Cohabitation

Der Mensch ist ein raumgreifendes Lebewesen. Er übernimmt, eignet sich an, gestaltet um, erfindet, baut. Städte sind das perfekte Abbild dieser kreativen Energie. Sie verkörpern die Innovation menschlichen Gestaltungswillens, die Fähigkeit, Materialien zu verwandeln und neue Lebensräume zu schaffen. Aber Städte bezeugen auch die ungeheure Zerstörungsmacht menschlicher Existenz.

Der sogenannte „Mäusebunker“ in Berlin-Lichterfelde war als „Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin der Charité“ , wie sein offizieller Titel zuletzt lautete, bis 2019 Ort eines besonderen Nahkampfs zwischen verschiedenen Lebewesen und den Dispositiven, die sie hervorbrachten und zusammenführten.

Nach Ansicht der Künstlerin, Aktivistin und Wissenschaftlerin Sunaura Taylor verbindet die Erfahrung von Be­hinderung Menschen mit Tieren und Ökosystemen. Taylors Werk, das auch von ihrer eigenen körperlichen Behinderung geprägt ist, setzt sich insbesondere mit Massentierhaltung auseinander.

Im Auftrag des US-Innenministeriums entwarfen Kevin Roche John Dinkeloo and Associates zwischen 1960 und 1970 das National Fisheries Center and Aquarium in Washington, DC. Für das szenografische Konzept 
und die Ausstellungsgestaltung waren Charles und Ray Eames verantwortlich. Angesiedelt im politischen Zentrum der Hauptstadt symbolisierte es als eines von zahlreichen öffentlichen Aquariumsprojekten zu dieser Zeit die Geopolitik der USA im Kontext des Kalten Krieges.

Engagement für die Umwelt und andere Arten ist nicht automatisch emanzipatorisch; ökologisches Denken kann auch für menschenfeindliche politische Zwecke instrumentalisiert werden. Insbesondere Vorstellungen 
von einer vermeintlich „reinen“, „ursprünglichen“ Natur dienen als Vorwand für rechte politische Akteur*­innen, Natur- und Tierschutz zur Festigung von Grenzen gegen rassifizierte Menschen einzusetzen, so die Politik­wissenschaftler*innen Amanda Machin und Özgür Özvatan. Mit beiden sprach Alex Nehmer im September 
2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe Cohabitation Diskurs: Zoopolis Berlin.

2016 räumten französische und britische Behörden gewaltsam den sogenannten Dschungel, ein Geflüchteten­lager in Calais. Kurz darauf wurde das Gelände Teil des Naturschutzgebiets Fort Vert, an dessen Planung 
die britische Border Force beteiligt war. Der Dokumentarfilm Habitat 2190 (2019) von Hanna Rullmann und Faiza Ahmad Khan, der Teil der Ausstellung Cohabitation war, beleuchtet die Hintergründe und Wirkungs-weisen des Renaturierungsprojekts. Wie Hanna Rullmann im Gespräch mit Alex Nehmer argumentiert, wird Naturschutz hier von einem menschenverachtenden Grenzregime als Waffe zur Verhinderung von Migration eingesetzt.

– Die Erprobung einer neuen Solidargemeinschaft in der Baubotanik. Text von Ferdinand Ludwig, Daniel Schönle, Jakob Rauscher

Mit Architektur das Zusammenleben menschlicher und nicht-menschlicher Lebewesen zu gestalten, wirft grundlegende Fragen auf: Der Mensch ist nicht länger Maßstab aller Dinge und rückt aus dem Zentrum der Betrachtung. Treten nicht-menschliche Spezies noch dazu nicht nur als Mitbewohner, sondern als unmittelbar am Entwurf und der Entstehung von Architektur beteiligte Akteure auf, werden diese Fragen noch komplexer.

Während des Kalten Krieges wetteiferten die Westmächte und der Ostblock um die Eroberung des Weltraums und die Vorherrschaft auf den Meeren. Inmitten dieser politischen Konfrontation entwickelte das Künstler- 
und Architektenkollektiv Ant Farm ab 1974 die Dolphin Embassy, einen utopischen Gegenentwurf zu territorialer Aneignung und maritimer Ausbeutung. Eine schwimmende Plattform sollte eine Gemeinschaft von Menschen und Delfinen begründen.

– Wege zu einer Animalesque-City

In den letzten Jahrhunderten konnten wir Menschen als Spezies eine seltsame Form des Autismus entwickeln und praktizieren: Dank unserer Städte konnten wir uns der Illusion von Autonomie hingeben. Denn hier begegnen wir immer nur Vertretern unserer eigenen Gattung und können somit glauben, dass wir zum Überleben keine anderen sozialen und materiellen Bindungen brauchen als jene zu Individuen unserer eigenen Spezies.

Das Kollektiv Animalesque sucht nach neuen Formen des Zusammenlebens von Mensch und Tier – und nach einem neuen Begriff von Bürgerschaft, der der Stadt als Multispezies-Lebensraum Rechnung trägt. In früheren Arbeiten haben wir mit angehenden Architekt*innen Bienen und Vögel und deren Behausungen, Befruchtungs- und Wanderverhalten untersucht.

Die künstlerische Forschung von Maissa Maatouk widmet sich der engen Beziehung zwischen Taubenzüchtern und ihren Tauben, die sich für kurze Zeit gemeinsam des Himmels über Beirut bemächtigen. Der Himmel ist 
nur scheinbar offen und neutral, in Wahrheit ist er ein politischer und geteilter Raum. Im Gespräch mit Christian Hiller und Alex Nehmer erläutert sie ihren Film als einen Versuch, im Zusammenspiel zwischen Taubenhaltern, Tauben und der Filmemacherin selbst den Luftraum zu öffnen und darin eigene Räume zu schaffen.

Im Rahmen einer Cohabitation-Stadterkundung gaben die Stadtökologin Beate Witzel, der Krähenexperte 
Cord Riechelmann und der Fledermausforscher Carsten Kallasch Einblicke in das Wildtierleben am Berliner Alexanderplatz. Stare unterhalten sich in ortsspezifischen Dialekten und haben gelernt, die S-Bahn zu benutzen, um sich geschützt vor Falken fortzubewegen. Einige überwintern in der Bahnhofshalle – aufgrund der zunehmenden Erwärmung vor allem der Städte ziehen viele Vögel inzwischen nicht mehr in den 
Süden. Füchse übernachten auf den zahlreichen Baustellen.

Thomas E. Hauck ist Landschaftsarchitekt und Professor für Landschaftsarchitektur an der TU Wien. Zusammen mit dem Biologen Wolfgang W. Weisser, Professor und Inhaber des Lehrstuhls für terrestrische Ökologie an der TU München, hat er eine Methode entwickelt, die die Bedürfnisse von Tieren in die Planung und Gestaltung von Freiräumen und Architektur mit einbezieht – Animal-Aided Design.

Im ehemaligen Krematorium in Berlin-Wedding, dem heutigen Kulturquartier silent green, diente der Kuppel­saal als Feierhalle wie auch als Kolumbarium. Der Begriff Kolumbarium bezeichnete ursprünglich einen Tauben­schlag (lat. columba = Taube), wegen der visuellen Ähnlichkeit wurde der Begriff auf römische Urnengräber über­tragen. Auf diese typologische Doppeldeutigkeit, die auf Menschen und Tiere gleichermaßen verweist, geht die Sound-Installation mit den Stimmen ausgestorbener Vogelarten ein.