauprofessor*innen, darunter Uwe Altrock (Universität Kassel), Christina Simon-Philipp (Hochschule für Technik, Stuttgart) und Jörg Stollmann (TU Berlin). Mit dem Positionspapier „100% Stadt“ entlarvten sie das von Mäckler, Sonne und anderen verfasste Dokument als neoliberale Kosmetik, die von den eigentlichen Problemen der Städte und Deutschland und darüber hinaus ablenke: „Die finanzielle und die Planungshoheit über die Grundstücke und die Gebäude liegen in der Regel nicht bei den Stadtplanern. Der Boden und die Stadt sind ein wohlfeiles Gut geworden, und das sieht man unseren Städten an. […] Privatisierung von Daseinsvorsorge ist eine Sackgasse, und Städte stellen keine Produkte her.“[9] Die Autor*innen rufen dazu auf, zeitgenössische Leitbilder zu entwickeln, bei denen städtische Atmosphären nicht allein mithilfe eines simplistischen „Zurück in die gute alte Zeit“-Denkens erzeugt werden: „Jede lebendige Stadt besteht vor allem aus den Erzählungen der Vergangenheit und den gegenwärtigen Erwartungen an die Zukunft. Beides muss im Nebeneinander seinen Ausdruck in Städtebau und Architektur finden, damit die Bewohner und Bewohnerinnen einer Stadt ihre Geschichte weiter schreiben können.”[10]
Regelrechte Verlautbarungsgewitter entluden sich dann ab dem 7. Mai 2019, als Mäckler, Sonne und weitere Autor*innen ihre „Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht“ veröffentlichten, die unter dem Klaus Staeck entliehenen Motto „Nichts ist erledigt!“ zu einer Reform der städtebaulichen Gesetzgebung aufruft.[11] Um eine massive Erhöhung städtischer Dichte zu erreichen, plädieren die Verfasser*innen gemeinsam mit aktuell[12] 102 Verantwortlichen aus 85 Städten sowie 97 Verbänden, Wissenschaftler*innen und Planer*innen für eine Lockerung entsprechender gesetzlicher Bestimmungen zum Städtebau wie der Baunutzungsverordnung (BAuNVO) mit ihren Nutzungskatalogen und Dichteobergrenzen sowie der Bestimmungen der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm). Auch wenn die Covid-19-Pandemie aktuell das Paradigma der Verdichtung fundamental infrage stellt, so muss daran nicht alles falsch sein, nur: Mit der „Düsseldorfer Erklärung“ wird die Leipzig-Charta, die ausdrücklich keine ästhetischen Empfehlungen gibt, mutwillig in Richtung eines architektonischen Konservatismus verzerrt – und zwar in Richtung einer unterkomplexen Ideologie einer vermeintlich „Europäischen“ Stadt (mit großem „E“). Diese sehen die Verfasser*innen etwa durch einen „privaten Blockinnenraum“ gewährleistet – was eine pseudowissenschaftliche Konstruktion ist, die nicht nur den gesamten mittelalterlichen und vorbarocken Städtebau sowie weite Teile der Architektur- und Städtebaugeschichte des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts aus „Europa“ hinauszukatapultieren meint, sondern auch herausragende Beispiele der zeitgenössischen Urbanistik wie etwa das Zürcher Hunziker Areal übergeht: Dort hat die Baugenossenschaft „mehr als wohnen“ zwischen 2010 und 2015 auf rund 41.000 Quadratmetern Konversionsfläche ein gefeiertes Wohn- und Gewerbequartier für rund 1.200 Personen und etwa 150 Arbeitsplätze realisiert, und zwar ohne Innenhöfe, die oftmals nur schlecht belichtet und belüftet sind.
