0
Kristin Feireiss in Songyang, Januar 2018. © Xu Tiantian
ARCH+ news

Kristin Feireiss (1942–2025) – Eine kollektive Würdigung

Die unerwartete Nachricht von Kristin Feireiss’ Tod hat uns tief getroffen. Statt eines einzelnen Nachrufs haben wir eine kollektive Würdigung initiiert – in dem Versuch, den vielen Facetten ihrer Persönlichkeit und ihres Schaffens gerecht zu werden. Und doch bleiben auch diese persönlichen Rückblicke nur ein unvollkommener Ausdruck unserer Trauer. Umso mehr danke ich allen, die sich kurzfristig und mit großer Anteilnahme beteiligt haben.

Haben auch Sie eine Erinnerung an Kristin Feireiss? Schreiben Sie uns gerne.

ANH-LINH NGO, CHEFREDAKTEUR, ARCH+

Als Galeristin war Kristin Feireiss immer auch eine Sammlerin – von Themen, Trends, aber vor allem von Menschen, die für diese Themen stehen. Bei ihren zahllosen Ausstellungseröffnungen begann sie ihre einführenden Worte oft mit einer persönlichen Anekdote: Wo sie die Künstler:innen oder Architekt:innen kennengelernt hatte, wie es zur Zusammenarbeit kam, was sie miteinander verband. Sie ging stets vom Menschen aus – mit Neugier, Offenheit und einem echten Interesse am Gegenüber.

Als ich 2004 nach Berlin zog, um ARCH+ gemeinsam mit Nikolaus Kuhnert neu aufzustellen, fiel mir dieser Wesenszug sofort auf. Zwar haben wir nie direkt zusammengearbeitet, doch sie war eine verlässliche Mitstreiterin – besonders dann, wenn es galt, Haltung zu zeigen. Wenn es Kontroversen gab und man sich gemeinsam öffentlich zu Wort melden musste, war Kristin da: verlässlich, solidarisch, zugewandt. Zuletzt war es der von ihr unterstützte Ideenaufruf „Schlossaneignung“. Sie hatte sich stets klar und entschieden gegen die Rekonstruktion des Berliner Schlosses positioniert.

Während ARCH+ oft mit diskursiver Schärfe operierte, hielt Kristin konsequent den Kontakt in alle Richtungen – verbindend, vermittelnd, vernetzend. Sie rief immer wieder an, lobte, ermutigte, teilte ihre Gedanken. In letzter Zeit meldete sie sich häufiger, um ihre Freude über die Entwicklungen an der Akademie der Künste auszudrücken. Sie nahm Anteil. Sie war wach.

Was uns zudem verband, war der stetige und oft zermürbende Einsatz für den Erhalt und die Unabhängigkeit der eigenen Institution. Denn der Diskurs, den Kristin Feireiss bei Aedes und wir bei ARCH+ führen, ist nie strukturell abgesichert. Er lebt vom persönlichen Engagement der Beteiligten – von Leidenschaft, Überzeugung und Ausdauer. Und nicht zuletzt von einer Ökonomie der Mittel, die kreative Improvisation zur Notwendigkeit macht. Neben den Inhalten musste sie sich – wie auch wir – immer wieder um die finanzielle Grundlage kümmern, auf der diese Unabhängigkeit beruht. Eine Grundlage, die wir aus gutem Grund gegen alle Widerstände bewahren wollen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, welche Anstrengungen es erfordert, eine unabhängige Institution über Jahrzehnte nicht nur am Leben zu halten, sondern mit Leben zu füllen. In diesem Sinne war Kristin ein Vorbild. Für uns alle.


Frank Barkow & Regine Leibinger, Barkow Leibinger

Regine lernte Kristin in den 1980er-Jahren am alten Aedes-Standort in der Grolmanstraße kennen, als sie noch Architektur an der TU Berlin studierte – bei einer spektakulären Ausstellung von Peter Eisenman.

Frank traf Kristin Anfang 1993 in Berlin – kurz nachdem wir von einem Jahr in Rom, im Rahmen eines Programms der Cornell University, nach Berlin gezogen waren. Frank sprach damals kein Wort Deutsch. Kristin sah ihn eindringlich an – und fragte ihn in ihrem charmant akzentuierten Englisch ziemlich unvermittelt: „What is your position!? IN ARCHITECTURE?“ Überrumpelt antwortete Frank: „Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nicht viel nachgedacht, aber ich melde mich so bald wie möglich bei dir.“ Zum Glück gefiel ihr das Studentenprojekt, das er an der Harvard University für ihren Freund Thom Mayne entworfen hatte: ein Vorschlag für die American Library in Berlin. Er war neu in der Stadt, aber wusste schnell: Wenn man in Berlin etwas werden wollte, kam man an ihr nicht vorbei. Das war sofort klar.

Es fühlte sich großzügig an, so in eine größere Diskussion hineingezogen zu werden – und später organisierten wir eine Ausstellung mit Kristin, die elegant den Übergang von 1999 ins Jahr 2000 markierte. Eine Zeit, in der unser Büro begann, richtig Fahrt aufzunehmen. Wir wussten damals kaum, was eine Kuratorin eigentlich tat – also stellten wir einfach eine schöne Ausstellung (Cultivating the Landscape) samt Katalog auf die Beine. Der Ort: das alte Aedes unter den S-Bahnbögen am Savignyplatz, ganz in der Nähe unserer Wohnung und unseres Büros. Wenn über einem die Züge ratterten, fühlte man sich als Teil einer lebendigen Stadt im Aufbruch. Es war ein gutes Gefühl.

