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Filmstill aus „Wohin mit der Geschichte?" von Hans Christian Post
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Dresdener Architekturessentialismus

Notizen von Philipp Krüpe zum Dokumentarfilm „Wohin mit der Geschichte?“ von Hans Christian Post (D 2020, 63 Min.).
Der Film basiert auf seiner Magisterarbeit über den Wiederaufbau der Frauenkirche aus dem Jahr 2003/2004 und wurde 2016 begonnen. Das Interview mit Stephan Trüby wurde im Zuge der Veröffentlichung von ARCH+ 235 Rechte Räume - Bericht einer Europareise gedreht.

 

Ausgangspunkt dieser Notizen sind verschiedentliche Beobachtungen, die ich beim Sichten des Dokumentarfilms „Wohin mit der Geschichte“ gemacht habe. In der auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung kostenlos aufrufbaren Dokumentation wird eine ausgehend von Dresden geführte Debatte um Erinnerungs- und damit verbundener Baukultur geschildert. Produzent und Regisseur ist der Filmemacher Hans Christian Post, der sich mit verschiedenen Akteur:innen größtenteils aus der Dresdener Stadtgesellschaft trifft, die ihre Sicht der Entwicklungen vor der Kamera darlegen.

Die implizite Frage, die sich mir während des gesamten Filmes aufdrängt, hat die BILD-Zeitung in einem Bericht über den Film wie folgt formuliert: „DÄNE DREHT PROVKANTEN FILM ÜBER DRESDEN – Zieht die wieder aufgebaute Dresdener Altstadt Rechte an?“ Da Gebautes immer im Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen gelesen werden muss, die sich meist schneller wandeln als die Architektur es tut, lässt sich die Frage am besten so umformulieren: Kann gebaute Erinnerung – in diesem Fall Rekonstruktionsarchitektur – zu einer identitären Gedächtniskultur führen, die bestimmte Menschengruppen eher aus- als einschließt und die Anschlussfähigkeit für rechtes Gedankengut mindestens in Kauf nimmt, wenn nicht gar befördert?

 

Von kollektiver Identität, neu entstandenen Fassaden und Geschichtsrevisionismus

Neben politischen Entscheidungsträger:innen bis hin zu AfD und NPD, befragt Hans Christian Post unter anderem verschiedene Stadtplaner:innen, Rekonstruktions-Aktivist:innen und engagierte Vertreter:innen aus dem bürgerlichen Milieu, als auch die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Dresden.

Einer seiner Gesprächspartner:innen ist der berühmte Dresdener Trompeter Ludwig Güttler, der davon erzählt, wie bei der Einweihung der rekonstruierten Dresdener Frauenkirche 2005 manch Dresdner Bürger:in vor Rührung „zusammengebrochen“ sei. Am 13. Februar 1945 wurde ein Großteil der Stadt durch alliierte Fliegerangriffe zerstört, darunter auch der „Dom zu Dresden“, der zwei Jahrhunderte zuvor im Stil des Barock nach den Entwürfen von George Bähr errichtet wurde. Man glaubt der Erzählung Güttlers aufs Wort, ist der wiedererrichtete Sakralbau doch ein beeindruckendes Zeugnis rekonstruierender Bauweise. Jahrzehntelang befand sich an diesem Ort ein Trümmerberg, der als Mahnmal fungierte, bis in den 1990er-Jahren das Konzept für einen archäologischen Wiederaufbau entwickelt wurde.

Güttler ist Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden e. V., die dafür eine beachtliche Summe an Spenden sammeln konnte. Laut deren Website soll es sich nicht nur um einen sakralen Ort handeln, sondern um einen Gedenkort, der die „Aspekte des Erinnerns, der Versöhnung und des Friedens“ in sich tragen soll. Spenden kamen nicht nur aus der Dresdener Stadtgesellschaft, Geld floss auch aus anderen deutschen Regionen und dem Ausland. Damit lässt sich festhalten, dass ein breiter Teil der Bevölkerung die Rekonstruktion der Dresdener Frauenkirche unterstützt hat – ideell wie finanziell.

In diesem Kontext dürfen die erinnerungspolitischen Verdrehungen des Landesvorsitzenden der NPD Jens Baur nicht fehlen, der dem Regisseur gegenüber die Alliierten Fliegerangriffe 1945 als „Kriegsverbrechen“ bezeichnet. Seine Parteikolleg:innen scheuen nicht davor zurück, in diesem Zuge gar von einem „Bombenholocaust“ zu sprechen.

Auch die AfD freut sich über das rekonstruierte Stadtbild inklusive Frauenkirche, wie der Film zeigt. Als Ergänzung sei hierzu an die berüchtigte Dresdener Rede von Björn Höcke erinnert. 2017 sprach er davon, dass „mit der Bombardierung Dresdens“ auch die „kollektive Identität“ zerstört werden sollte, nun aber Dresden mit den „neu entstandenen Fassaden“ wieder der „Geist eines neuen, ehrlichen, vitalen, tief begründeten und selbstbewussten Patriotismus“ eingehaucht wurde.