Das Positionspapier von Mäckler, Sonne und Co provozierte massiven Gegenwind, und zwar aus den Bereichen Architektur, Stadt- und Regionalplanung, Stadt- und Architekturtheorie, Freiraumplanung, Architektursoziologie, Planungsrecht und Städtebau. Diesen Disziplinen entstammen die 50 Professor*innen, die widersprachen – darunter Nina Gribat (TU Darmstadt), Christine Hannemann (Universität Stuttgart) und Philipp Misselwitz (TU Berlin). Unter dem Titel „Gegen die Düsseldorfer Deregulierung!“ monieren sie, dass die Forderungen der „Düsseldorfer Erklärung“ zur allgemeingültigen Reform der Baunutzungsverordnung nur die Probleme einiger weniger Großstädte tangiere, die sich unter Wachstumsdruck befinden. Doch das Planungsrecht, so die Unterzeichner*innen der Gegenerklärung, gilt „für alle Städte, also auch für Städte mit stagnierender oder zurückgehender Bevölkerung, wie auch für ländliche Räume in ganz Deutschland“.[13]
Vor allem stellten die Forderungen nach Abschaffung von Dichteobergrenzen „ein[en] Aufruf zu Deregulierung“ dar. Dieser befeuere die aktuelle Bodenspekulation – und „dies in einer Situation, in der wir mehr denn je Steuerungsinstrumente benötigen, um die aus den Fugen geratenen Boden- und Wohnungsmärkte zu beruhigen.“[14] Die Unterzeichner*innen von „Gegen die Düsseldorfer Deregulierung!“ warnen: „Die Aufhebung städtebaulicher Dichtegrenzen – ohne Anpassung des bodenpolitischen Instrumentariums – käme damit einer weitgehenden Deregulierung des Bodenmarktes und dem Verlust kommunaler Steuerung gleich.“[15] Für Christa Reicher, die das Institut für Städtebau und europäische Urbanistik an der RWTH Aachen leitet und sowohl „100 % Stadt“ als auch „Gegen die Düsseldorfer Deregulierung!“ unterzeichnet hat, ist die Verlautbarung aus Düsseldorf eine „reaktionäre Erklärung, die Tür und Tor für eine rein renditeorientierte Stadtentwicklung öffnet“.[16]
Der Wissenschaftliche Beirat des „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“ als Hort der deutschen Architekturreaktion
Das Reaktionäre der Düsseldorfer Erklärung und ihrer Verfasser*innen vom „Deutschen Institut für Stadtbaukunst“ beschränkt sich freilich nicht nur auf die ökonomische Dimension einer radikalen Marktorientierung, sondern weist im selben Zuge auch gesellschaftliche und (geschichts-)politische Dimensionen auf. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man die Rolle einiger Akteure des Instituts im Kontext der Errichtung der Neuen Frankfurter Altstadt und der damit verknüpften Diskussionen um die rechtsradikalen politischen Ursprünge des „Dom-Römer-Projekts“ genauer untersucht.
Mäckler hatte bei diesem Projekt den Vorsitz des Gestaltungsbeirates. Wenn er im Südwestrundfunk Sätze sagt wie: „Das ist nicht so, dass da die Chinesen diese Häuser gekauft hätten, sondern das sind alles Frankfurter, die diese Häuser gekauft haben; übrigens zum Teil sogar Frankfurter, deren Familien vor zwei Generationen diese Häuser besessen haben”[17] – dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es manchen deutschen Propagandist*innen der „Europäischen Stadt“ vor allem um eines geht: die „deutsche Stadt“. Das gesellschaftliche und politisch Reaktionäre des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst wird beim Blick auf den „Wissenschaftlichen Beirat“ des Instituts besonders deutlich.
