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Instagram Living, Collage von Maria Groiss, Bernadette Krejs, 2021
Empfehlung

Bernadette Krejs: Instagram Wohnen – Architektur als Bild und die Suche nach gegenhegemonialen Wohnbildwelten

Rezension von Rosanna Umbach

Bodentiefe Fenster, Tische mit sanft geschwungenen Teakholzbeinen und gleißend weiße Wohnzimmereinrichtungen verwischen beim Scrollen über das Handy-Display zu monochromen Schlieren. Wohnen erscheint in dieser saisonal unterschiedlich dekorierten Ausformulierung nicht als existenzielle Notwendigkeit, sondern als reiner Lifestyle, scheinbar losgelöst von politischen und ökonomischen Zusammenhängen, wie der Ungleichheit der Klassengesellschaft oder der Frage nach Grund und Boden.

Bernadette Krejs Dissertation, die unter dem Titel Instagram Wohnen – Architektur als Bild und die Suche nach gegenhegemonialen Wohnbildwelten 2023 im transcript Verlag erschienen ist, wurde teilweise während der Covid-19-Pandemie verfasst. Eine Zeit, in der die eigene Wohnung zum kondensierten Ort des Alltags und das Wohnen „allgegenwärtig und sichtbar“1 wurde – vor allem als Hintergrund in Zoom-Konferenzen – und gleichzeitig viele seiner prekären Zustände weiterhin im Verborgenen blieben. „Wohnen meldete sich in der Pandemie“ zwar „als Ort des Politischen […] zurück“2 und wurde als ein von Ungleichheiten durchzogener gesellschaftlicher Schauplatz sichtbar, erschien aber zum Beispiel auf Plattformen wie Instagram als gut ausgeleuchtete Bühne für die Präsentation von Wohn-Produkten, das Aufführen von probiotischen und biopolitischen Ernährungsroutinen oder die ritualisierte Inszenierung von Familienidealen. Bernadette Krejs‘ Forschung nimmt einerseits kritisch in den Blick, wie „Wohnen auf Instagram bildlich dargestellt, ausgestellt und durch die Plattform reproduziert wird“3 und begibt sich andererseits auf die Suche nach dem politischen Gehalt des Wohnens und seiner gegenhegemonialen Bilder, die Möglichkeitshorizonte eröffnen auf andere Formen des Wohnens und Zusammenlebens sowie ihrer architektonischen Ausformulierung.

Krejs, selbst Architekturschaffende und -forscherin, arbeitet in einem transdisziplinären Feld, das sich zwischen Architektur, Wohnbau und Visueller Kultur aufspannt. Diese disziplinübergreifende Perspektive wird bereits im theoretischen und methodischen Zugriff des Buchs deutlich: Das erste der drei großen Kapitel widmet sich der „Architektur als Bild“ und etabliert einen theoretisch dichten Bildbegriff, der das oft untergeordnete Medium des Bildes in der Architektur stark macht, seine „Selbst- und Eigenständigkeit“ einfordert und seine mögliche „Handlungsfähigkeit und das Verändernd-Vermittelnde“4 betont. Bilder sind integral an gesellschaftlichen Prozessen beteiligt, repräsentieren unsere Vorstellungen von Welt und Wirklichkeit und helfen dabei, diese zu konstruieren und zu dekonstrukieren. Krejs spricht sich dafür aus, die Hierarchie zwischen gebauter und visuell vermittelter Architektur aufzulösen und vielmehr die komplexen Wechselbeziehungen herauszuarbeiten, die zwischen ihnen bestehen, um die „Art und Weise, wie sie einander beeinflussen, benötigen und prägen, zu verstehen“5. Bilder sind – allein schon auf den Displays unserer Smartphones – allgegenwärtig und Architektur wird nicht erst mit den Plattformtechnologien massenmedial verbreitet. Anhand verschiedener klassischer Architekturfotografien, wie Julius Shulmans Fotografien des Case Study House #22 und die Fotografien von Ludwig Mies van der Rohes Barcelona Pavillon, untersucht Krejs das Verhältnis von „Bild und Architektur“ und zeigt, inwiefern Bilder in die Architekturgeschichte und ihre kanonischen Erzählungen eingebunden sind, wie sie dazu beitragen, diese auszuprägen oder auch zu unterlaufen, und wie sie schließlich selbst zur Architektur werden. Mit dem Konzept der Agency of the Image gibt sie den Leser*innen ein Instrumentarium an die Hand, um die Verhandlungsfähigkeit des Bildes artikulieren zu können: Bilder können Macht- und Herrschaftsstrukturen konsolidieren, sie aber auch sichtbar machen oder neue Perspektiven eröffnen, in dem sie etwas Neues und Anderes skizzieren, das zementierte Vorstellungen von Architektur aufsprengt, alternative Systeme verlebendigt und eine Ahnung des Möglichen vermittelt.

