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Ausgabe 256 : Umbau – Ansätze der Transformation

 

07/2024

Umbau – Ansätze der Transformation

Videoessay von Tatjana Bergmeister und Anton Krebs
Editorial
Anh-Linh Ngo

Politiken und Ethiken des Umbaus

Essay
Dietrich Erben

Architektur in Transformationsgesellschaften – Überlegungen zu einer Theorie des Umbaus

Essay
Guillermo López

La Fábrica oder die Zukunft von Ruinen

Statement
Maddy Weavers / RBTA

La Fábrica heute

Statement
Ricardo Flores, Eva Prats

Second Hand

Projekt
Flores & Prats
Mills Museum
Plan der Außenraumgestaltung: ein öffentlicher Platz mit Sitzmobiliar, Baumbepflanzung und einem Kiosk / © Flores & Prats

Das Mills Museum auf Mallorca ist eine kleine kommunale Einrichtung zur Geschichte der balearischen Windmühlen. Die einst für die lokale Landwirtschaft unverzichtbaren Bauten prägen bis heute das Landschaftsbild der Inseln und sind so etwas wie ein Wahr­zeichen der Region. Nur wenige sind noch in Betrieb und sofern sie nicht verfallen, finden die Anlagen, in denen einst Salz oder Getreide gemahlen, Olivenöl gepresst oder Grundwasser für die Bewässerung der Felder hochgepumpt wurde, im besten Fall eine neue Bestimmung. Das Mills Museum ist ein Beispiel einer solchen Umnutzung, für die Flores & Prats Ende der 1990er-Jahre einen Wettbewerb gewannen.

Projekt
Flores & Prats
Yutes Warehouse
Vorderansicht / © Laura Bonell

Yutes Warehouse ist eines der frühen Projekte von Flores & Prats und befindet sich in Barcelonas Vorort Sant Just Desvern. Die direkte Umgebung ist von gesichtslosen Industriebauten, Baustoffhandlungen, Selfstorage-Hallen und Autohäusern geprägt. In den vorwiegend einspurigen Straßen verkehren viele Lastwagen und Transporter. Unweit der Gegend stand einst ein großes Zementwerk, das in Ricardo Bofills ikonische Arbeits- und Wohnstätte La Fábrica und den berühmten Wohnkomplex Walden 7 überging. Letzterer von Bofill und Taller de Arquitectura 1975 errichtete monumentale Bau blickt wie ein stiller Wächter über das ihm zu Füßen liegende Industrieviertel.

Projekt
Flores & Prats
Sala Beckett
Axonometrie / Constance Lieurade © Flores & Prats

Man hätte den Bestandsbau auch einfach entkernen können. Der desolate Zustand des seit geraumer Zeit leer stehenden Gebäudes wäre Argument genug gewesen, sich von Altem zu trennen und den Oberflächen einen neuen Anstrich zu verpassen. Doch für Flores & Prats waren die Spuren aus vergangenen Tagen genau jene Elemente, die es vom 1924 errichteten Nachbarschaftszentrum der Arbeitergenossenschaft Pau i Justicia in Barcelona zu erhalten galt.

Projekt
Flores & Prats, OUEST
Théâtre des Variétés
© Adrià Goula

2019 gewannen Flores & Prats den Wettbewerb für den Umbau des Théâtre des Variétés in Brüssel, für den sie gemeinsam mit dem lokalen Büro OUEST einen Entwurf einreichten. Der 1937 von Victor Bourgeois geplante moderne Bau im Stadtzentrum war zunächst Theater- und Konzerthaus, bevor er in den 1960er-Jahren zum Kino umfunktioniert wurde und ab den 1980er-Jahren leer stand. 2018 erwarb die Non-Profit-Organisation Bruxelles Laïque das Gebäude mit dem Ziel, es wieder als den kulturellen Treffpunkt aufleben zu lassen, der es einst war.

Essay
Lucius Burckhardt

Der Baubestand – wichtigster Teil des Volksvermögens

Essay
Kristina Herresthal, Philip Rieseberg

Unfinished Projects – Ansätze des Bestandsumbaus

Statement
Nanni Grau, Frank Schönert

Räume für Veränderung

Projekt
Hütten & Paläste
Scheune Prädikow
Straßenfassade mit bauzeitlich sich überlagernden Öffnungstypen: Die historische Substanz bleibt weitgehend erhalten und wird lediglich ertüchtigt oder durch kleine Eingriffe ergänzt. / © Hütten & Paläste, Foto: Studio Bowie

Bereits in ihrem Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 forderten Karl Marx und Friedrich Engels eine „Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie“ und ein „Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land“.1 Heutzutage ist die verabsolutierte Dichotomie von Stadt und Land ohnehin überholt. Es handelt sich eben nicht um klar abgegrenzte Siedlungs- und Raumtypen, sondern um sich aufeinander beziehende und aufeinander verweisende soziale, ökonomische und ökologische Verhältnisse. Und dennoch bestehen weiterhin Unterschiede.