Damals begriffen wir, was für eine Art Galeristin und Kuratorin Kristin war. Sie hatte ein feines Gespür für kritische Architektur. Sie brachte einen dazu, sich selbst zu befragen: Wofür stehe ich? Was macht meine Arbeit besonders? Warum ist das relevant? Sie war keine kontrollierende Kuratorin. Sie ließ einen selbst entscheiden, was und wie man sich präsentieren wollte – und sagte dann ganz offen, ob man auf dem richtigen Weg war. Dieser Dialog zwang einen dazu, sich zu positionieren. Sich zu fragen: Was ist eigentlich unser Beitrag als junges Büro? Und vielleicht war das die wichtigste Lektion von allen.

Kristin war vor allem eines: eine Netzwerkerin. Eine, die Menschen zusammenbrachte. Auf ihren Geburtstagsfeiern waren wir immer geehrt, eingeladen zu sein – und staunten jedes Mal über die Vielfalt der Gäste, die sie und Hans-Jürgen in ihrem Haus in der Toskana versammelten: Freund:innen, Rival:innen, ehemalige Lehrer:innen und echte Stars. Niemand in Berlin, in Deutschland oder überhaupt in Europa hatte damals – oder heute – diese Gabe, diesen Einfluss, diese Herzlichkeit. Es war ihre natürliche Neugier, ihre Großzügigkeit, ihr unermüdlicher Geist, der das möglich machte. Sie ließ einen spüren: Du bist Teil davon. Du zählst.

Und über mehr als 30 Jahre Freundschaft – über Abendessen, Ausstellungseröffnungen, Vorträge und gemeinsame Lehrformate hinweg – war sie immer da. Sie streckte einem buchstäblich die Hand entgegen: als ermutigende, unterstützende Stimme. In Erfolgen und Krisen, in guten wie in schwierigen Zeiten. Dafür sind wir ihr unendlich dankbar.

Sie war einmalig. Und so schnell wird uns keine wie sie wieder begegnen.

In Liebe und mit großem Respekt,
Regine und Frank


Verena von Beckerath, Tim Heide, Heide & von Beckerath

Für uns, die wir in den 1980er-Jahren an der TU Berlin Architektur studierten und dazu noch in der Nähe wohnten, gehörte die Galerie Aedes in der Charlottenburger Grolmanstraße zur unmittelbaren Nachbarschaft. Tim erinnert sich an Ausstellungen wie Vollendung des Wiederaufbaus – Entwurf für ein Wohngebäude in Rotterdam von OMA (Rem Koolhaas, Stefano de Martino, Kees Christiaanse), die er 1982 mit seinem Vater besuchte, und Wettbewerb Adenauerplatz von Zaha Hadid im Jahr 1986. Während der Eröffnung klingelte im Hinterzimmer der kleinen Galerie das Telefon. Kristin eilte zum Telefon, nahm den Hörer ab und rief ins Publikum: „Rem ist am Telefon!“ Es war Rem Koolhaas, der Zaha Hadid zu ihrer Ausstellung persönlich gratulieren wollte. Im Anschluss daran ging die Eröffnung einfach weiter.

Im Jahr 1995 kam es in den neuen Räumen mit Café in den Stadtbahnbögen am Savignyplatz zu einer Ausstellung unserer ersten gemeinsamen Arbeiten mit dem Titel bilden, begleitet von einem kleinen Katalog mit einem einleitenden Text von Adolf Krischanitz. Die Galerie wurde nun von Kristin Feireiss und Hans-Jürgen Commerell geführt und zog bald darauf nach Berlin-Mitte.

Während ihrer Zeit als Direktorin des Netherlands Architecture Institute (NAI) lud Kristin uns – gemeinsam mit Berliner Kolleg:innen – zur Gruppenausstellung Made in Berlin ein, die 2001 in Rotterdam anlässlich des Abschlusses ihrer fünfjährigen Amtszeit stattfand. Spätere Kooperationen beruhten auf Beteiligungen an Ausstellungs- und Publikationsprojekten, Symposien und Gastkritiken, die hier stellvertretend die unglaubliche Vielfalt und Diversität an Formaten spiegeln, welche das Aedes Metropolitan Laboratory in der Christinenstraße unter der Leitung von Kristin und Hans-Jürgen mit ihrem Team initiierte, organisierte und kuratierte. Erst vor vier Wochen schrieb sie uns aus Tinos, dass sie sich ganz besonders für unser Projekt in Thessaloniki interessiere und sich gerne bald verabreden würde. Dazu ist es nicht mehr gekommen. 

Kristins Beiträge zu den Architekturdebatten der vergangenen vier Jahrzehnte haben Maßstäbe gesetzt. Ihr Einfluss auf die Kultur der Ausstellung, Präsentation und Diskussion von Architektur war einzigartig – nicht zuletzt, weil sie jüngere Architekt:innen, Kurator:innen und Galerist:innen stets zur Realisierung eigener Vorhaben ermutigte und Aedes zum Vorbild für Ausstellungsprojekte und -räume an anderen Orten der Welt wurde. Dabei war sie bei aller Professionalität immer zugewandt, persönlich, liebevoll und geradezu familiär. Die Familie bedeutete ihr alles – und sie übertrug ihre Idee von Familie intuitiv auf uns alle.

Dafür sind wir ihr unendlich dankbar.