Etwa bei Arnold Bartetzky, der seit 1995 am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa in Leipzig forscht und seit 2016 eine Honorarprofessur für Kunstgeschichte dort an der Universität innehat. Im Rahmen der Diskussionen um das antisemitisch konnotierte Ezra-Pound-Zitat, das der Architekt Hans Kollhoff im Jahre 2001 auf seinen Walter-Benjamin-Platz anbringen ließ, präsentierte sich Bartetzky als vehementer Verteidiger Kollhoffs.[18] Und zwar gegen die Kritik der Stuttgarter Architekturtheoretikerin Verena Hartbaum, die in zwei Publikationen auf den Skandal des Zitats hinwies, in dem mithilfe des Codewortes „Usura“ (lat. für Zins bzw. Wucher) Juden als Verunmöglicher von Häusern „aus gutem Werkstein“ diffamiert werden.[19] Doch Bartetzky kehrte die Sachlage kurzerhand um und warf Hartbaum eine „Diffamierung“ der Person Kollhoffs vor, indem er ihr „Verletzung journalistischer Sorgfaltspflicht“ unterstellte, sie habe Kollhoff nicht um eine Einschätzung gebeten. Hat sie aber, Bartetzky selbst erwähnt sogar den Briefwechsel zwischen Hartbaum und Kollhoff aus dem Jahre 2012, in dem letzterer eine mehr als problematische Erläuterung dafür abliefert, weshalb er auf einem Platz, der ausgerechnet dem jüdischen Nazi-Opfer Benjamin gewidmet ist, eine Bühne für den Faschisten und Antisemiten Pound bietet: „[...] das ist ja das Schöne an der Konfrontation von Walter Benjamin und Ezra Pound, die persönlich ja nicht stattgefunden hat, dass man daran hypothetische Behauptungen knüpfen kann, die nicht selten ein grelles Licht werfen auf die fatale Geschichte des vergangenen Jahrhunderts.“[20] Das ist Täter-Opfer-Relativierung par excellence, die Kollhoff später auch sinngemäß wiederholte, als er Pounds Faschismus und Benjamins revolutionären Sozialismus mit folgenden Worten symmetrisierte: „Beide gescheiterten Hoffnungen muss man vor allem aus ihrer Zeit heraus verstehen. Doch wir dürfen uns fragen, was wir dennoch heute damit anfangen können.“[21]
Die Kunsthistorikerin Annika Wienert vom Deutschen Historischen Institut Warschau kritisiert das Kollhoffsche Pound-Zitat und die apologetische Bartetzkysche FAZ-Berichterstattung mit deutlichen Worten: „Die symbolische Gewalt an Juden und Jüdinnen, welche sowohl die implizite öffentliche Ehrung des Antisemiten und überzeugten Faschisten Ezra Pound darstellt als auch die schiere Präsenz einer antisemitischen Aussage im öffentlichen Raum, wird nicht zu Kenntnis genommen.“[22]
Ein weiteres Beiratsmitglied des „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“ ist der Welt-Architekturkritiker Dankwart Guratzsch, der im September 2018 bei der von Rechtspopulist*innen veranstalteten Tagung „Altstadt 2.0. Städte brauchen Schönheit & Seele“ im Frankfurt Historischen Museum als Redner auftrat.[23] Wenige Monate zuvor hatte er in der Welt das Pamphlet „Ist Fachwerk faschistisch?“[24] veröffentlicht, bei dem er sich vom rechten Publizisten Roland Tichy inspirieren ließ, der Tage zuvor in Tichys Einblick unter dem Titel „Jetzt sind die Fachwerkhäuser dran“[25] Skeptiker*innen der Neuen Frankfurter Altstadt absurderweise unterstellt hatte, sie wollten Fachwerkhäuser dem Erdboden gleichmachen. Guratzschs Welt-Text wurde zur Initialzündung einer Social-Media-Hass-Kampagne aus dem Umfeld der rechtsextremistischen, vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung, bei der mit dem Hashtag „#Fachwerk“ unter anderem gegen „linke Abschaumjournalisten“ gehetzt wird. Es passt ins Bild, dass Guratzsch – ein gebürtiger Dresdner – seiner Geburtsstadt ein „Bombenkriegsmuseum“ wünscht, mit dem der Opfermythos der Stadt vertieft werden soll: „Alle Versuche einer Relativierung, Entmythologisierung und/oder moralischen Kategorisierung dieses Geschehens” seien fehlgeschlagen, schreibt Guratzsch im Dezember 2018 in einem Gastbeitrag der Dresdner Neuesten Nachrichten.[26] Und weiter: „Eine solche Institution würde den ‚Markenkern‘ Dresdens stärken, ihm aber bei näherer Befassung zugleich eine positive Auslegung zuweisen.“[27] Über derlei Stadtmarketing eines Journalisten, der sich 1970 über Die Grundlegung des Hugenbergschen Presseimperiums promovieren ließ, dürften sich insbesondere die Neonazis der Stadt freuen.
