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Kooperation

A L'ARME! Festival VIII - 2020

Die Video Edition 2020, aus dem Silent Green Berlin, 11 – 13 Dezember

Drei Tage dicht an dicht und weit mehr als Avantgarde-Jazz und Experimentalmusik – das war das ursprüngliche Programm des 2012 in Berlin aus der Taufe gehobenen, international besetzten A L’ARME! Festivals, das im Dezember im Silent Green Kulturquartier stattfinden sollte. Aber die pandemischen Entwicklungen vereitelten eine Teilnahme erst der breiten und dann jeglicher Öffentlichkeit, so dass die acht Performances von Alex Schweder & Mieko Suzuki, Alva Noto, Caspar Brötzmann Bass Totem, Contagious, HäK/Danzeisen, Mattiuzzi/Gropper/Lichtenberger/Baumgärtner, Pareidolia und Stine Janvin ohne Publikum aufgezeichnet wurden, um sie nun online allen zugänglich zu machen.

Einigen wenigen war es vergönnt, den Aufführungen beizuwohnen, ich gehörte zu den Glücklichen, die die Weltpremiere von Alva Notos ortsbezogenen Performance Hadron Prototype live miterleben durften. Alva Noto, der auch unter seinem Klarnamen Carsten Nicolai für synästhetische Arbeiten der Bildenden Kunst, Komposition und Musik bekannt ist, beginnt mit einem dumpfen Dröhnen. Es hallt und pulsiert, bevor andere Schwingungen sich dräuend anlagern. Auf der hohen Stirnseite der ehemaligen Leichenhalle, die zu dem Krematorium gehört, das das Silent Green einst war, flackert ein nervöses Lichtgeflecht. Nadliges Sirren und stupsendes Klackern wird von Ferne mit Gongs in die Breite getragen. Schließlich wechselt die Geste, ein Beat dehnt sich aus, schiefe Tonflächen ertasten Wände und Decke, Lichtfunken sezieren den Raum. Unermesslich lange werde ich auch davon aufgesogen, dann werden die Takte forscher, das Blitzleuchten mehrt sich bis die Musik langsam versiegt. Die Stille erdrückt für kurze Zeit, und es dauert, bis man wieder in den eigenen Atemrhythmus zurückfindet.

Alex Schweder hat seine Praxis der performativen Architektur in Symbiose mit der japanischen Soundkünstlerin Mieko Suzuki zu der pneumatischen, multisensorischen Installation The Breath before vereint – ebenfalls eine Weltpremiere. Die Aufführung beginnt ähnlich unterschwellig, ein schlaff auf dem Boden arrangierter Haufen aus drei Stofftunneln wird mit Lüftern, deren Intensitäten durch die Klangfarbe der Töne gesteuert werden, allmählich zum Leben erweckt. Erst bauchen die mattschwarzen Inflatables dicht beieinander, rollen sich dann nach und nach aus – jedes in einer eigenen, auf die Frequenzmanipulationen anders reagierenden Sensibilität. Die drei Elemente agieren wie Schauspieler, die erst sich, den Raum und dann mich entdecken, um einen buhlenden Tanz aufzuführen. Denn schon bald sind es mächtig pralle Schwellkörper, die sich von einem Lichtstrahl oder einem knisternden Rauschen begleitet aufrichten, um in der Vertikalen schwankend zueinander zu finden. Sie steigen neugierig auf und ab, irgendwann ist der Zenit überschritten, die Luft entweicht. Gezielt von den Klängen destabilisiert sacken die Pneus nach fünfzehn Minuten auf den Boden zurück, und die Performance klingt mit immer flacherem Hauchen leise aus.

Nach diesen intensiven räumlich-auditiven Erfahrungen, die uns die eigene Körperlichkeit und spüren und zugleich überschreiten ließen, wirken die leeren Straßen und die sedierte Atmosphäre der Stadt in Zeiten der Pandemie noch irrealer als sie es ohnehin sind.

A L’ARME! Festival Vol. III 

Zu den Video: www.alarmefestival.de/concert-films

Mit etwas Glück und viel Gesundheit wird die Inflatable-Installation im Frühsommer 2021 erneut in der Kuppelhalle für die gesamte Öffentlichkeit installiert und von allen erlebbar sein: stay tuned!

 

Carsten Nicolai (* 1965 in Karl-Marx-Stadt) studierte bis 1990 Landschaftsarchitektur in Dresden. 1994 gründete er das Label raster-noton, unter dem er im Jahr 2008 unter anderem im Centre Pompidou auftrat. Er benutzt elektronische Klänge und visuelle Kunst als eine Art hybrides Spielzeug, um seinen eigenen, mikroskopischen Blick auf den kreativen Prozess zu werfen. Seine Welt sieht mehr wie ein Labor aus, sie verändert sich konstant in Zeit und Raum, beeinflusst von den Impulsen unserer Medienwelt, der Sound – die Nachricht als Code- wird das primäre Thema durch visualisierte Sound Performances.

Alex Schweder (* 1970 in New York, USA), studierte Architektur an der University of Cambridge, der American Academy in Rom, am Pratt Institute und an der Princeton University in New York. Er hat den Begriff „Performance Architecture“ 2007 geprägt. Dieser ist Ausdruck seines Verständnisses von Architektur als Impulsgeber für unser Verhalten sowie als Requisit für ihre Bewohner*innen, mit deren Hilfe sie ihre Identität formen und performen können. Schweder erprobt seine Raumideen nicht nur, indem er sie baut, sondern auch, indem er sie performt.

Mieko Suzuki (* 1977 in Hiroshima) lebt in Berlin. Als Klangkünstlerin beschäftigt sie sich mit der Materialität von Zeit und Raum. In ihren DJ-Sets und Performances, für die sie Drones, Feldaufnahmen, das Knistern elektrischer Schaltkreise und Bruchstücke von Vinylplatten verwendet, wagt sie stets das Unerwartete. Ihr unverkennbarer Ansatz entfaltet seine Wirkung in einem Clubkeller genauso wie bei Tanzperformances und im Theater, im Kontext von bildender Kunst und von Haute Couture.

A L'ARME! Festival VIII - 2020 Diesmal im Dezember statt zum üblichen Sommertermin und an einer grandiosen neuen Spielstätte, dem Silent Green. Mit einem Programm, das beweist, was die Geisteshaltung „Jazz“ leisten kann, wenn rundherum alle Konstanten und Sicherheiten wegbrechen.

Das Festial versteht Jazz als eine Musik der Überraschungen. Absolutes Jetzt. Reaktion auf das Unerwartete. Neue Positionen, die im Dialog ausgehandelt werden. Kein Genre, sondern eine Praxis, die man am besten „soziale Musik“ nennen sollte, wie ein berühmter Trompeter mal meinte. In diesem Jahr des Umbruchs untersucht die achte Ausgabe des Berliner Festivals, wie wichtig und produktiv seine ursprüngliche Mission in einer veränderten Welt ist. Der Fokus des Programms liegt auf Interaktion durch Improvisation, wobei das Spielfeld grundsätzlich ins Feld der bildenden Kunst erweitert wird.