Projekt
Hütten & Paläste
Ossietzky-Hof

Deutschland gehört inzwischen zu den Ländern mit dem höchsten Durchschnittsalter. Durch den Renteneintritt der geburtenreichen Boomer-Jahrgänge in den kommenden Jahren wird dieses demo­grafische Problem zunehmend in ein volkswirtschaftliches umschlagen. Insbesondere in den östlichen Bundesländern zeigen sich die Probleme bereits heute1:So gehört auch Nordhausen in Thüringen zu den Orten, die unter der Abwanderung junger Menschen und Fachkräftemangel leiden, eine hohe Armutsquote aufweisen und zunehmend zu rechten Hochburgen werden.

Projekt
Hütten & Paläste
U-Halle
Luftbild nach der Fertigstellung des Umbau / © BUGA 2023

Mannheim gehörte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu den 112 Orten in Deutschland, an denen Einheiten der US-Armee stationiert wurden. Die US-Garnison Mannheim unterhielt in den folgenden Jahrzehnten Kasernen und Einrichtungen in insgesamt 2.000 Gebäuden auf einer Fläche von circa 500 Hektar an verschiedenen Orten der Stadt. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Wiedervereinigung wurden diese Flächen bis 2016 nach und nach für eine zivile Nutzung frei.

Projekt
Hütten & Paläste
nGbK – Salon non fini
Zustand vor dem Umbau: Der Gebäudekomplex der DDR-Ostmoderne am Berliner Alexanderplatz wurde einstmals als nutzungsoffener Stahlbetonskelettbau realisiert. / © nGbK, Foto: Nihad Nino Pušija

Die Verdrängung nicht-profitgetriebener Kulturräume in Berlin schreitet voran und der Ausverkauf der Stadt macht auch vor traditionsreichen Institutionen wie der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) nicht halt. Die nGbK, die 1969 als basisdemokratischer Kunstverein gegründet wurde und ihre Ausstellungen und Veranstaltungen stets politisch denkt, hat 30 Jahre lang Räumlichkeiten in der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg unterhalten. Doch nach dem Verkauf der Immobilie an einen Luxemburger Immobilienfonds musste der Verein im Sommer 2022 seine Ausstellungsräume aufgeben.

Interview
Barbara Buser, Eric Honegger, Tabea Michaelis, Kerstin Müller, Ben Pohl, Anh-Linh Ngo

Unsichtbare Architektur

Projekt
baubüro in situ, Denkstatt, Zirkular, Unterdessen
K.118 – Kopfbau Halle 118
Das Gebäude K.118 liegt im Zentrum des Winterthurer Lagerplatz-Areals, eines Teilstücks des ehemaligen Betriebsgeländes der Firma Sulzer, die im 19. Jahrhundert von einer Gießerei zu einem Konzern für Maschinenbau anwuchs. Der Kopfbau der ehemaligen Industriehalle wurde um drei Geschosse aufgestockt. Nach dem Umbau finden in dem Gebäude zwölf Ateliers sowie Werkstätten und Gewerberäume Platz. / © Martin Zeller

Die alten Zentren der Wirtschaft verfallen, Fabriken stehen leer: Im Zuge der Deindustrialisierung seit den 1970er-Jahren setzt ein Strukturwandel ein, dessen gesellschaftliche Ausmaße meist erst heute vollends zutage treten und für den es produktive Lösungsstrategien braucht. Dies gilt auch für das ab 1834 in Winterthur entstandene Sulzer-Areal, den ehemaligen Produktionsstandort des auf Maschinen- und Anlagebau spezialisierten Unternehmens Sulzer, das mit 150.000 Quadratmetern die Fläche eines eigenen Stadtteils einnimmt. Seitdem die Schwerindustrie Ende der 1980er-Jahre dort auszog, stellt sich die Frage der Nach- bzw. Umnutzung.