Im „Wissenschaftlichen Beirat“ des „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“ sitzt auch Matthias Alexander, langjähriger Ressortleiter des Regionalteils der FAZ und seit Sommer 2020 Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung. Wie Guratzsch, so bezog auch Alexander in der Debatte um die Neue Frankfurter Altstadt als vehementer Dom-Römer-Propagandist Stellung – und positionierte sich damit auch als interner Gegenspieler des FAZ-Architekturkritikers Niklas Maak, der offen gegen die Neue Altstadt argumentierte. Alexander positionierte sich im Laufe der Debatte als Verteidiger des einst linksradikalen und seit geraumer Zeit rechtsradikalen Frankfurt Lokalpolitikers Wolfgang Hübner, der sich nicht nur als Autor von islamfeindlichen und verschwörungstheoretischen Online-Zeitungen wie PI-News / Politically Incorrect und als Björn-Höcke-Verteidiger[28] betätigt, sondern im Jahre 2005 auch die erste parlamentarische Initiative für eine Rekonstruktion der Neuen Frankfurter Altstadt startete.[29] Alexander lobte Hübner ausdrücklich als „einen sehr gebildeten und rhetorisch gewandten Stadtverordneten mit einem Hang zum Populismus“.[30] Mehr noch: Hübner vertrete nur Positionen, die „wenige Jahrzehnte zuvor noch CDU-Mainstream gewesen“ wären. Die Rede ist wohlgemerkt von einem Kommunalpolitiker, der in der „Causa Özil” einen „Sieg all der Kräfte in Deutschland“ vollzogen sieht, „die sich nicht länger der Entnationalisierung und Entwurzelung der globalistischen Profiteure und ihrer Medienpropagandisten beugen wollen“.[31]
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, wenn sich Alexander in der Debatte um eine künftige Nutzung und Umgestaltung der Frankfurter Paulskirche vor allem darüber Gedanken macht, ob der Raum zum Ort der „Selbstvergewisserung eines bestimmten Milieus” werden könnte: „Wird auch die AfD Zutritt haben, ebenso wie Attac?“[32] Alexander ist auch als Autor des Buches Ungebautes Frankfurt hervorgetreten, in dem er geschichtsvergessen Friedrich Krebs, den Frankfurter Oberbürgermeister zwischen 1933 und 1945, zu einer Art „gemäßigten Nationalsozialisten“ fern jeglicher Brutalität stilisiert.[33] Tatsächlich wirkte Krebs jedoch bereits ab 1924 als Frankfurter Ortsgruppenleiter der Nationalsozialistischen Freiheitspartei – einer Ersatzorganisation der damals verbotenen NSDAP, in die er 1929 schließlich eintrat. 1933 verfügte Krebs die Entfernung aller jüdischen Angestellten und Beamt*innen der Stadt aus dem Amt. 1941 hielt er anlässlich der Eröffnung von Alfred Rosenbergs „Frankfurter Institut zur Erforschung der Judenfrage“ eine der Festreden.
Auch Harald Bodenschatz, einer der einflussreichsten Stadtsoziologen und Stadtplanungshistoriker Deutschlands, engagiert sich im Wissenschaftlichen Beirat des „Deutschen Institut für Stadtbaukunst“. Der ehemalige Professor für Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin ist Autor vieler herausragender Werke wie 1987 die Publikation Platz frei für das neue Berlin! Geschichte der Stadterneuerung in der „größten Mietskasernenstadt der Welt“ seit 1871. Er schreibt sich von der Analyse der kommunistisch geprägten Stadtpolitik Bolognas um 1970 her, die er 1979 in seiner gerade auch heute wieder lesenswerten Dissertation Städtische Bodenreform in Italien[34] untersuchte. Darin legt er dar, wie die politische Linke in Gestalt der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) in Bologna sich ab Ende der 1960er-Jahre radikal von der modernen Architektur abwandte und Pläne etwa für Wohnsiedlungen in Vorstädten und andere Großprojekte in die Schublade beförderte. Stattdessen sollte es künftig um die Erhaltung historischer Innenstädte gehen, und zwar mithilfe eines mutigen politischen Projekts: dem Versuch einer Synthese von Denkmalschutz und sozialem Milieuschutz via Bodenreformen und weiterer begleitender Maßnahmen. Doch das Projekt scheiterte, vor allem aufgrund des Widerstands gegen Enteignungen.
