Zeitgenössische feministische Raumpraxis

Freiheit. Kaum ein anderes Wort wird in den gesellschaftlichen Debatten der jüngsten Zeit, etwa zu Rassismus, Gender, Ökologie oder auch der Covid-19-­Pandemie, häufiger ange­rufen als dieses. Es ist kurioser­weise zum Kampfbegriff jenes Teils der Gesellschaft mutiert, der den Status quo mit allen Mitteln bewahren will.

Noch nie war der Ruf nach Gleichstellung und Chancengerechtigkeit innerhalb des hierarchisch organisierten und ökonomisch getriebenen Feldes konventioneller Architektur lauter als heute. 

Die urbane/n Geschichte/n und Kämpfe der feministischen Frauenbewegung/en und der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Transgender- und queeren Bewegung/en (LGBTQ*) mit ihren performativen Protestformen und dem Aufbau vielfältiger Projekte sind Ausdruck eines Produktivwerdens von Differenz, das zu einer Modernisierung von Stadt-/Gesellschaften beiträgt. 

– Feministische Figurationen in Zeiten der ökologischen Krise und rassistischer 
Ungerechtigkeit

Architektur aufmischen

– Eine Ahmed’sche Therapiesitzung

Willkommen.

Normalerweise empfange ich keine ganzen Disziplinen als Klienten, aber da die intersektional-feministischen Gastredakteur­*innen und ARCH+ Sie an mich überwiesen haben, will ich eine Ausnahme machen. Bitte setzen Sie sich doch. Von der staubigen Couch mit Teppichüberwurf haben wir uns schon lange verabschiedet.

Die Architecture Lobby ist eine basisdemokratische Mitgliederorganisation, die für Arbeiter*innen im Architekturbereich im Kampf für faire Arbeitsbedingungen und eine gerechtere gebaute Umwelt eintritt. 

– Frauen in die Architekturgeschichte (ein)schreiben

Auslassungen in frühen Darstellungen über Frauen in der Architekturgeschichte

Es ist kein Zufall, dass unser Unterbewusstsein die Nachnamen Poelzig oder Aalto primär mit Hans und Alvar verknüpft. Nicht nur der Kanon, das Curriculum und der Diskurs ignorieren weitgehend die Tatsache, dass Marlene und Aino an ihrer Seite arbeiteten, sondern auch die damit einher­gehende Ikonografie:

Silvia Federici im Gespräch mit Lilian Chee über Hausarbeit und die Rolle der Architektur im Prozess der Emanzipation

Silvia Federici gehört seit den 1970er-Jahren zu den Vorkämpferinnen der internationalen Frauenbewegung, zunächst in Italien und später in den USA, wo sie 1975 den amerikanischen Ableger der Aktivist­*innen­gruppe Wages for Housework gründete. Seitdem lebt und lehrt Federici in New York. Ihre Schriften wurden zu Grundlagentexten für feministische Gruppen weltweit, die die Anerkennungumfassender Arbeitsrechte für häusliche Tätigkeiten fordern. Lilian Chee ist außerordentliche Professorin an der Architekturfakultät der National University of Singapore. Sie forscht unter anderem zu öffentlichem Wohnungsbau, Häuslichkeit und den Auswirkungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung auf die Raumproduktion.

Seit jeher ist die Wohnung nicht nur persönlicher Schutzraum, sondern spiegelt die ökonomischen und sozialen Strukturen der Gesellschaft wider. Als Vehikel für die kapitalistische Aufteilung in produktive und reproduktive Arbeit seit dem 19. Jahrhundert spielt die Küche eine zentrale Rolle in der Herstellung geschlechterspezifischer Machtverhältnisse im häuslichen Umfeld.

„Bereits im Jahr 1969 verwendete Carol Hanisch den Slogan Das Private ist politisch, der sich dann durch die 1970 von Shulamith Firestone und Anne Koedt herausgegebene Publikation Notes for the Second Year – Women’s Liberation verbreitete.

Wenn wir Räume aus ästhetischer, historischer, spekulativer, performativer oder akademischer Perspektive untersuchen, machen wir dann Theorie und nicht Praxis? Reproduktion (Überlegen, unsichtbar) und nicht Produktion (Machen, sichtbar)? Können wir uns das Zögern, das dieses Untersuchen bedeutet, leisten oder müssen wir nicht – wie der Rest der Welt – noch schneller vernünftiger agieren (bauen)?

