Niklas Maak hat dankenswerterweise in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (26.5.) und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.5.) über unsere neue Ausgabe Rechte Räume: Bericht einer Europareise berichtet, die in Kooperation mit dem Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) der Universität Stuttgart entstand (Leitung: Prof. Dr. Stephan Trüby). Wer das Heft nicht kennt, muss den Eindruck gewinnen, die Architekturtheoretikerin Verena Hartbaum (IGmA) hätte mit ihrem Beitrag für die Ausgabe den Berliner Architekten Hans Kollhoff als „Antisemiten“ bezeichnet. Das ist mitnichten der Fall. Das Heft ist nun im Handel, und man kann sich ein eigenes Urteil bilden. Wir möchten ganz entschieden den Vorwurf der „Diffamierung“ zurückweisen, weil er nicht stimmt und daher seinerseits eine Diffamierung der wissenschaftlichen Arbeit des IGmA, insbesondere der Autorin Verena Hartbaum, sowie unserer verlegerischen Sorgfaltspflicht darstellt.
Worum geht es? In der Ausgabe haben wir neben einer europaweiten Darstellung der Raumgreifungen durch neurechte Tendenzen auch die Arbeit von Verena Hartbaum zu Hans Kollhoffs Walter-Benjamin-Platz in Berlin (1999-2001) vorgestellt. Die Autorin stellt die Genese des Platzes dar und weist auf Verwendung eines scheinbar antikapitalistischen Zitats aus Ezra Pounds Versepos Cantos hin, das dort jedoch eindeutig antisemitische Bedeutung hat. Verena Hartbaum hat diese Arbeit bereits 2013 veröffentlicht, die wiederum auf die Veröffentlichung des Historikers und Germanisten Heinz Dieter Kittsteiner (1942-2008) aus dem Jahr 2003 aufbaut, der diesen Pound-Bezug enthüllte. Kollhoff ließ, ohne Autorennennung, folgenden Vers in eine Bodenplatte ein: „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.“ Man muss kein literaturwissenschaftliches Studium absolviert haben, um auf die Spur Pounds zu kommen, der für seine antisemitische Propaganda berüchtigt war. Mit dem Codewort „Usura“ (Wucher) machte er „die Juden“ für die Herrschaft des bestehenden Zinssystems verantwortlich.
Die antijüdische Kapitalismuskritik hat eine lange Tradition, auf deren Breitenwirkung die Faschisten und Nationalsozialisten erfolgreich gesetzt haben. Pound war ein begeisterter Anhänger nicht nur Mussolinis, sondern auch von Clifford Douglas, der unter Bezugnahme auf das antisemitische Pamphlet Die Protokolle der Weisen von Zion das monetäre System als Teil einer „jüdischen Weltverschwörung“ ansah. Darauf rekurriert letztendlich die antikapitalistische Argumentation Pounds. Sie verbindet sich heute mit linkem Antikapitalismus und linker Globalisierungskritik in jener Querfront, auf die Stephan Trüby im Heft hingewiesen hat. In der Tat ist die herkömmliche Einteilung in klassische Rechts-/Links-Schemata nicht mehr hilfreich, stattdessen schlägt Trüby ein Kreuzachsenmodell vor, das die neuen Allianzen und Querverbindungen zwischen rechts und links aufzeigt. D.h. aber nicht, dass man der Entpolitisierung durch die Aufhebung aller Rechts-links-Kategorien das Wort reden muss. Man muss sich stattdessen noch mehr der Komplexität der Situation bewusst machen.
Warum haben wir also diese „alte“ Geschichte wieder ausgegraben? Weil wir glauben, dass in einer Zeit, in der sich Juden in Deutschland laut der Empfehlung des Antisemitismusbeauftragten der Deutschen Bundesregierung nicht mehr öffentlich zu erkennen geben sollten, in einer Zeit, in der Antisemitismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus wieder salonfähig und parlamentarisch geworden sind, wir in der Ausgabe nicht nur über dumpfe Parkplatz-Neonazis reden können, sondern auch aufzeigen müssen, wie weit rechtes und antisemitisches Gedankengut bereits in die sogenannte Mitte der Gesellschaft und des Bildungsbürgertums vorgedrungen ist. Diese Normalisierung beginnt mit Sprechakten, auch solche wie die sprechende Bodenplatte von Kollhoff auf dem Walter-Benjamin-Platz. Dieses Skandalon, egal wie lange das schon bekannt ist und wie wenig es seither Menschen zu stören scheint, bleibt bestehen und ist unerträglich vor dem Hintergrund der politischen Lage.
Haben wir Kollhoff diffamiert? Noch einmal: nein. An keiner Stelle im Heft sagen wir, dass Kollhoff ein „Antisemit“ sei, wie Niklas Maak dies suggeriert. Wir haben lediglich die Faktenlage zusammengetragen und fragen: Warum besteht Hans Kollhoff, nachdem die Benennung des Platzes zu Ehren Walter Benjamins 2000 beschossen wurde, auf das Pound-Zitat, obwohl dessen Schicksal ihm, der sich rühmt, das Werk Benjamins gut zu kennen, bekannt ist. Benjamin hat sich bekanntlich auf der Flucht vor den Nazis 1940 das Leben genommen. Auch rühmt sich Kollhoff gegenüber Verena Hartbaum, die ihn für ihre Arbeit angeschrieben hat, dass er selbstverständlich Ezra Pounds „Werk und Geschichte (vor allem die italienische) … besser kenne als Herr Kittsteiner vermutet“. Kollhoff weist damit explizit zurück, dass er im Unkenntnis der historischen Zusammenhänge gehandelt hätte (was Kittsteiner zu seinen Gunsten vermutete), als er das Zitat auswählte. Die Vermutung, dass das Zitat nur ein Unfall ist, der auf Kollhoffs Naivität zurückgeht, lässt sich nicht aufrechterhalten.
Der Status quo ist jedenfalls ein unerträglicher. Das Zitat kann so nicht so stehen bleiben. Es lediglich zu entfernen, wäre jedoch zu einfach und nur von kosmetischer Natur. Kollhoffs antisemitisches Pound-Zitat auf dem Berliner Walter-Benjamin-Platz ruft nach Kommentierung und Widerspruch. Unsere Pflicht ist es, darauf hinzuweisen. Nun ist es Aufgabe verantwortungsbewusster Bürgerinnen und Bürger und der Kulturpolitik, sich der Sache anzunehmen.
Anh-Linh Ngo, Mitherausgeber der ARCH+