Im zweiten Kapitel „Das Bild des Wohnens“ untersucht Krejs die Darstellungs- und Ausstellungspraxen des Wohnens in digitalen Räumen und auf Plattformen wie Instagram. Dabei wirft sie die Frage auf, „welche Wohnideale und -begehren durch diese globalen Repräsentationsformen evoziert werden“6. Der „Schauplatz Wohnen“ wird als „System der Repräsentation“ vorgestellt, „in dem sich das Subjekt durch Objekte und Handlungen konstituiert und bestimmte Formen von Gemeinschaft ausgestellt werden. In diesem komplexen Feld des Wohnens, das von gesellschaftspolitischen, ökonomischen und politischen Interessen bestimmt ist, werden Wohnnormen und -ideale durch mediale Inszenierungen festgehalten, ausgestellt und vermittelt“7. Der heteronormative Entwurf der bürgerlichen Kleinfamilie als maßgebliches Beziehungsgefüge und klassenübergreifend institutionalisiertes Wohnideal sowie die im Wohnen verstetigten familialen und geschlechterdifferenten Arbeitsteilungen sind dabei eng verknüpft mit der Herausbildung eines modernen Wohnens, das sich im Zuge des gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturwandels im Übergang des 18. zum 19 Jahrhundert formiert und das Wohnen als vermeintlich privaten Bereich im Gegensatz zur Sphäre des Öffentlichen ausweist. Dabei ist „Wohnen keine politikfreie Sphäre des Privaten, sondern vielmehr eine komplexe Anordnung aus Handlungen und Objekten, die durch Medien vermittelt Kultur, Gesellschaft, Ökonomie und Politik mitformen“8.

Doch wie wird Wohnen im digitalen Zeitalter vermittelt? Nicht mehr das Abbild eines spezifischen Wohnraums, sondern das Medium – also die Plattform an sich – ist im Sinne Marshall McLuhans Diktums „The medium ist the message“ von Bedeutung. Plattformtechnologien durchziehen unseren Alltag, ordnen und gestalten ihn: „Wir kommunizieren über Facebook, Instagram, Twitter oder TikTok, wohnen über Airbnb, bewegen uns mit Uber und Lime-E-Scootern durch die Stadt, verabreden uns zum Sex auf Tinder und Grindr, kaufen bei Amazon, spielen live auf Twitch, streamen über Netflix und arbeiten oder tauschen Wissen über Zoom aus.“9 Die Bewegung der in Selbsttätigkeit zirkulierenden Subjekte ist dabei eine der Maximen unserer digitalisierten Gesellschaft, wobei verschiedene Plattformen mit dem Versprechen der Selbstverwirklichung werben, dabei aber lediglich daran interessiert sind, verwertbare Datenströme am Laufen zu halten.