Die langfristigen Folgen dieser und ähnlicher Entwicklungen in Bologna und auch anderswo zeigen sich heute in verschiedenen Biografien von Achtundsechzigern, vor allem in jener von Bodenschatz: Das Projekt einer Sozialpolitik der (alten) Stadt wurde weitgehend aufgegeben, um sich fortan ganz auf die – deutlich einfacher zu habende – Bildpolitik einer „alten Stadt“ zu konzentrieren. Vor diesem Hintergrund müssen die jüngeren Verlautbarungen Bodenschatz’ zur Rekonstruktion einer Berliner Altstadt nach Frankfurter Vorbild verstanden werden,[35] mit denen er seinen guten Ruf als Wissenschaftler riskiert. So bemühte er vor einiger Zeit in einem umstrittenen Tagesspiegel-Artikel die Argumentation, dass im großzügigen Freiraum des Marx-Engels-Forum – also dort, wo es in Berlin einst eine besonders hohe Dichte von Immobilien im Besitz von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern gab – ein „christlich-jüdisches Symbiose-Experiment ohne Vorbild in der europäischen Geschichte“ geherrscht habe, an das man nun doch mit einer Rekonstruktion anknüpfen solle.
Wenngleich Bodenschatz seinen Vorschlag im Bewusstsein einer Geschichte von „Toleranz und Intoleranz, Zerstörung und Aufbau“ formuliert, so verharmlost er damit doch eine lange Diskriminierungs- und Pogromgeschichte jüdischer Menschen in Preußen zu einer „guten alten Zeit“ der Toleranz, die historisch schlicht nicht belastbar ist.[36] Zudem macht er sich unfreiwillig kompatibel mit der patriotischen Rechten, die sich in Gestalt der Berliner AfD schon seit längerem eine Rekonstruktion des Schlossumfeldes mit auf die Fahnen geschrieben hat.[37] Die Entschädigung der Nachkommen ehemaliger jüdischer Eigentümer*innen, deren Immobilienbesitz zwischen 1933 bis 1945 „arisiert“ wurde und sich in Verlängerung von Inanspruchnahmen der DDR nach wie vor zu großen Teilen in staatlichem Besitz befindet, ist geboten, aber nicht durch kompensatorische Stadtbildpolitik zu ersetzen.[38]
Wie konnte es soweit kommen?
Im Wissenschaftlichen Beirat des „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“ sitzen nicht nur konservative Publizisten, die die Präsenz eines antisemitisch konnotierten Pound-Zitat auf dem Berliner Walter-Benjamin-Platz für das deutlich kleinere Problem zu halten scheinen als die Kritik daran (Bartetzky). Nicht nur embedded journalists, die wiederholt meinungsstark die Propagandatrommel für die Neue Frankfurter Altstadt rührten, obwohl sie in einem in ihrer Zeitungsarbeit nicht transparent gemachten Rollenkonflikt agieren (Guratzsch und Alexander) und nicht nur Stadtsoziologen auf geschichtsverklärenden Rekonstruktions-Abwegen (Bodenschatz) vertreten dieses Institut, sondern erschreckenderweise auch wichtige Architektur-Funktionär*innen wie Rainer Nagel, seit 2013 Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, und Barbara Ettinger-Brinckmann, die bis Frühjahr 2021 amtierende Präsidentin der BAK.
Beide haben auch die „Düsseldorfer Erklärung“ mitinitiiert – und Ettinger-Brinckmann hat ihre Rolle als BAK-Präsidentin gar dazu genutzt, die Positionen des Mäckler-Instituts als offizielle Positionen der Architekt*innenschaft in Deutschland unter dem pseudo-versöhnlerischen Titel „Stuttgarter Konsens“ auszugeben. Neben einer durchaus nachvollziehbaren Entschlackung von Baugesetzen dürfte jedoch insbesondere das erklärte Ziel von „schönen Stadträumen“ – geht es noch diffuser? – und „Außenfassaden mit robusten und dauerhaften Materialien”[39] zu einer systematischen Gängelung jeglicher anpassungsfähigeren oder gar experimenteller und progressiver Architekturpositionen in Deutschland führen.
