Der Eingang hat somit den Tod der Autorenschaft zum Ausgang, den der Semiotiker Roland Barthes zwei Jahre vor der Entstehung der Installation in seinem gleichnamigen Werk für die Literatur theoretisiert hat. Superstudio bringen diesen Gedanken in die Architektur: „Gli istogrammi si chiamavano anche ‚Le Tombe degli Architetti‘“ – die Histogramme bezeichneten sie auch als „Die Gräber der Architekten“. Mittels abstrakter weißer Geometrien, welche mit einem dünnen schwarzen Rechteckraster umhüllt sind, setzt Superstudio neben Grab- auch Grundstein dafür, die Architektur jenseits von Objekten zu konzipieren. Eine Denkbewegung, die sich durch die gesamte Ausstellung und die zehnjährige Schaffensperiode des Kollektivs zieht: eine Auseinandersetzung damit, wie eine Architektur gedacht werden kann, die das freie Leben nicht einschränkt, sondern ermöglicht.
Die Ausstellung ist chronologisch kuratiert und situiert zunächst Superstudio, darunter deren Mitbegründer Adolfo Natalini, Cristiano Toraldo di Francia, Piero Frassinelli, Alessandro und Roberto Magris, als Kinder ihrer Zeit. Studentenrevolte, Operaismus, Neomarxismus, die große Flut von Florenz sowie Aufstieg der Konsumgesellschaft gingen auch an den jungen Architekturabsolventen nicht spurlos vorbei. Ganz im Gegenteil waren diese Ereignisse Grund genug, die Architektur mit ihren eigenen Mitteln neu zu erfinden. Zusammengefasst lag der Kapitalismuskritik von Superstudio folgende Hypothese zugrunde: wenn Objekte in erster Linie dazu dienen, das Leben von sich selbst zu entfremden und somit Klassenunterschiede symbolisch herzustellen, dann müsse eine antikapitalistische Architektur in erster Linie aufhören, Objekte zu produzieren. Folglich wendete sich Superstudio von der Architektur als Objekt ab, um sich mit der Gestaltung und Funktion von Infrastruktur zu befassen, deren Belange sich an anthropologischen Konstanten der Gesellschaft orientieren anstatt an dem Ideen- und Gestaltungswillen von Individuen. Als 1972 der Club of Rome in der global angelegten Studie The Limits of Growth die Überbevölkerung des Planeten als zentrales Problem diagnostizierte, hatte Superstudio bereits eine eigene Antwort auf die Endlichkeit von Energieressourcen: Architektur als eine planetare Infrastruktur. Die terrestrische Bedingung von Ressourcenknappheit, die der entfesselte Kapitalismus zu ihrer Zeit ausgeblendet hat, weist gewisse Parallelen zur Realisierung des Klimawandels in der Gegenwart auf. Architektur sei ausschließlich durch eine planetare Ausrichtung der Planung in der Lage, diesem Problem zu begegnen, so nicht nur die Auffassung von Superstudio, sondern auch ihrer Zeitgenossen Constantinos Doxiadis oder Buckminster Fuller, die jeweils sehr unterschiedliche Ansätze verfolgten. Aus dem Umdenken der eigenen Disziplin heraus formen diese Protagonisten die Idee einer planetaren Architektur, die sich den gesellschaftlichen Diskursen seiner Zeit nicht entzieht, sondern Ansätze für das Neudenken der Rolle der gebauten Umwelt liefert.
Doch die Ausstellung führt vor Augen, dass mit der Neuausrichtung der Architektur auf globale Ziele auch ihre tradierten Mittel nach einer grundlegenden Revision verlangten. Zunächst sind die Entwurfs- und Präsentationswerkzeuge von Superstudio intermedial. Auf Papierarchitektur lässt sich das Kollektiv nicht reduzieren, selbst wenn es monumentale Zeichnungen und Collagen waren, anhand derer die Werke des Kollektivs oftmals rezipiert worden sind. So macht die Ausstellung insbesondere darauf aufmerksam, wie vielschichtig unterschiedliche Medien miteinander verbunden wurden, um Ideen und Narrative zu kommunizieren. Jeder Collage hängt ein Filmskript an, jeder Zeichnung eine Erzählung, jedem Bild ein Statement, jedem Entwurf eine ganze Kette verschiedener Medien, die den Ausstellungsbesuch zu einem multimedialen Erlebnis machen. Dabei fanden digitale Medien, deren Aufkommen seinerzeit von den ikonischen IBM 360 Großrechnerarchitekturen geprägt war, eine ebenso medienkritische Auseinandersetzung wie das Massenfernsehen. Für den Cimitero San Cataldo in Modena, den letztendlich Aldo Rossi mit seinem ikonischen Baukörper realisieren durfte, schlug Superstudio 1971 einen Gegenentwurf vor, der digitale Speichermedien in die Architektur mit einbezieht.