Auch Instagram ist eine Plattform, die Daten sammelt, um daraus Kapital zu schlagen. Die gleichförmige Bildsprache aus aseptisch weißen Räumen im Weitwinkelformat, die das #interiordesign auszeichnet, befolgt die Spielregeln der Konsumption. Doch wie verändern diese omnipräsenten Wohnbildwelten des Digitalen unser Verständnis von bewohntem und gebautem Wohnraum in der Realität? Anhand von vier Follower*innen-starken Home- und Interior-Accounts untersucht Krejs die Logik des „Instagram Wohnens“ und stellt uns verschiedene US-amerikanische aesthetic workers vor, die durch die Inszenierung ihres Lebensstils die Warenförmigkeit des Wohnens und die optimierte Selbsttätigkeit des wohnenden Subjekts ausstellen. Die Schauplätze des Wohnens, wie sie auf Instagram inszeniert werden, sind „bis ins Detail inszenierte, geplante und kuratierte Bühnen, die durch ihre Verbildlichung mit perfektem Licht und passenden Farben zu unerreichbaren Idealen transformiert werden.“10 Und diese Ideale haben Folgen: Die Komplexität des Wohnens wird auf einige regelkonforme Zustände heruntergedampft, die Prekarität und Ungleichheit unsichtbar sowie Kollektivität und Solidarität undenkbar werden lassen. Wohnen erscheint in den homogenisierten Bildwelten allein als „ästhetische[r] Konsum“11 und bewegt sich innerhalb eines limitierten und limitierenden Rahmens. Instagram wird von Krejs als ein normierendes System analysiert, „das bestimmte Wissensformen und Kulturen produziert und somit essenzielle Aspekte des Wohnens bewusst ausklammert“12. Wohnen gerinnt zum Lifestyle, der über Konsum hergestellt und aufrechterhalten wird und an dieser spezifischen Vorstellung des Wohnens mitwirkt. Anhand von Airbnb und seinen als AirSpaces bezeichneten uniformen Räumen mit immer gleicher Ausstattung diskutiert Krejs, inwiefern die auf Plattformen inszenierten Idealvorstellungen auch die konkrete Planung und das Bauen beeinflussen und somit bereits zu „einflussreichen Akteurinnen bei der Gestaltung unserer Umwelt“13 geworden sind. Wo das Airbnb-Prinzip dringend benötigten Wohnraum für touristische Verwertung okkupiert, ist die Instagramability mittlerweile ein Kriterium im Entwurfsprozess. Eine solche Plattform-Architektur ist beispielsweise The Vessel in New York City (2019, Thomas Heatherwick), die als interaktive Bühne funktioniert, „auf denen sich das Subjekt inszeniert und ablichtet und normative Muster der Selbstdarstellung erprobt.“14 Ikonische Architekturen, die sich mit „auffällige[n] Formen, knallige[n] Farben oder neue[n] Effekten“15 an den Anforderungen der Aufmerksamkeitsökonomie orientieren, repräsentieren ein „kapitalistische[s] System“16 und verkörpern „die idealisierte Vision einer neoliberalen Gemeinschaft“17.

In Kapitel 3 „Drawing Housing Otherwise“ begibt sich Krejs schließlich auf die „Suche nach gegenhegemonialen Bildwelten des Wohnens“. Gibt es einen Entwurf des Gemeinschaftlichen, abseits von Follower*innenschaften und Konsumkollektiven? Die Autorin widmet sich dem Potenzial der Gegenhegemonie und erkundet ausgehend von der Praxis des drawing otherwise – welches die „Handlungsfähigkeit und Selbstermächtigung der Vielen“18 ermöglicht – das Wohnen als Ort des Widerstands und spürt den „Rissen und Widersprüchlichkeiten in bestehenden Hegemonien“19 nach. Drawing otherwise beschreibt ein „Denken, Entwerfen und Produzieren“20, das alternative Szenarien des Wohnens denkbar werden lässt. Es geht dabei nicht um utopische Zugriffe aufs Zukünftige, sondern um eine in der Gegenwart verankerte Praxis, die „Möglichkeiten und Fähigkeiten für das Jetzt“21 aufzeigt.

Krejs stellt uns verschiedene politisch-aktivistische Bilder vor, die ein solches otherwise vorstellbar machen und in hegemoniale Strukturen intervenieren. Die farbenfroh flirrenden Zeichnungen des Kollektivs (ab)Normal nehmen Architektur zum Ausgangspunkt einer alternativen Bilderzählung, die in ihrer Uneindeutigkeit eingeschliffene Sehgewohnheiten herausfordert. Das intersektional-feministische Designkollektiv EDIT ordnet in ihren Collagen gewohnte Strukturen um. Durch diese Um- und Unordnungen wird das Häusliche als eine von vergeschlechtlichten Ungleichheiten durchzogene Sphäre sichtbar – und zugleich werden egalitärere Formen des Zusammenwohnens vorstellbar. Auch die Arbeiten von Mona Mahall und Asli Serbest brechen mit gewohnten Anordnungen und generieren Sichtbarkeiten abseits des architektonischen Malestreams22. Indem Mahall und Serbest mit ihren gegenhegemonialen Bildpraxen Grenzen auflösen und alternative Erzählungen produzieren, ermöglichen sie ein „spielerisches Neusortieren von architektonischen Geschichten und Wissensformen.“23 Krejs betont die Kraft des Kollektiven, insbesondere eines collective unlearning, das diesen verschiedenen Arbeiten innewohnt und den Blick auf das lenkt, was es zu verändern gilt.