Projekt
baubüro in situ, Denkstatt, Unterdessen, Zirkular
Gebäude Q
Die zentral gelegenen Werkstätten der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) werden heute nur noch teilweise zur Instandhaltung von Zügen und Schienen genutzt. Es handelt sich dabei um eines der letzten großen Entwicklungsgebiete in der Stadt Zürich, das in den nächsten 20 Jahren transformiert werden soll. Das Gebäude Q wurde bereits umgebaut und für lokale Produktionsbetriebe freigegeben. / © Martin Zeller

Mit der Einführung der Eisenbahn als Verkehrsmittel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem Ausbau eines allgemeinen Schienennetzes in den folgenden Jahrzehnten wird eine Revolutionierung von Raum und Zeit, eine sogenannte Zeit-Raum-Verdichtung, eingeläutet. Die Soziologin Alexandra Schauer schreibt dazu: „Ohne die fortwährende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse kann die neue Epoche nicht existieren, und die Dampfmaschine, die technisch für die Verwandlung eines Naturstoffs in reine Geschwindigkeit, räumlich für die Öffnung des Horizonts und sozial für den Anbruch eines Zeitalters der Gleichheit steht, stellt das Symbol dieser beschleunigten und sich beschleunigenden Zeit dar.“1 Doch während die Welt räumlich zusammenrückt, die Geschwindigkeit der Eisenbahn sozusagen den Raum schrumpfen lässt, übersieht man eventuell, dass es diesseits des Horizontes konkret gebauten Raum gibt, der genutzt werden will.

Interview
Arno Brandlhuber, Olaf Grawert, Melissa Makele, Alina Kolar

HouseEurope! – Eine Europäische Bürgerinitiative macht Kampagne

Interview
Dominik Geißler, Anh-Linh Ngo, Melissa Makele

Interview Legislating Architecture – Leerstandsbekämpfung und Bestandsentwicklung als Instrumente der Sozialpolitik

Statement
Jan De Vylder

Drei Statements, drei Projekte, eine Frage

Projekt
Architecten Jan De Vylder Inge Vinck
Rot-Ellen-Berg
Rot-Ellen-Berg ist ein typisches belgisches Vorstadthaus, dessen Umbau in enger Zusammenarbeit mit dem Eigentümerpaar geplant wurde. Die Arbeiten am Haus verrichteten die beiden zum Großteil selbst. / © Filip Dujardin, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Die beiden Bauherr*innen des Einfamilienhauses Rot-Ellen-Berg hatten eine ehemalige Dorfkneipe in den flämischen Ardennen gekauft, verfügten jedoch nur über sehr geringe finanzielle Mittel, um das baufällige Haus zu renovieren und umzubauen. Woran es ihnen nicht fehlte, war ein hohes Maß an Eigeninitiative und die Bereitschaft, Zeit und Arbeit in die Instandsetzung des Hauses zu investieren.

Projekt
Architecten Jan De Vylder Inge Vinck
Psychiatrisches Zentrum Caritas / Karus
Das Bestandsgebäude der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses in Melle wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet. Aufgrund neuer Pflegestandards war eine Weiternutzung als medizinische Einrichtung ausgeschlossen, das Budget für eine Sanierung war nicht vorhanden. Daraufhin wurde der Bau in einen offenen Pavillon umgebaut, in dem die Patient*innen und Mitarbeiter*innen der Klinik verweilen können. / © Filip Dujardin, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Das Bestandsgebäude der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses in Melle entsprach nicht mehr den heutigen Pflegestandards und eignete sich deshalb nicht mehr für eine weitere Nutzung. Eine Renovierung kam aus Kostengründen nicht in Frage und für den Abriss war eigentlich schon ein Budget eingestellt. Dass es nicht dazu kam, ist der Intervention eines visionären Bauherrn zu verdanken, der das Projekt radikal neu dachte.

Projekt
AgwA, Architecten Jan De Vylder Inge Vinck
CHAPEX – Palais des Expositions / Palais des Congrès
© Filip Dujardin, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Das Palais des Expositions / Palais des Congrès in Charleroi ist eine riesige Gebäuderuine inmitten der Stadt. Es ist ein Vermächtnis der reichen Vergangenheit von Charleroi, als die Kohlegruben des Pays Noir die europäische Industrie im wortwörtlichen Sinne noch befeuerten.