Kees Christiaanse, KCAP – ASTOC

Ich habe Kristin 1981 kennengelernt, als wir mit dem frisch gegründeten Rotterdamer OMA-Büro eine erste Ausstellung in West-Berlin in der Galerie Aedes hatten, die sich damals in einem kleinen Laden in der Grolmanstraße befand. Sie bildete ein Duo mit Helga Retzer, und es fiel mir damals auf, mit welch sozialem Talent, Unternehmergeist und kultureller Nase sie die Architekturszene kuratierte. Nach der Eröffnung gab es ein Abendessen in Grunewald mit einigen Architekten, u. a. von Bülow und Kleihues Sr. mit seinem 19-jährigen, langhaarigen Sohn Jan.

1996 und 1997 hatten wir am meisten Kontakt, weil sie Direktorin des Niederländischen Architektur Instituts (NAI) wurde und ich gleichzeitig (wie Matthias Sauerbruch) an die TU Berlin berufen wurde. Kristin mietete in Rotterdam eine ähnliche 3-Zimmer-Wiederaufbauwohnung, wie ich sie sieben Jahre bewohnt hatte. Ab und zu flogen wir um 8:00 Uhr morgens zusammen von Amsterdam nach Tegel (oder zurück). Sie stand dann um 4 Uhr auf, um sich fertig zu machen, während ich erst gegen 6 aufstand.

Bald organisierte sie im NAI einen Austausch zwischen jungen Berliner und Rotterdamer Büros, mit u. a. Barkow Leibinger, Sauerbruch Hutton und Grüntuch Ernst – in den Worten von Matthias Sauerbruch als Backgroundsänger für Kristins erste Holland-Show.

Während des Eröffnungsdinners der Erasmusbrücke – natürlich initiiert von Kristin – saßen wir mit Thom Mayne und Ben van Berkel an einem Tisch. Beim Abschied sagte Thom zu mir: „By the way, congratulations with your new bridge!“ Er hatte mich den ganzen Abend für Ben gehalten.

Für die KCAP-ASTOC-Ausstellung im Aedes-S-Bahnbogen gab ich vorab eine Vorlesung an der TU, wobei Kristin plötzlich auf die Bühne lief und sagte: „Kees, du redest viel zu lange. Wir müssen jetzt zur Eröffnung in die Galerie! Los!“ Und der ganze Saal stand wie ein Mann auf und machte sich auf den Weg.

Kristin wurde eine Schlüsselperson der niederländischen Baukultur. Sie hat das NAI wirklich international und einflussreich gemacht. Mit Matthias Sauerbruch und Juliette Beckering führten wir eine Sommerschule durch. Und es war zu einem großen Teil ihr zu verdanken, dass 2003 die mittlerweile renommierte Internationale Architektur-Biennale Rotterdam (IABR) im NAI das Licht der Welt erblickte.

Leider trat Kristin 2001 als Direktorin des NAI zurück. Klaus Töpfer, damals UNEP-Chef, flog speziell zu ihrem Abschiedsfest nach Rotterdam, um sie mit dem Bundesverdienstkreuz zu ehren. Später wurde sie auch mit dem Orden des Niederländischen Löwen ausgezeichnet. Nicht nur ich habe ihren Rücktritt sehr bedauert, sondern die ganze holländische Baukultur. Die Institution wurde nie mehr das, was sie unter Kristin war.

Kristin, vielen Dank!


Francesca Ferguson, Make_Shift!

Für mich war Kristin über Jahrzehnte hinweg – als ich als Quereinsteigerin Konferenzen, Ausstellungen und Projekte entwickelte – eine Art Architektur-Mutter. Sie hat mich immer wieder auf den richtigen Weg gebracht. Sie machte mich auf entscheidende Ausschreibungen aufmerksam, bei denen ich mich unbedingt bewerben sollte – etwa die Architekturbiennale 2004 oder die Stelle beim S_AM in Basel.

Als Schirmherrin des MakeCity Festivals war sie sanft, aber auch klar und fokussiert in der Arbeit an Konzepten und Texten. Gleichzeitig war sie immer aufmerksam für das Leben abseits des Berufs. Sie interessierte sich für mein Wohlergehen, meinen Sohn, meine Gedanken über die Unsicherheiten des freiberuflichen Arbeitens. Sie sah über die Grenzen zwischen dem persönlichen und dem Professionellen entschieden hinweg - es war ihr wichtiger, dass man mit Verstand und Seele das nachging, was einem bewegt und inspiriert, und so redeten wir auch miteinander über Höhen und Tiefen.

Am meisten hat sie mich dazu ermutigt, Haltung zu zeigen – klare Positionen zu vertreten und neue Wege zu gehen. Ich konnte sie jederzeit anrufen. Sie hat sich immer Zeit für mich genommen. Wir trafen uns auf ihrem Dachgarten oder im Café nebenan – ihre erste Frage war stets: „Was brauchst du?“ und beim Abschied sagte sie fast jedesmal: „Du schaffst das.“

Die Kraft, mit der sie mich immer wieder aufgerichtet hat, war Ausdruck von Solidarität, Fürsorge und tiefer menschlicher Verbindung. Ich werde sie nie vergessen.


Jürgen Mayer H., J.MAYER.H

Mein Beginn als Architekt in Berlin ist vor allem auch eng verknüpft mit Kristin. Als ich im Sommer 1994 aus New York nach Berlin zog, habe ich auf Initiative von Liz Diller umgehend Kristin und Hans-Jürgen getroffen. Dieser Kickstart unseres Kennenlernens hat – neben 30 Jahren Freundschaft – schon 2002 zu einer ersten Ausstellung geführt, damals noch in Aedes West. Wir zeigten unsere ersten Erfolge. Und wir produzierten einen Katalog mit nachleuchtendem Cover. Daraufhin folgten Einladungen für Professuren und für internationale Wettbewerbe.