Gegen die Loyalitätsbekundungen von Nagel und Ettinger-Brinckmann regt sich derweil hinter den Kulissen immer unverhohlener Protest, da die beiden Amtsträger damit in Deutschland nicht nur Partei für einen architektonischen und städtebaulichen Rollback ergreifen, sondern auch für ein Geschäftsmodell, das folgendermaßen zusammengefasst werden kann: Hinter dem „Deutschen Institut für Stadtbaukunst“, das nach wie vor als An-Institut der TU Dortmund auf deren Website verortet ist, obwohl Christoph Mäckler dort gar keine Professur mehr innehat, verbirgt sich de facto ein Verein namens „Fördergesellschaft Deutsches Institut für Stadtbaukunst e.V.“ mit derselben Postadresse wie Mäcklers Architekturbüro am Frankfurter Schaumainkai. Dort hat auch eine GmbH mit dem Namen „Stadtbaukunst“ ihren Sitz, als deren Gesellschafter die „Fördergesellschaft Deutsches Institut für Stadtbaukunst e.V.“ fungiert. Als Geschäftsfelder dieser GmbH nennt die Website „die Beratung im Bereich Städtebau und Architektur, die Durchführung von städtebaulichen Planungsprojekten, Workshops, Seminaren und Modellentwicklungen für Urbane Bebauung. Darüber hinaus das Erstellen von Gutachten, Studien und Prüfberichten sowie die Verfahrensbetreuung und Projektbegleitung.“[40] Auch die (Mit-)Finanzierung des „Instituts“ wird an dieser Stelle angesprochen: „Alle Erlöse der Stadtbaukunst GmbH fließen in die Arbeit des Fördervereins Deutsches Institut für Stadtbaukunst e.V.“[41]
Die Potentiale dieser Konstruktion sind 2018 richtig deutlich geworden, als öffentlich wurde, dass der städtebauliche Entwurf für das neue Stadtquartier „Am Römerhof“ in Frankfurt am Main ohne das übliche Wetterwerbsverfahren direkt an das „Deutsche Institut für Stadtbaukunst“ vergeben wurde. Allerdings ist die Empörung in den Berufsverbänden bisher vor allem hinter den Kulissen zu spüren. Die Bundesarchitektenkammer, die im selben Jahr in einem Compliance-Papier verabschiedet hat, dass „möglichst jedes konkurrierende Verfahren öffentlicher wie privater Auftraggeber*innen als geregelten Wettbewerb durchzuführen“[42] ist, hält sich mit öffentlichen Stellungnahmen zum Römerhof bislang bedeckt, eventuell auch deswegen, weil ihre Präsidentin das „Deutsche Institut für Stadtbaukunst“ unterstützt. Lediglich die Frankfurter Gruppe des Bundes Deutscher Architekten veröffentlichte eine Protestnote, in der sie „die Durchführung eines städtebaulichen Wettbewerbs auf der Basis der derzeit laufenden fachlichen Vorarbeiten der Stadt“ fordert.[43] Die Forderungen des BDA blieben folgenlos – derzeit befindet sich das Bebauungsplanverfahren für das Quartier, in dem 2.000 Wohnungen sowie Gewerbeflächen samt flankierender sozialer Infrastruktur errichtet werden sollen, in der Phase der „frühzeitigen Bürgerbeteiligung“. Erste Visualisierungen künden von einer Zeitreise zurück in die Mietskasernenstadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit Hinterhöfen [Abb. VII.3].[44]
Das weitere Verfahren sieht vor, dass im Laufe des Jahres 2020 die städtebauliche Entwurfsphase und die förmliche Behördenbeteiligung abgeschlossen sein sollen. Inkrafttreten könnte der Bebauungsplan nach heutigem Stand voraussichtlich Ende 2021 oder Anfang 2022. Wenngleich Architekturwettbewerbe in Aussicht gestellt wurden, so sollte die Direktvergabe des Römerhof-Städtebaus die Architektur- und Stadtplanungs-Community dennoch alarmieren, zumal hier kaum objektivierbare Verflechtungen mit größter Selbstverständlichkeit öffentlich zelebriert werden: Auch Mike Josef (SPD), der Frankfurter Dezernent für Planen und Wohnen – auf ihn ist die Direktvergabe mit zurückzuführen –, sitzt im Wissenschaftlichen Beirat des „Instituts“; natürlich hat er die „Düsseldorfer Erklärung” mitunterzeichnet.