Interview
Victor Lortie, Laurent Didier, Mathieu Le Ny

Rotzigkeit als Prinzip

Projekt
BAST
T12 – Umbau einer Garage
BAST bauten für ihr eigenes Büro eine ehemalige Garage in Toulouse um. / © BAST

Das Architekturbüro BAST aus Toulouse hat sich in seinen Umbauprojekten darauf spezialisiert, mit minimalem Geld- und Materialaufwand die Raumstruktur des Bestands so zu verändern, dass neue Nutzungen möglich werden. Sie priorisieren dabei grundsätzlich Eingriffe, die strukturelle Veränderungen bewirken, die also neue Verbindungen schaffen und neue Funktionen zulassen.

Projekt
BAST
M20 – Erweiterung eines Einfamilienhauses
Der ehemals nur spärlich belichtete Wohnbereich wird durch den Umbau nicht nur besser natürlich belichtet und belüftet, sondern verdoppelt sich auch flächenmäßig. / © BAST

Die Altstadt von Toulouse – aufgrund der lokalen Backsteinfarbe auch „la ville rose“ (die rosa Stadt) genannt – zeichnet sich im Gegensatz zu den umliegenden Quartieren durch eine dichte Blockrandbebauung aus, die von schmalen Sackgassen und Passagen durchzogen wird. Letztere erschließen die im Blockinneren liegenden Gebäude und dienen heute oft als PKW-Stellplätze. Die Eigentümer*innen eines Einfamilienhauses im Herzen eines solchen Blocks am Ufer des Canal du Midi hatten die Möglichkeit, eine schmale, angrenzende Parzelle zu erwerben. Sie beauftragten BAST damit, auf dem etwa 2,5 Meter breiten und 15 Meter langen Grundstück eine Erweiterung des Erdgeschosses und einen – für diesen Teil von Toulouse seltenen – privaten Außenbereich zu schaffen.

Projekt
BAST
E54 – Maison des Associations
Seitlicher Blick auf den ehemaligen Stall, in dem nun ein Veranstaltungssaal untergebracht ist / © BAST

2015 machte die nordöstlich von Toulouse gelegene Kommune Montjoire von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und erwarb ein leerstehendes Einfamilienhaus mit einem Stallanbau im Dorfkern, um dort eine Bibliothek, Büroräume sowie einen Mehrzweckraum für kommunale Veranstaltungen und örtliche Vereine unterzubringen.

Statement
Assemble

Das Ethische ist die Ästhetik

Projekt
Assemble
Goldsmiths Centre for Contemporary Art
Im Jahr 2018 bezog das neu gegründete Goldsmiths Centre for Contemporary Art die aus der viktorianischen Ära stammenden Laurie Grove Baths in Südlondon. Assembles Haupteingriff in den Bestand der ehemaligen Badeanstalt betraf die zwei eindrucksvollen Wassertanks auf dem Dach, die zu Ausstellungsräumen umfunktioniert wurden. Außerdem fügten sie dem Gebäude zwei neue Volumina hinzu, die sie mit Faserzementwellplatten verkleideten. / © Assemble

Im Jahr 1898 wurden die Laurie Grove Baths im Südlondoner Stadtteil New Cross eröffnet. Die öffentliche Badeanstalt bot drei Schwimmbecken, Bereiche zur Körperpflege und eine Industriewäscherei, in der zeitweise bis zu 35 Menschen beschäftigt waren. Das Wasser dafür wurde aus einem Brunnen gepumpt und in zwei großen gusseisernen Tanks auf dem Dach des Gebäudes gesammelt. Die Laurie Grove Baths spielten eine zentrale Rolle für den sozialen Zusammenhalt in der Nachbarschaft, sie waren gut besucht, abends wurde über das große Schwimmbecken ein Bretterboden gelegt, der als Tanzfläche diente. 

Projekt
Assemble, BC Architects, Atelier LUMA
Lot 8
Lot 8 ist ein ehemaliger Rangierbahnhof in Arles, der zu einem großen, für die LUMA Foundation umgeplanten Industriegelände gehört. In den luftigen Hallen von Lot 8 ist seit 2023 Atelier LUMA untergebracht, das Design- und Forschungszentrum der gleichnamigen Stiftung. / © Adrian Deweerdt, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Lot 8 (Parzelle 8) ist ein ehemaliger Rangierbahnhof auf einem Indus­trie­areal im südfranzösischen Arles, das die Schweizer Kunstmäzenin Maja Hoffmann für ihre 2004 gegründete LUMA Foundation umgestalten ließ. Neben einem von Frank Gehry entworfenen spektakulären Museumsneubau befinden sich auf dem heute Parc des Ateliers genannten Gelände sieben weitläufige Hallen aus dem 19. Jahrhundert, die als Räume für Ausstellungen, Veranstaltungen und Residencies genutzt werden.