Kristin war so ansteckend begeisterungsfähig und ständig auf der Suche nach dem Neuen. In ihrem Radius die internationale Architektur zu entdecken und Teil dieser Neugier zu sein, ist noch heute für mich ein besonderes Geschenk. Und seither gab es unendlich viele Anlässe, Feste und Diskurse, um Kristin und mit ihr zu feiern. Diese Momente bleiben unvergesslich, und ich werde sie sehr vermissen. Unser gemeinsamer Aedes-Katalog von damals leuchtet weiterhin nach.


Momoyo Kaijima, Atelier Bow-Wow

Wie viele andere Büros hatte auch Atelier Bow-Wow eine wichtige Ausstellung bei Aedes – unsere fand 2012 statt. Kristin hat immer an uns geglaubt, uns stets ermutigt.

Ich habe Kristin und Hans-Jürgen noch vergangenen November zu Hause besucht, während der ersten Mitgliederversammlung der Akademie der Künste, an der ich als frisch gewähltes Mitglied teilnahm. Wir haben gesprochen, Tee getrunken – und ein köstliches Stück Kuchen geteilt.

Kristin zeigte mir viele ihrer Zeichnungen und Kunstwerke – jedes einzelne voller Erinnerungen an Freundschaften und Momente aus einem reichen Leben. Es war eine wunderbare, großzügige Zeit – eine, die ich nie vergessen werde.

Danke, Kristin. Du wirst uns fehlen. Ruhe in Frieden.


Hilde Léon, léonwohlhage

Sie hat Generationen von Architekten unterschiedlichster architektonischer Positionen vorgestellt, wofür sie mitunter heftig angegriffen worden ist, insbesondere in der Berliner Architekturdebatte der 1990er-Jahre. Das hat sie einfach gelassen überhört, scheinbar an sich abprallen lassen, dennoch war sie davon persönlich getroffen.

Es war ihr immer ein inneres Anliegen, neben den bekannten Architekten auch die Jungen in der Galerie Aedes zu zeigen, so auch Konrad Wohlhage und mich. In unserer größten Not, nach dem 1.Preis für das World Trade Center 1991, hat sie uns Unbekannte spontan mit einer Ausstellung gegenüber den skeptischen Bauherren unterstützt.

Sie hat vor vier Wochen die letzte Ausstellung mit eröffnet, und am nächsten Morgen war sie bei dem üblichen Brunch ihrer Gäste dabei. Das war Kristin! Sie ist gestorben, wie sie gelebt hat. Mit Vollgas dabei.

Ich werde sie nicht vergessen.


Kristin Feireiss mit Regula Lüscher. © Erik-Jan Ouwerkerk
Regula Lüscher, Die Stadtmacherin, Senats-Baudirektorin (2007-2021)

Ich habe Kristin Feireiss in einem Café am Savignyplatz bei einer Vorbesprechung zur Ausstellung Die sieben Zimmer von Zürich kennengelernt – und traf auf eine unglaublich warmherzige, wache und neugierige Frau. Sie war sofort Feuer und Flamme, sprudelte vor Ideen. Es war Sympathie auf den ersten Blick. Und völlig unverhofft setzte sich diese erste Begegnung rasch fort: Als ich kurz darauf als Senatsbaudirektorin nach Berlin kam, nahm Kristin mich sofort auf – sie öffnete mir die Türen zur Berliner Szene, mit einer Selbstverständlichkeit und Offenheit, für die ich ihr bis heute zutiefst dankbar bin.

In all meinen Jahren in Verantwortung war Aedes für mich stets mehr als nur ein Ort: Es war ein Stück Heimat, ein Experimentierraum – und zugleich ein Fenster zur Welt. Kristin Feireiss und Hans-Jürgen Commerell wurden für mich zur „Forschungsabteilung“. Mit ihren Ausstellungen, Foren und ihrer internationalen Wissensplattform machten sie Berlin zu einem Brennpunkt globaler Stadtentwicklungstrends.

Kristin hat im Laufe der Jahre unzählige, teils wunderbar verrückte Projekte für mich und Berlin auf die Beine gestellt. Besonders in Erinnerung bleibt mir der Urban Intervention Award Berlin. Ausgestattet mit kleinem Budget, aber großem Anspruch, fand ich in Kristin die kongeniale Partnerin für die Konzeption und Umsetzung. Sie war es gewohnt, Neuland zu betreten. Mit einem riesigen Erfahrungsschatz, internationalem Renommee und einem feinen Gespür für Wirkung zauberte sie eine ebenso einfache wie – im wahrsten Sinn des Wortes – großartige Ausstellung hin. Und wie nebenbei improvisierte sie eine humorvolle kleine Leuchtschrift für den Trophäenschrank – genau das war eines ihrer vielen Talente.

Es war Kristins unermüdliche Neugier, ihre Energie, ihre Reiselust, ihr Wissen und ihre Offenheit, die all diese Projekte überhaupt erst möglich machten. Ihre Projekte waren nicht nur erfolgreich – sie hatten Haltung, Tiefgang und Seele.