Die Unterstützungsstrukturen, die sich während der letzten zehn Jahre um das „Deutsche Institut für Stadtbaukunst“ herum gebildet haben, sprechen eine deutliche Sprache: Noch nie seit 1945 war die Architektur-Reaktion in Deutschland so professionell organisiert und erfreute sich so großer Unterstützung wie heute. Wie konnte es soweit kommen? Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur und müssen sowohl im Kontext internationaler als auch spezifischer deutscher Entwicklungen gesucht werden.
Was die internationale Dimension anbelangt, so hat Rem Koolhaas bereits 1995 in seinem fulminanten Aufsatz „Was ist eigentlich aus dem Urbanismus geworden?“ zurecht darauf hingewiesen, dass der Urbanismus quasi genau in dem Augenblick verschwunden ist, „in dem sich die Urbanisierung – nach Jahrzehnten ununterbrochenen Wachstums – anschickt, den endgültigen Triumph der urbanen Lebensweise auf der ganzen Welt durchzusetzen“.[45] Parallel dazu hat das Gros der Stadtplaner*innen in Europa und vor allem in Deutschland damit begonnen, sich auf „die verspätete Wiederentdeckung der Vorzüge der traditionellen Stadt“ zu kaprizieren – „zu einer Zeit, als diese Vorzüge bereits unwiederbringlich der Vergangenheit angehörten“ .[46] Koolhaas diagnostiziert weiter: „Inzwischen sind sie Experten in Sachen Phantomschmerz geworden, Ärzte, die über die medizinischen Implikationen amputierter Gliedmaßen diskutierten.“[47] Hierfür hat der niederländische Architekt den Mai 1968 als symbolische Zeitenwende ausgemacht, von dem die Idee eines Neuanfangs für die Stadt ausging: „Seitdem haben wir uns zwei parallelen Operationen gewidmet: der Dokumentation unserer lähmenden Ehrfurcht vor der bestehenden Stadt, der Entwicklung von Philosophien, Plänen und Modellen einer in ihrer Substanz erhaltenen und zugleich restaurierten Stadt, und, im selben Atemzug, dem buchstäblichen Weglachen des Arbeitsfeldes des Urbanismus, dem wir unserer Verachtung für diejenigen, die Flughäfen, Neue Städte, Trabantenstädte, Schnellstraßen, Hochhäuser, Infrastrukturen und all den anderen Fallout der Modernisierung planten (und dabei eklatante Fehler begingen).“[48] Koolhaas war – und ist – einer der wenigen Angehörigen der europäischen 68er-Generation, der genau diesen „Fallout der Modernisierung“ nach wie vor nicht komplett verdammt, sondern ihn als interessante Herausforderung für eine zeitgenössische städtebauliche Poiesis ernst zu nehmen versucht.
Eine solche urbanistische Sensibilität – man kann sie dem Programm eines dirty realism, eines libidinösen Begehrens nach einer vermeintlichen Hässlichkeit zuordnen – ist in Deutschland unter den etablierten Architekt*innen so gut wie nicht anzutreffen. Dazu hat, folgt man dem Wiesbadener Architekturtheoretiker Thilo Hilpert, vor allem die Eigenart deutscher Architekturdebatten der Zeit um und nach 1968 beigetragen. Hilpert argumentiert 2008 in seinem fulminanten ARCH+-Text „Land ohne Avantgarde“, dass die Architekturmisere in Deutschland mit der „Gebrochenheit von Theorie und Experiment“[49] zu erklären ist, die um 1970 in Deutschland zu einer fatalen „Denunziation experimenteller Praxis“ als „Technokratie“ führte, mit der deutsche kommunistische 68er-Hardliner – Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Dialektik der Aufklärung[50] im Gepäck – die Visionen beispielsweise eines Eckhard Schulze-Fielitz abfertigten: „Eine Freiheit des künstlerischen Ausdrucks und der sinnlichen Anschauung ließ sich durch sachliche Analyse allein, und sei sie noch so scharf, nicht wiederfinden.“[51] In eine ähnliche Richtung hatte lange vor Hilpert bereits der Darmstädter Architekturtheoretiker Werner Durth argumentiert, der in seinem heute geradezu prophetisch anmutenden Buch Die Inszenierung der Alltagswelt von 1977 die „Stigmatisierung künstlerischer Produktion durch totalen Ideologieverdacht infolge rigider Politisierung“, der in vielen deutschen Architekturdebatten der 1970er-Jahre auffällt, nur als komplementäre Bewegung zu einem ebenso dominanten „privatisierenden Ästhetizismus“ dargestellt hat.[52] In beiden Fällen wurde die Möglichkeit von Architektur, mithilfe von technisch-künstlerisch getragenen Experimenten die Lebensverhältnisse zu verbessern, fundamental in Abrede gestellt. Die Folgen sind bekannt: Architektur aus Deutschland wurde entweder Status-quo-nostalgisch – „Alle Häuser sind schön, hört auf zu bauen“[53] plakatierten 1967 in einer berüchtigten Aktion Architekturstudent*innen der TU Berlin. Heute dürften sie wohl teils rufen: „Alle Häuser sind schön, rekonstruiert sie“. Oder sie wurde in einem soliden Sinne moderat, aber auch – jedenfalls aus internationaler Perspektive – eher „uninteressant und wenig aufregend“[54] (Ullrich Schwarz).