Solche und andere gegenhegemoniale Bildwelten bleiben im Algorithmus der Plattformen allerdings unsichtbar, da sie sich der Verwertbarkeitslogik widersetzen, und so im Datenstrom versinken. „Sie sind nicht usable (verwertbar), sondern useful24 und stehen damit den zirkulierenden, konsumorientierten und ästhetisierten Wohnbildwelten diametral entgegen. Das System von Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit mit seinen Ein- und Ausschlüssen produziert immer schon mit an einer bestimmten architektonischen Geschichtsschreibung, in der sich „die immer gleichen, abgesicherten (Bild-)Quellen“25 wiederholen. Anhand der Zeichnungen von Madelon Vriesendorp und Zoe Zenghelis verdeutlicht Krejs, wie vor allem Frauen in der Architekturgeschichte als Bildproduzent*innen unsichtbar gemacht wurden und verknüpft aktuelle und historische Kanonisierungsprozesse, in denen gegenhegemoniale Bildwelten ausgeschlossen bleiben. Aber wie können gegenhegemoniale Wohnbilder nun sichtbar werden? Auf großen Plattformen erscheint dies „(fast) aussichtslos“, schreibt Krejs – und verweist abschließend auf Nick Srniceks Idee der öffentlichen Plattform, „die von der Bevölkerung besessen und kontrolliert wird“ und den Raum für einen „sichtbaren Diskurs mit Vielen“26 eröffnet.

Instagram Wohnen nimmt die Leser*innen mit auf eine Suche nach anderen Bildern des Wohnens, tastet in dieser suchenden Denkbewegung verschiedene Möglichkeitsräume ab und findet die Unebenheiten im System. Zwischen Theorie und Praxis vermittelnd eröffnet Krejs ein Diskursfeld, das aktueller nicht sein könnte: Wohnungsfragen stellen sich heute mit neuer Dringlichkeit und zugleich wird das Wohnen immer weniger als politisches und gesellschaftliches Praxisfeld verstanden, denn als vielseitig vernetzter und ausgestellter Konsumraum. Mit ihrem Konzept der gegenhegemonialen Wohnbildwelten entwickelt Krejs Formate des Widerspruchs und des Widerstands ebenso wie kollektive Praxen, die nicht nur für die Disziplin der Architektur interessant sind, sondern auch für uns als wohnende Betrachter*innen. Wir sind eingeladen, an den Rissen der Hegemonie entlangzufahren und über die Möglichkeiten eines otherwise nachzudenken.

Fußnoten

1 Bernadette Krejs: Instagram Wohnen – Architektur als Bild und die Suche nach gegenhegemonialen Wohnbildwelten, Bielefeld 2023, S.13

2 Ebd., S. 14

3 Ebd., S. 15

4 Ebd., S. 29

5 Ebd., S. 71

6 Ebd., S. 31

7 Ebd.

8 Ebd., S.149

9 Ebd., S. 152

10 Ebd., S. 224 f.

11 Ebd., S. 230

12 Ebd., S. 120

13 Ebd., S. 229

14 Ebd., S. 164

15 Ebd., S. 89

16 Ebd., S. 35

17 Ebd.

18 Ebd., S. 257

19 Ebd., S. 265

20 Ebd., S. 257

21 Ebd., S. 269

22 Durch Umwandlung von main das ähnlich klingende male werden dominante Strömungen gesellschaftlicher Bereiche und Debatten charakterisiert, die als durch Männer bestimmt und auf deren Lebens- und Wertvorstellungen hin gestaltet verstanden werden.

23 Krejs 2023, S. 292

24 Ebd., S. 310

25 Ebd., S. 304

26 Ebd., S. 320

Bernadette Krejs: Instagram Wohnen – Architektur als Bild und die Suche nach gegenhegemonialen Wohnbildwelten

Print, 39,00 EUR

11/2023, 354 Seiten kart.,

Dispersionsbindung, 15

SW-Abbildungen, 75

Farbabbildungen

ISBN 978-3-8376-6899-5