Drei Tage dicht an dicht und weit mehr als Avantgarde-Jazz und Experimentalmusik – das war das ursprüngliche Programm des 2012 in Berlin aus der Taufe gehobenen, international besetzten A L’ARME! Festivals, das im Dezember im Silent Green Kulturquartier stattfinden sollte. Aber die pandemischen Entwicklungen vereitelten eine Teilnahme erst der breiten und dann jeglicher Öffentlichkeit, so dass die acht Performances von Alex Schweder & Mieko Suzuki, Alva Noto, Caspar Brötzmann Bass Totem, Contagious, HäK/Danzeisen, Mattiuzzi/Gropper/Lichtenberger/Baumgärtner, Pareidolia und Stine Janvin ohne Publikum aufgezeichnet wurden, um sie nun online allen zugänglich zu machen.
Einigen wenigen war es vergönnt, den Aufführungen beizuwohnen, ich gehörte zu den Glücklichen, die die Weltpremiere von Alva Notos ortsbezogenen Performance Hadron Prototype live miterleben durften. Alva Noto, der auch unter seinem Klarnamen Carsten Nicolai für synästhetische Arbeiten der Bildenden Kunst, Komposition und Musik bekannt ist, beginnt mit einem dumpfen Dröhnen. Es hallt und pulsiert, bevor andere Schwingungen sich dräuend anlagern. Auf der hohen Stirnseite der ehemaligen Leichenhalle, die zu dem Krematorium gehört, das das Silent Green einst war, flackert ein nervöses Lichtgeflecht. Nadliges Sirren und stupsendes Klackern wird von Ferne mit Gongs in die Breite getragen. Schließlich wechselt die Geste, ein Beat dehnt sich aus, schiefe Tonflächen ertasten Wände und Decke, Lichtfunken sezieren den Raum. Unermesslich lange werde ich auch davon aufgesogen, dann werden die Takte forscher, das Blitzleuchten mehrt sich bis die Musik langsam versiegt. Die Stille erdrückt für kurze Zeit, und es dauert, bis man wieder in den eigenen Atemrhythmus zurückfindet.
Alex Schweder hat seine Praxis der performativen Architektur in Symbiose mit der japanischen Soundkünstlerin Mieko Suzuki zu der pneumatischen, multisensorischen Installation The Breath before vereint – ebenfalls eine Weltpremiere. Die Aufführung beginnt ähnlich unterschwellig, ein schlaff auf dem Boden arrangierter Haufen aus drei Stofftunneln wird mit Lüftern, deren Intensitäten durch die Klangfarbe der Töne gesteuert werden, allmählich zum Leben erweckt. Erst bauchen die mattschwarzen Inflatables dicht beieinander, rollen sich dann nach und nach aus – jedes in einer eigenen, auf die Frequenzmanipulationen anders reagierenden Sensibilität. Die drei Elemente agieren wie Schauspieler, die erst sich, den Raum und dann mich entdecken, um einen buhlenden Tanz aufzuführen. Denn schon bald sind es mächtig pralle Schwellkörper, die sich von einem Lichtstrahl oder einem knisternden Rauschen begleitet aufrichten, um in der Vertikalen schwankend zueinander zu finden. Sie steigen neugierig auf und ab, irgendwann ist der Zenit überschritten, die Luft entweicht. Gezielt von den Klängen destabilisiert sacken die Pneus nach fünfzehn Minuten auf den Boden zurück, und die Performance klingt mit immer flacherem Hauchen leise aus.
Nach diesen intensiven räumlich-auditiven Erfahrungen, die uns die eigene Körperlichkeit und spüren und zugleich überschreiten ließen, wirken die leeren Straßen und die sedierte Atmosphäre der Stadt in Zeiten der Pandemie noch irrealer als sie es ohnehin sind.
Zu den Video: www.alarmefestival.de/concert-films
Mit etwas Glück und viel Gesundheit wird die Inflatable-Installation im Frühsommer 2021 erneut in der Kuppelhalle für die gesamte Öffentlichkeit installiert und von allen erlebbar sein: stay tuned!