Für mich war Kristin weit mehr als eine brillante Kuratorin, Texterin, Verlegerin und Netzwerkerin. Über die Jahre wurde sie eine enge Freundin. Als sie 2012 ihre Autobiografie veröffentlichte, sind wir uns nochmals auf eine ganz neue Weise nähergekommen. Wir sprachen viel über ihr Buch, über das Leben – und über das, was uns verband: die Erfahrung, sich als Frau, fern der Heimat und eigener Familie, in einem neuen Umfeld zu behaupten. Kristin empfing mich mit offenen Armen – wie so viele andere. Sie begleitete mich durch schwierige Phasen, staunte oft ungläubig über manche Geschichte aus dem Berliner Politikbetrieb. So konnten wir vieles verhandeln und einordnen und uns mit Widerständen versöhnen. Sie war eine feinsinnige Menschenkennerin – klug, sensibel, mit großer Lebensweisheit.

Was mich besonders berührt hat, war ihre Großzügigkeit – und ihr Familiensinn. Wer Kristin begegnete, war augenblicklich Teil ihrer globalen Familie. Niemand musste sich bewerben – alle wurden wie selbstverständlich aufgenommen, an die Hand genommen und an den richtigen Platz am Tisch gesetzt. Wenn ich an Kristin denke, sehe ich ihr offenes, warmes Lachen. Ich sehe ihren leicht schräg geneigten Kopf, wenn sie eine kluge Wahrheit aussprach. Ich höre ihre Stimme, wenn sie von einem Menschen oder einem Erlebnis mit leuchtenden Augen erzählte.

Liebe Kristin, du wirst mir sehr fehlen. Ich kann nun nicht mehr anrufen oder zum Tee vorbeikommen. Und am meisten werde ich dein „großartig!“ vermissen – denn kein Wort war je so sehr du.


Dorte Mandrup, Architektin

Ich habe Kristin erstmals 2019 kennengelernt, als sie uns einlud, bei Aedes auszustellen. Natürlich kannte ich sie da längst – als ich bei Svein Tønsager in Aarhus studierte, reisten die die neugierigsten und experimentierfreudigsten Studierenden nach Berlin, nur um die Ausstellungen am Savignyplatz zu sehen. Ich war damals im ersten Studienjahr – selbstverständlich nicht dabei.

Kristin zu begegnen fühlte sich an wie ein Wiedersehen mit jemandem, den man schon lange kennt – wie ein Willkommenheißen mit der Wärme einer alten Freundin. Ihre Energie und ihr Engagement waren ansteckend, und sie hatte diese seltene Fähigkeit, allen Menschen um sie herum das Gefühl zu geben, wirklich gesehen und einbezogen zu werden. Die enge Verbundenheit mit Hans-Jürgen zu erleben, verstärkte noch dieses Gefühl von Nähe und Fürsorge, das sie ausstrahlte.

Kristin war klug, leidenschaftlich loyal und eine wirklich gute Freundin. Ihr tiefes Wissen um kritische Fragen und ihre bemerkenswerte analytische Klarheit blieben ihr immer erhalten. Sie war neugierig, begeistert – und unbeirrbar in ihrem Glauben an die Kraft der Architektur.

Es ist eine Ehre und eine Freude – etwas wahrhaft Besonderes –, Teil ihres Kreises gewesen zu sein.


HG Merz, Merz Merz Architekten

Kristin Feireiss hat mich seit den späten 1980er-Jahren begleitet – mit ihrer Galerie, mit ihrer Haltung, mit ihrer Offenheit. Sie hat mir als jungem Architekten den Kopf geöffnet und das ungeliebte Berlin für mich mit Bedeutung gefüllt. Auch wenn sie selbst die Enge dieser Stadt nie wirklich angenommen hat – sie war das krasse Gegenteil jener Beschränktheit, wie Alfred Kerr einst den Berliner Lokaldünkel beschrieb.

Ich habe ihre Großzügigkeit, ihre Gastfreundschaft, ihre Fähigkeit, Menschen zu verbinden, und ihre unermüdliche Neugier sehr geschätzt. Gespräche mit ihr waren inspirierend, ihre Ratschläge klar, wohlwollend und oft wegweisend.

Ihren offenen Blick, ihr Denken über den Tellerrand hinaus und ihre visionäre Kraft werde ich vermissen.


Matthias Sauerbruch, Sauerbruch Hutton

Meine erste Begegnung mit Kristin muss ca. 1980 gewesen sein. Ich bin als Student um die Galerie in der Grolmanstraße herumgeschlichen wie ein Kind um die Götterspeise. Ich war von dem Ort unwiderstehlich angezogen. Eine erste Ausstellung, die ich noch detailliert in Erinnerung habe, zeigte die Arbeiten von Peter & Alison Smithson – ein Erlebnis, das mein Leben und meine Sicht auf die Architektur auf eine osmotische und langfristige Weise entscheidend geprägt hat. Kristin war damals eine Figur, die direkt aus dem Londoner Biba-Kaufhaus entsprungen zu sein schien: cool, elegant, lässig und avantgarde – und das blieb sie übrigens bis zu ihrem Ende.

In den 80er-Jahren lernte ich Aedes und – im Fahrwasser von Rem Koolhaas und Elia Zenghelis – auch Kristin etwas besser kennen. Unser wichtigster und vielleicht typischster „Kristin-Moment“ passierte aber 1991, nachdem das frisch gegründete Büro sauerbruch hutton den Wettbewerb für die GSW gewonnen hatte: Fast zeitgleich mit der Wettbewerbsentscheidung wurde ein neuer Senatsbaudirektor ernannt, der unseren Entwurf ablehnte. Als Kristin von seinen Versuchen Wind bekam, das Vorhaben zu unterminieren, lud sie Louisa Hutton und mich spontan ein, unser Projekt in der Galerie – da bereits unter den S-Bahnbögen am Savignyplatz – der Öffentlichkeit vorzustellen. Am Eröffnungsabend war zufällig Philip Johnson in der Stadt, und der ermahnte den Bauherrn vor unserem Modell: „Go and build this.“ Der Rest ist Geschichte.