Vor dem Hintergrund dieser Aussagen sind die Gegenargumente gegen Rekonstruktionen als erinnerungspolitisches Instrument zu verstehen, etwa die Warnung des Vorsitzenden der Gesellschaft für Friedenskultur Memorare Pacem Matthias Netzner, dass Rekonstruktion zu einer Auslöschung von Geschichte führen kann – er bezieht sich insbesondere auf die direkt im Umfeld der Frauenkirche befindlichen und anschließend entstandenen Fassadenreplikate des Neumarkts. Ähnlich argumentiert Nora Goldenbogen, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Dresden, die in diesem Kontext von einer „Illusion von Geschichte“ spricht. Der Architekturtheoretiker Stephan Trüby redet gar von „gebautem Geschichtsrevisionismus“.

Nicht zufällig trifft sich Hans Christian Post mit Stephan Trüby auf dem weitläufigen Marx-Engels Forum in Berlin, das laut Trüby in nächster Zeit „Schauplatz für eine mögliche Rekonstruktion der Berliner Altstadt“ werden kann, was die Befürworter:innen als ein „christlich-jüdisches Symbiose-Experiment“ bezeichnen. Zurecht wies Trüby in der ARCH+ Ausgabe „Rechte Räume – Bericht einer Europareise“ und zuletzt in seinem Buch Rechte Räume. Politische Essays und Gespräche darauf hin, dass die Berufung auf die christlich-jüdische Toleranz zur Legitimierung der Altstadtrekonstruktion „historisch schlicht nicht belastbar“ sei, da man dafür die lange Diskriminierungs- und Pogromgeschichte von Juden außer Acht lassen müsste. Vergleichbares findet sich auch rund um den Dresdener Neumarkt, beispielsweise in Form der sogenannten „Judenhäuser“, die unkritisch rekonstruiert wurden und auf deren problematische Historie nur wenig verweist.

Umso erschütternder wirkt in diesem Kontext dann im Film der Bericht von Nora Goldenbogen, dass Dresdener Bürger:innen die neue, im modernen Baustil errichtete Synagoge (man entschied sich gegen eine Rekonstruktion der von Gottfried Semper erbauten Synagoge, die im Zuge des Novemberpogroms 1938 zerstört wurde) immer wieder als „Entartete Architektur“ bezeichnen.

 

Exkurs: Rekonstruierte Stadtfassaden und die sogenannte Mitte der Gesellschaft

Stephan Trüby hat andererseits nicht unrecht, wenn er davon spricht, die „psychologischen Bedürfnisse“ der Bevölkerung nach historischen Stadtbildern ernst zu nehmen. Der Drang nach Rekonstruktion kommt schließlich meist aus der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“, denen pauschal sicherlich nicht rechtes Gedankengut vorzuwerfen ist.

Doch von wem ist die Rede, wenn von der „Mitte der Gesellschaft“ gesprochen wird?

Wie der Soziologe Andreas Reckwitz umfassend darlegt, vermag es die Begrifflichkeit seit längerem nicht mehr, die deutsche Gesellschaft abzubilden. Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft der klassischen Moderne differenziere sich seit den 1980er-Jahren aus – auch wenn sie als nostalgisches Modell nach wie vor von Politik und Medien bemüht wird. Reckwitz unterscheidet unter anderem zwischen einer Neuen und einer Alten Mittelklasse. So zeichnet sich die Neue Mittelklasse zum Beispiel durch kosmopolite Tendenzen und einen hohen Mobilitätsgrad aus, während die Alte Mittelklasse eher sesshaft ist und immer mehr in die „kulturelle Defensive“ gerät (vgl. Das Ende der Illusionen, S. 92 ff.)

Dem Klassenkonzept legt Reckwitz ein Kulturkonzept bei, das sich in Hyperkultur und Kulturessentialismus aufspaltet.[1] Während Vertreter:innen ersterer die globale Kultur als ein „einziges, riesiges Reservoir vielfältiger Ressourcen der Selbstverwirklichung“ begreifen, legen Vertreter:innen des Kulturessentialismus den Fokus auf die Ausbildung kollektiver Identitätskonstruktionen, in der Kultur als eine „Essenz“ erscheint, in der der Herkunftsort und ein „Rückgriff auf die Vergangenheit“ eine übergeordnete Rolle spielen.