Ausblick
Eines muss man dem „Deutschen Institut für Stadtbaukunst“ vielleicht lassen: Immerhin versucht es mit viel organisatorischem Geschick, auf urbanistische Fragen nach der Stadt der Gegenwart und nahen Zukunft eine Antwort zu geben, und zwar aus dem Herzen der architektonischen Disziplin heraus (sofern es diese gibt). Leider ist es eine rückwärtsgewandte. Was könnte hierzu eine Alternative sein? In Deutschland lassen sich derzeit mehr oder weniger drei Stadtplanungs-Milieus unterscheiden: erstens ein tendenziell altlinkes, nunmehr meist konservativ gewordenes Milieu, dem die „Alte Stadt“[55] ihr Ein und Alles wurde und das von Nachwuchs-Sorgen insofern geplagt ist, als dieses Projekt fast ausschließlich von jungen Konservativen oder Rechten in die nächste Generation getragen wird (Teile des Umfeld des „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“ sind hier zu verorten); zweitens ein hierzu sich oppositionell verhaltendes bürokratisches Stadtplanungsmilieu, das durchaus „Gegen die Düsseldorfer Deregulierung“ kämpft, dessen architektonische Aussagen sich allerdings gerne in einem uninspirierten Kennziffern-Bingo verlieren – mit leider oftmals schockierenden gebauten Resultaten, wie man sie in vielen Neubauvierteln Deutschlands erleiden kann; und drittens ein junges progressives Milieu von Zwischennutzungs-Euphoriker*innen, deren urbanistischer Werkzeugkoffer bei größeren Bauvorhaben kaum greift und das stets Gefahr läuft, zum willfährigen Instrument eines neoliberalen Städte-Marketings zu verkommen. Ein bekanntes Architekturbüro, das auf der Höhe von Rem Koolhaas’ Project on the City[56] oder dem Niveau von Roger Dieners, Jacques Herzogs, Marcel Meilis, Pierre de Meurons und Christian Schmids Publikation Die Schweiz – Ein städtebauliches Porträt[57] einen zukunftsfreudigen, nicht-reaktionären, experimentellen Urbanismus-Diskurs zu führen imstande wäre, sucht man in Deutschland vergeblich. Diese Leerstelle lässt jegliches nationale Bemühen um „Baukultur“ bis auf Weiteres ins Leere laufen.
Die Hoffnung liegt derweil wohl vor allem auf den kommenden Generationen von progressiv gesinnten Architekt*innen und Studierenden, denen die recht herausfordernde Aufgabe zufällt, einen überzeugenderen Weg als den des „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“ mithilfe von visuellen, politischen und ökonomischen Angeboten zu implementieren. Mit Wille zur Lobby-Arbeit und ohne Scheu vor den Mühen der Ebene. Und mit einer öffentlichen Hand, die ihren Retro- und Rekonstruktionspopulismus hinter sich lässt und wieder an der auch baulichen Gestaltung einer besseren Zukunft mit den Mitteln zeitgenössischer Architektur Geschmack findet.
Diesen Essay publizieren wir anlässlich des Erscheinens der Publikation Rechte Räume: Politische Essays und Gespräche von Stephan Trüby in der Reihe Bauwelt Fundamente im Birkhäuser Verlag. Einige der dort publizierten Texte wurden in ARCH+ 235: Rechte Räume erstveröffentlicht.