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Aufruf zum Boykott des Round Table von Signa

Nach der Kontroverse um die von Walter Smerling initiierte private „Kunsthalle“ im ehemaligen Flughafen Tempelhof, die starke Proteste und Boykottaufrufe hervorrief, kommt wieder eine „Kunsthalle“ um die Ecke, dieses Mal von dem umstrittenen Immobilienentwickler Signa, gegen dessen Gründer René Benko die Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Bestechung zur Beförderung von Bauprojekten Anklage erhoben hat. Signa steht in Berlin wegen des Projekts am Hermannplatz in der Kritik (siehe Niloufar Tajeri in ARCH+ 241). Während die Firma in Neukölln mit Pseudo-Partizipation politisch Einfluss zu nehmen versucht, soll nun mit der temporären „Kunsthalle“ Legitimation für die Stadtentwicklung in der City West gewonnen werden. So lud nun die für Architektur und Stadtentwicklung zuständige Kuratorin Nadin Heinich, deren Reihe Architecture Matters regelmäßig von Signa gesponsert und von Sprechern des Entwicklers beschickt wird, „‚Junge Architekten‘ [sic], Journalist*innen bekannter und etablierter deutschsprachiger Architekturmedien (Online wie Print) und die neue Berliner Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt“ zu einem „Round Table“ ein, um über die Stadtentwicklungspolitik in Berlin zu diskutieren. Ein ehrenwertes Unterfangen, sollte man meinen. Doch das Büro c/o now hat die Einladung in einem offenen Brief entschieden zurückgewiesen und andere dazu aufgerufen, ebenfalls Haltung zu zeigen. 

Ihre Argumente möchten wir hier veröffentlichen.

Eingeladen: „Junge Architekten“ [sic], Journalist*innen bekannter und etablierter deutschsprachiger Architekturmedien (Online wie Print) und die neue Berliner Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt. Die Einladung ruft einige durchaus besprechungswürdige Themen auf, die in einem „offenen, direkten, unvoreingenommenen Austausch“ diskutiert werden sollen. Gastgeberin ist die Kuratorin des Programms zu Architektur und Stadtentwicklung einer von der SIGNA Real Estate betriebenen – uns bisher unbekannten – „temporäre[n] Kunsthalle“ am Kurfürstendamm.

Als Architekt*innen beteiligen wir uns immer wieder kritisch am Stadtentwicklungs-diskurs Berlin und Brandenburgs. Diesen kritischen Blick versuchen wir auch in unserer Lehre, wie derzeit im Rahmen der von uns als c/o now kollektiv eingenommen Gastprofessur an der Kunstuniversität Linz, an künftige Kolleg*innen weiterzugeben.
Als Planende und Bauende in der Rechtsform einer GmbH sind wir ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Hier arbeiten wir mit öffentlichen, aber überwiegend mit privaten Auftraggeber*innen zusammen. Diese Arbeit basiert immer auf gegenseitigem Vertrauen. So wie wir als Architekt*innen über das reine Angebot unser Dienst-leistungen hinaus die Verpflichtung verspüren, das „Wohl der Allgemeinheit“ als Planungs- und Handlungsparameter zu verstehen, haben wir dabei bisher auch ausnahmslos mit Auftraggeber*innen kollaboriert, die sich dieser im Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetztes der Bundesrepublik festgeschriebenen Prämisse ebenso fest verpflichtet fühlen und auch entsprechend agieren.

Die Einladung an uns stellt vollkommen richtig fest, dass „die Ernennung von Petra Kahlfeldt als Berliner Senatsbaudirektorin nicht ohne Widerspruch geblieben ist“. Auch wir haben dieser Berufung öffentlich widersprochen, sehen aber vor allem die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und den Senator für Stadt-entwicklung und Umwelt Andreas Geisel (ebenfalls SPD) in der Verantwortung. Wir halten es für einen unglücklichen Umstand, dass die Senatsbaudirektorin einem Treffen mit „Junge[n] Architekten“ dieser Stadt, die „gezielt ein[ge]laden“ werden, ausgerechnet in einer „temporäre[n] Kunsthalle“ zugestimmt hat, die von einem Immobilienunternehmen betrieben wird, von dem die Einladung selbst sagt: „Auch SIGNA ist viel in der Presse“.

Wir sind grundsätzlich mit wenigen Ausnahmen dazu bereit mit anderen Positionen in Dialog zu treten, dazu gehören auch Immobilienunternehmen, ob sie nun in der Presse sind oder nicht. Wir erwarten aber gerade von der Senatsbaudirektorin, dass ein solches Gesprächsangebot auf Augenhöhe stattfindet. Dazu gehört unserer Meinung nach auch ein öffentlicher, niedrigschwellig zugänglicher und mit Blick auf die „temporäre Kunsthalle“ letztlich neutraler Ort, an dem sich möglichst viele, verschiedene Akteur*innen, die an der Gestaltung dieser Stadt beteiligt sind oder beteiligt sein sollten, versammeln können. Die Zukunft der Stadt sollte an Orten diskutiert werden, die dem öffentlichen Interesse dienen und nicht privatwirtschaftlichen Interessen. Andernfalls laufen wir Gefahr, dass spezifische Kritik in eine Allgemeingültigkeit verkehrt, oder sogar von den Veranstalter*innen instrumentalisiert wird. Enthalten wir uns jeglicher Kritik, legitimieren wir gegebenenfalls kritikwürdige Positionen allein durch unsere Anwesenheit.

Wir bedanken uns daher höflich bei der Kuratorin des Programms zu Architektur und Stadtentwicklung der neuen „temporäre[n] Kunsthalle“ am Kurfürstendamm für die Einladung, die wir allerdings entschieden ausschlagen müssen.

Die Senatsbaudirektorin rufen wir dazu auf mit Nachdruck den Kontakt zu „Junge[n] Architekten“ zu suchen; Teil einer engagierten, öffentlichen und nicht nur für Expert*innen zugänglichen und sich fortschreibenden Gesprächskultur zu werden; und solche wichtigen, öffentlichen Termine selbst zu initiieren, statt solche Formate Dritten zu überlassen!

Unsere Kolleg*innen, ob jung, alt oder noch studierend, bitten wir ebenso wie unsere Auftraggeber*innen darum, aus Solidarität mit unser aller Arbeits- und Lebens-bedingungen, aber vor allem der offenen und transparenten Diskussionsmöglichkeit der Zukunft dieser Stadt willen, der Einladung zu solchen Formaten wie nun diesem „Round Table“ – ob nun als Beitragende oder Zuhörende – ebenfalls nicht nachzukommen!

c/o now, Berlin, 25.04.22