Beatriz Colomina im Gespräch mit Katarina Bonnevier über das Queering der Architektur geschichte, über Schubladen und über die Herausforderungen, denen sich eine feministische Architekturpraxis heute stellen muss

Seit Jahrzehnten stellt die Architekturhistorikerin Beatriz Colomina die herrschenden Narrative der modernen Architekturgeschichte infrage, indem sie das öffentliche und private Leben der Helden der Moderne akribisch dekonstruiert. Frei von Ehr­furcht bringt sie seit den 1990er-Jahren durch ihre wissenschaftlichen Beiträge Themen wie Sexualität, Privatheit, Perversion und Krankheit in den allgemeinen Architektur­diskurs ein. Für diese Ausgabe von ARCH+ unterhielt sich die Architektin und Theoretikerin Katarina Bonnevier mit ihr. Bonneviers Auseinander­setzung mit der räumlichen Dimension von Queerness geht über Architektur im engeren Sinne hinaus und bezieht Design, Theater, Kunst und kritische Theorie mit ein.

mit Leonardo Gatti, Pablo Saiz del Rio, Joel Sanders, Paula Vilaplana de Miguel

Im Zeitalter digitaler Dating-Apps, sozialer Medien und einer Globalisierung von Lebensstilen haben sich neue Ökonomien, raumpolitische 
Abhängigkeiten und Infrastrukturen des Begehrens gebildet. Damit 
geht eine zunehmende Auflösung starrer Kategorien wie innen–außen, 
häuslich–öffentlich, weiblich–männlich oder der Heteronormativität 
im Allgemeinen einher. Ausmaße, Dynamiken und Potentiale dieser 
Entwicklungen untersucht das 2003 von Andrés Jaque gegründete 
Office for Political Innovation in seiner queeren Raumpraxis aus Design, Performance, Aktivismus und Forschung – zuletzt unter anderem 
mit Projekten wie Pornified Homes (2016), Transurban Love – 
The Architecturalization of Romance (2017) oder Sex and the So-Called City (2018).

Die Initiative Office Hours bietet Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) ein Forum für Wissensaustausch und Vernetzung. Das Ziel ist der Umbau der gestaltenden und raumplanerischen Disziplinen hin zu mehr intersektionaler Gerechtigkeit und Sichtbarkeit. Die Repräsentation von BIPoC-Fachkräften in dieser Berufssparte soll erhöht, ihre Selbstbestimmung gefördert und der Wissens­zugang demokratisiert werden.

Geschichte, Theorie und Praxis der Architektur und des Städtebaus sind eng mit den Prozessen der Kolonialisierung und den ihr innewohnenden „manichäischen“ Logiken verflochten. Das hat der aus der französischen Kolonie Martinique (heute ein französisches Département) stammende Psychiater, politische Philosoph und antikoloniale Aktivist Frantz Omar Fanon (1925–1961) überzeugend dargelegt.¹ 

¹ Warum wir eine intersektionale Wissensproduktion und 
Erinnerungskultur in der Architektur brauchen

„Seit 2015 ist eine Zunahme von Forschung zu Fragen von Migration und Exil zu beobachten. Die sogenannte ‚Flüchtlingskrise‘ in Europa hatte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie dort Architekturgeschichte, Baukultur und Diskurs betrieben werden. Die aus dieser Wende hervorgegangene theoretische Auseinandersetzung mit Architektur und gebauter Umwelt fokussiert dabei tendenziell eher auf zeitgenössische Phänomene der Vertreibung, die sich auf Städte, Landschaften und das soziale Gefüge in Europa beziehen. Migration wird dabei größtenteils aus einer eurozentrischen Per­spektive als Grenzüberschreitung betrach­tet – und nicht als ontologische Bedingung, die aus der Perspektive von Migrant*innen zu verstehen ist.“

Anooradha Iyer Siddiqi, Rachel Lee: „On Margins – Feminist Architectural Histories of Migration“, 2019^[1]

Transnationale Architekturen der Fürsorge

Unternehmertum ist ein Schlüssel zur Emanzipation. So sieht es Concreto Rosa, ein 2015 von Geisa Garibaldi in Rio de 
Janeiro gegründeter Betrieb, der Renovierungs-, Bau- und Handwerksarbeiten übernimmt, die jedoch auch dazu dienen, Solidarnetzwerke aufzubauen und zu fördern sowie politischen Aktivismus für inter­sektionalen Feminismus und die Rechte von LGBTQ* in Brasilien zu unterstützen. Die Initiative besteht derzeit aus überwiegend Schwarzen Frauen* mit Ausbildungen in den Bereichen Architektur, Bauingenieur­wesen, Elektrotechnik, Hydraulik und dem Maurerhandwerk.

– Für eine kritische Theorie von Architektur und Sorgearbeit

25. Juli 2021. Es ist sehr früh an diesem Sonntagmorgen in einem Sommer, der von den Lebensbedingungen während der globalen Covid-19-Pandemie bestimmt ist. Kaum Menschen sind auf der Straße.

Welche Bedeutung könnte der intersektionale Feminismus-Diskurs für die Architektur haben? Kann er Wege zu einer von Diskriminierung freien Architektur und demokratischen Raumgestaltung weisen? Über diese und andere Fragen tauschen sich in einer unhierarchischen, offenen E-Mail-Korrespondenz aus: die Gastredakteur*innen Torsten Lange, Charlotte Malterre-Barthes, Daniela Ortiz dos Santos und Gabrielle Schaad mit den Architekt*innen Menna Agha, Gründerin der Architektur- und Researchplattform Project Unsettled, Adam Caruso, Partner des Architekturbüros Caruso St John Architects in London/Zürich, Tei Carpenter, Gründerin des Designstudios Agency—Agency in New York und Carla Juaçaba, Gründerin von Carla Juaçaba Studio in Rio de Janeiro.

Einleitung von Irene Cheng: Dimensionen des Reparierens