Kristin war spontan, mutig (das Risiko war ihr egal), sie hatte Prinzipien und gab diese unmissverständlich zu verstehen. Sie war damals schon das Zentrum der kleinen Berliner – und einer recht umfangreichen internationalen – Architekturszene, die u. a. mit der IBA ein zunehmendes Interesse an der Stadt gewonnen hatte. Wir mussten dann noch ca. acht Jahre kämpfen und durchhalten, bis das GSW-Gebäude schließlich gebaut in der Kochstraße stand. In den zahlreichen schwachen Stunden – egal ob selbst- oder fremdverursacht – war Kristin uns immer Vorbild in ihrem Durchhaltevermögen und ihrer zielbewussten Energie, die oft genug die Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit (und manchmal auch die ihrer Umgebung) überstieg.

Eine Architekturgalerie ist kein erfolgreiches Geschäftsmodell. Zeitgenössische Architekturzeichnungen und -modelle haben keinen kommerziellen Wert. Die Galeristin ist hier also keine Verkäuferin von Objekten oder Bildern. Sie trägt Ideen zu Markte, deren Wert sich oft genug erst später erweist. Vielfach unbemerkt von ihren Zeitgenossen (aber zusammen mit Hans-Jürgen Commerell) fungierte sie in so vielen Fällen als eine findige Vorbotin neuer Tendenzen. Wer weiß schon, dass der heute weltberühmte Künstler Ai Weiwei seinen ersten Auftritt in Deutschland in der Galerie Aedes hatte? Junge Architekten aus der ganzen Welt feiern auch heute noch ihr Debüt bei Aedes, und mittlerweile hat sich der Wirkungskreis von der professionellen auch auf die akademische Sphäre erweitert. Das ANCB – The Aedes Metropolitan Laboratory – kollaboriert mit Hochschulen aus aller Welt, trägt Ideen zusammen und produziert Wissen. Wie das alles geht – ohne Förderung von Stadt, Land oder Bund – bleibt ein kleines Wunder, dem wir gerade mit der Gründung eines Förderkreises auf die Sprünge helfen wollen (Aedes Alumni & Friends, AAF e. V.).

Mit Kristin entstand nach unserer anfänglich rein architektonischen Beziehung auch bald eine sehr persönliche Freundschaft, die sich natürlich auch auf Hans-Jürgen erweiterte (der vor ca. 35 Jahren auf der Szene erschien). Sie war eine der großzügigsten und offensten Menschen, die ich kenne oder kannte. Gleichwohl hat sie interne Konflikte, Probleme, Zweifel nie nach außen getragen – obwohl sie natürlich existierten. Sie hatte immer neue Projekte im Kopf, bei deren Durchführung sie auf ihre eigene körperliche Schwäche keine Rücksicht nahm. Typischerweise starb sie mitten im doing, mit neuen Plänen und Ideen.

Sie war auch eine leidenschaftliche Gastgeberin. Wer machte im formlosen Berlin schon noch richtige Feste? Ein Fest im Bärensaal zum 20. Jubiläum der Galerie, eines in der Toskana zu ihrem Geburtstag, Feste im Garten am Pfefferberg, auf dem Dach in der Gneisenaustraße – wo immer: Es waren großartige, freudige und großzügige Anlässe mit Stil und interessanten Gästen. Umgekehrt war sie als Gast extrem bescheiden. Als sie das erste Mal bei uns in London übernachtete, musste sie sich mit Louisa auf dem Boden der obersten Etage einrichten, da unser Haus gerade umgebaut wurde. Als Teil dieses Umbaus war das Dach entfernt worden, sodass die beiden als Kompensation für das harte Bett wenigstens unter dem sommerlichen Sternenhimmel einschliefen.

Unsere letzte Zusammenarbeit war die Ausstellung Drawing in Space bei der Tchoban Foundation im Februar 2024. Kristin war im künstlerischen Beirat der Stiftung, und sie bestand darauf, diese Ausstellung zu veranstalten und zu kuratieren. Und so haben wir die Ausstellung gemacht – obwohl wir eigentlich wussten, dass nur wenige Monate später eine zweite Ausstellung in der Akademie der Künste, Berlin, folgen würde. Kristin widersprach man nicht – schon gar nicht in künstlerischen Dingen. Heute sind wir dankbar. Es wurde unerwartet eine ganz andere Schau als vermutet, und hätte sie uns nicht motiviert, wir hätten die Energie wahrscheinlich niemals aufgebracht.

Sie war eine Spürnase, ein Motor, eine Herausforderung, ein Ultimatum, ein Geschenk.

Wir alle werden sie sehr vermissen.


Karin Wilhelm, Kunst- und Architektur-historikerin

Im Folgenden bringen wir einen Auszug aus der Rede von Karin Wilhelm anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der TU Braunschweig an Kristin Feireiss im Jahre 2007. Karin Wilhelm hatte als damalige Professorin für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt die Würdigung von Kristin Feireiss initiiert und begründet:

Was hat nun unsere Fakultät bewogen, die Arbeit von Kristin Feireiss mit der Ehrendoktorwürde der Ingenieure auszuzeichnen? Zur Verdeutlichung der herausragenden, innovativen Leistungen von Kristin Feireiss möchte ich Ihnen … einige Auszügen unseres Antragstextes, den wir an den Senat unserer Technischen Universität gerichtet haben, zur Kenntnis bringen:

„Im Jahre 1980 wird in Berlin-West ein einmaliges Experiment gestartet. Kristin Feireiss eröffnet das erste privat geführte Forum für Architektur (Aedes), in dem neben Ausstellungen – die aktuelle Tendenzen der nationalen und vor allem der internationalen Architekturproduktion präsentieren – regelmäßig Diskussionen über technische, ästhetische und sozialpolitische Entwicklungen im Feld des Bauens stattfinden.

Zu diesem Zeitpunkt hat sich Kristin Feireiss bereits einen Namen als Architekturkritikerin gemacht und repräsentiert mit ihren journalistischen Arbeiten eine neue Haltung in der Vermittlung zeitgenössischer Architekturpositionen. Die Architekten, die sich seit den achtziger Jahren zunehmend mit den veränderten Bedingungen im Wettbewerbswesen und der Auftragserteilung im Rahmen der Europäischen Union auseinanderzusetzen haben, müssen, ebenso wie die Vertreter und Vertreterinnen der anderen Kunstformen Malerei, Plastik, Photographie oder Film, unter diesen veränderten Voraussetzungen verstärkt öffentlichkeitsbezogen agieren. Im Gegensatz zu den bildenden Künsten verfügen aber Architekten in Deutschland noch nicht über Galerien, die aktuelle Bauten und Entwurfshaltungen präsentieren. Diese Lücke schließt das Forum für Architektur (Aedes) und bietet ihnen jetzt eine einzigartige Plattform.

Schon bald nach der Gründung wird Aedes zu einer international Aufmerksamkeit erregenden Institution, die fortan nicht nur renommierten, sondern auch jungen, am Beginn ihrer Karriere stehenden Architektinnen und Architekten Gelegenheit bietet, soeben abgeschlossene Arbeiten auszustellen oder experimentelle, neuartige Konzeptionen vorzustellen. […]

Ergänzend zeigt Kristin Feireiss immer wieder Arbeiten bedeutender Architekturfakultäten des In- und Auslandes und wird derart zur Vermittlerin zwischen der universitären Forschung im Fach Architektur und einer breiten Öffentlichkeit. Mit dieser Arbeit trägt Kristin Feireiss zur Diskussionskultur über die Architektur und den Städtebau in Deutschland entscheidend bei und kann das Bewusstsein für die kulturelle und ökonomische Bedeutung dieser Kunstform über die Grenzen Berlins hinweg nachhaltig beeinflussen. […]

Kristin Feireiss hat ihre wissenschaftliche Arbeit im wesentlichen der zeitgenössischen Architektur und den aktuellen Städtebauaufgaben gewidmet. Die Besonderheit ihrer Arbeit besteht in der Verbindung von forschender Tätigkeit, der Veröffentlichung dieser Ergebnisse in unterschiedlichen medialen Formen, so daß die von ihr kuratierten Ausstellungen stets als Teil dieser wissenschaftlichen Arbeiten angesehen werden müssen. Ihre herausragende Leistung besteht zudem darin, daß sie in dieser Koppelung zum Ansehen der deutschen Architektur im Ausland wesentlich beigetragen hat. Ebenso hat sie die internationalen Debatten gleichsam nach Deutschland „importiert“. Kristin Feireiss durch die Ehrendoktorwürde an der Technischen Universität Braunschweig zu ehren, bedeutet mithin eine Persönlichkeit auszuzeichnen, die das Feld des Wissenschaftstranfers nicht nur auf die bestehenden Institutionen beschränkt, sondern immer bemüht ist, Forschungseinheiten auch einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Darin hat sie beispielhaft Neuland beschritten.“ […]

Was bei der Gründung kaum einer erwartet hatte, dass eine private Architekturgalerie überlebensfähig wäre, hatte sie doch veräußerbare Exponate für spekulative Käuferinteressen nicht zu bieten, war nicht nur Wirklichkeit geworden, vielmehr zeigte diese Galerie eine Vitaliät und internationale Ausstrahlung, die nach all den Jahren zwar niemanden mehr überraschte, aber in dieser Weise 1980 wohl nur von wenigen erwartet worden war. Aus Anlaß des Jubiläums unterhielt ich mich mit dem verehrten Architekturkritiker Manfred Sack über dieses kleine Wunder, über die unendliche Anzahl der großartigen Publikationen, die Sie in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Funktionen vorgelegt haben und wir erinnerten uns gemeinsam an die Menschentrauben vor dem ersten AEDES-Domizil in der Grolmannstraße, die sich zu allen Vernissagen dort bildeten. Wir waren der Meinung, dass eine innovative Kreativität wie die Ihre, die uns in Deutschland auch gelehrt hat, unterschiedlichen Architekturpositionen offen gegenüberzutreten, auf deren Güte und nicht auf deren stilistisch-ideologische Dogmatik zu achten, vom akademischen Milieu dieses Landes entsprechend honoriert werden sollte. […]


Kristin Feireiss und Xu Tiantian in Songyang, Januar 2018. © Xu Tiantian
Xu Tiantian, DnA – Design and Architecture

Mit schwerem Herzen und in tiefer Trauer wie Bewunderung nehme ich Abschied von Kristin Feireiss.

Ich hatte von Kristins Pionierarbeit im Aedes Architekturforum erfahren, noch bevor ich ihr persönlich begegnete. Ihre Fähigkeit, Architektur nicht nur als physische Struktur, sondern als tiefgreifende kulturelle und gesellschaftliche Sprache zu erkennen und zu feiern, war – und ist bis heute – eine große Inspiration für mich.

Kristin war gemeinsam mit Hans-Jürgen eine der ersten, die die chinesische Moderne in der Architektur ins internationale Rampenlicht rückte – lange bevor sie weltweite Anerkennung fand. Durch ihre Arbeit fanden Namen wie Ai Weiwei, Wang Shu, Liu Jiakun und Yung Ho Chang weit über ihren lokalen Kontext hinaus Gehör. Genauso engagiert war sie darin, Architektinnen zu entdecken und zu fördern, die mit eigenen Visionen auf die internationale Bühne traten – zu einer Zeit, als Frauen in der Architektur noch deutlich unterrepräsentiert waren. Ihre Inspiration und Ermutigung wirken weiter – auch für meine Generation, für Menschen wie mich, die in ihr eine Mentorin und Verbündete sahen.

Ich hatte das große Privileg, Kristin und Hans-Jürgen 2017 kennenzulernen, als wir die Ausstellung Rural Moves – The Songyang Story vorbereiteten, die im März 2018 bei Aedes eröffnet wurde. Kristin war damals Mitte siebzig und reiste voller Energie und Neugier unermüdlich zu jedem einzelnen Ort in den Bergdörfern des Kreises Songyang. Ich bin ihr zutiefst dankbar dafür, dass sie erkannte, wie sehr Architektur das soziale und wirtschaftliche Leben im ländlichen China prägen kann – und für ihr Gespür für die Dringlichkeit, den Folgen der Massenurbanisierung zu begegnen.

Im Jahr 2022 konnte ich wegen der Pandemie nicht persönlich an der Feier zu ihrem 80. Geburtstag teilnehmen. Zu diesem Anlass schickte ich ihr ein Gedicht aus dem Buch der Lieder, verfasst vor rund 3.000 Jahren:

Wie der Mond, der sich rundet,
wie die Sonne, die emporsteigt.
Wie der Berg, stets standhaft.
Wie Kiefer und Zypresse –
möge dein Vermächtnis fortbestehen.

Ruhe in Frieden, liebe Kristin.


Günter Zamp Kelp, Architekt

Mehr als vierzig Jahre hat Kristin Feireiss Aedes durch gute Tage und problematische Zeiten gesteuert, um der Gesellschaft Architektur nahe zu bringen.

In einem Interview, das sie vor geraumer Zeit mit mir führte, fragte sie mich unter anderem, in welchem Verhältnis zur Zeit und zur Öffentlichkeit meine Arbeiten nach Haus-Rucker-Co stehen. Ich verwies auf mein wichtigstes Bauwerk nach Haus-Rucker-Co – das bis 1996 gemeinsam mit Julius Krauss und Arno Brandlhuber realisierte Neanderthal Museum, dessen analoge Dokumentation ich im selben Jahr in Aedes West präsentierte.

Das in diesem Bauwerk materialisierte Modell einer Gesellschaft, die sich in Schleifen aus der Vergangenheit in die Zukunft bewegt, wird am tangential verlaufenden Endpunkt der Ausstellungsspirale infrage gestellt – und wollte Bewusstsein schaffen für die aufkommende Zeitenwende, in der wir uns heute befinden.

Kristin hat am 20. April 2025 Aedes und die Zeitspirale unserer Gesellschaften verlassen. Alles liegt nun in den Händen der neuen Leitung – dieser, ohne Frage, für uns Architektinnen und Architekten so wichtigen Institution.

Ich stelle mir vor, wie sie aus „Transkristinien“, ihrem neuen Aufenthaltsort, den neuen Leiterinnen und Leitern in deren Träumen den einen oder anderen Rat gibt, um Aedes sicher in die Zukunft zu führen.

Adieu, Kristin!


Annett Zinsmeister, Architektin

Kristin war eine ganz außergewöhnliche Frau, die ich während meines Architekturstudiums an der Hochschule der Künste Anfang der Neunzigerjahre kennengelernt habe.

Kristin füllte mit ihrer Galerie und ihrem besonderen Blick auf die Architektur eine Lücke im Architekturgeschehen, indem sie dem Experimentellen und Anderen im architektonischen Denken und Entwerfen Raum und ein Forum gab.

Ich war häufig in Aedes am Savignyplatz und kam dank meines Engagements für die Vortragsreihen „Künstlergespräche“ an der HdK und „Positionen der Avantgarde“ an der TU schnell mit Kristin in direkten Kontakt. Sie war sehr interessiert an unseren studentischen Initiativen, bei den Veranstaltungen oft präsent und eine große Unterstützerin. Unvergessen ihre Einladung zu ihr nach Hause auf einen Tee mit Thom Mayne.

Dank einer spontanen Ausstellung in Aedes über die Kriegszerstörungen in Sarajevo bin ich am Ende des Krieges selbst nach Sarajevo gereist – eine bis heute prägende Erfahrung und Projektarbeit über Krieg und Stadt, die ohne Kristin nicht zustande gekommen wäre und mich eng mit ihr verband.

In den letzten Jahren wurde diese Verbindung immer persönlicher – mit Telefonaten und Einladungen zu Veranstaltungen, auch bei ihr und uns zuhause. Unvergessen die schöne Feier ihres 80. Geburtstags mit Gästen aus der ganzen Welt.

Es ist kaum vorstellbar, ihr nicht mehr begegnen und mit ihr sprechen zu können. Tröstend ist die Michelangelo zugeschriebene Vorstellung:

„Du bist nicht tot, du wechselst nur die Räume.
Du lebst in uns und gehst durch unsere Träume.“