Lässt sich mit diesem soziologischen System nun begründen, warum ein großer Teil des Dresdener Bürgertums hinter den Rekonstruktionsprojekten steht – das nach den Reckwitzschen Kategorien eher der Alten Mittelklasse zuzuordnen ist und essentialistische Kulturvorstellungen hat? Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Wunsch zu einer Rückkehr zum Vorkriegs-Stadtbild in Dresden vorherrscht – gespeist durch die Schrecken der Bombennächte 1945, an die die Stadtgesellschaft seit jeher in verschiedenen Formen erinnert. Diese emotionale Komponente kann jedoch nur Teil der Erklärung sein – schließlich wurden eine Vielzahl weiterer Orte zerstört, in denen Rekonstruktionswünsche weitaus geringer artikuliert werden.

Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich greift diese Konzepte auf und ergänzt sie um die These, dass an der vom Westen abgeschotteten DDR ein Vielfalt und Hierarchiefreiheit propagierendes, postmodernes Kulturverständnis größtenteils vorüberzog, weshalb – er rekurriert hier auf Reckwitz – ein im kulturessentialistischen Sinne identitär denkendes Bürgertum, stärker als in der alten BRD, überdauern konnte. (siehe Feind Bild Werden, Position 667)

Doch sind damit Ostdeutsche und insbesondere Dresdner:innen unvermeidlich rechts?

Sicherlich nicht. Beunruhigend lesen sich jedoch die Forschungen des Kultursoziologen Julian Göpffarth, der aktuell an einer ethnographischen Studie über „rechtsintellektuelle und konservativ bildungsbürgerliche Milieus in Ostdeutschland" arbeitet. Er weist darauf hin, dass es in den vergangenen Jahren zu einer Verschränkung „ehemals angesehener Mitglieder des Dresdner Bildungsbürgertums und Pegida-Anhängern“ mit „zugezogenen, westdeutschen Neuen Rechten“ gekommen ist, die an einer „intellektuellen Gegenkultur von Rechts“ arbeiten. Dieses Mittelklasse-Milieu weitet seinen kulturessentialistischen Einfluss bis in die Politik aus, wodurch laut Göpffarth nicht nur Schnittstellen zur AfD, sondern auch zu den Freien Wählern und Teilen der CDU entstehen (siehe Jacobin: Ost New Deal).

Ihm zufolge gab es übrigens bereits zu DDR-Zeiten eine „kulturelle Gegenbewegung zum realsozialistischen Regime“. Das ging laut Göpffarth soweit, dass man sich „auf Galerieeröffnungen und privaten Feiern im Stile der Aristokratie von damals“ kleidete. „Gemeinsam sang man alte Volkslieder und stellte damit dem technokratischen Sozialismus eine „tiefe“, im Volk und der Region verankerte Kultur entgegen“. Göpffarth im Rekurs auf Paul Kaiser: Boheme in der DDR. Kunst und Gegenkultur im Staatssozialismus Nach der Wiedervereinigung soll es dann eine „große Enttäuschung“ darüber gegeben haben, dass Deutschland nicht zu seiner „nationalkulturellen Größe des 19. Jahrhunderts“ zurückgefunden habe. [1]

Mit Göpffarths Ausführungen gewinnt zum einen Ullrichs These vom Fehlen einer kulturellen Postmoderne an Substanz, zum anderen verwundert es kaum, dass es bereits zu DDR-Zeiten vonseiten des Politbüros Bestrebungen gab, unter anderem die Frauenkirche wieder aufzubauen. Dies berichtet der vom Regisseur interviewte Vorstand der populären Lobby-Vereinigung Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden Torsten Kulke, der sich für den Wiederaufbau des historischen Stadtbilds in der Dresdener Innenstadt einsetzt.

Wie schwer es dem Rekonstruktions-Milieu fällt, sich gegen rechts abzugrenzen, wird besonders deutlich, wenn man über die Dresdener Stadtsilhouette blickt. Es darf die These aufgestellt werden, dass ausgehend von der sächsischen Landeshauptstadt und der erfolgreich agitierenden Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden sich seit den 2000er-Jahren vermehrt Vereine in Ost- wie Westdeutschland ansiedeln, die sich für die Rekonstruktion von historischen Stadtbildern einsetzen.[2] Dort scheinen sich vor allem Zugehörige der Alten Mittelklasse zu sammeln, für die – so Reckwitz – Heimat und lokale Verwurzelung oft „eine Grundlage der personalen Identität“ darstellen. Dieses Bild gewinnt an Kontur, wenn man die zahlreichen regionalen Partnervereine von Stadtbild Deutschland e.V. betrachtet, deren Standorte sich in den Klein- und Mittelstädten konzentrieren, also dort, wo Reckwitz Angehörige dieser Klasse größtenteils verortet.

Wie ich 2018 nach dem Besuch einer Stadtbild-Vereinssitzung für den Baumeister schrieb, beteuerten die Mitglieder gebetsmühlenartig ihren unideologischen und unpolitischen Ansatz, luden aber zugleich den rechtsradikalen Autor Claus Wolfschlag sowie den Architekten und Querdenker[3] Léon Krier als Festredner ein. Letzterer schrieb zuletzt einen Aufsatz für das rechte Publikationsmedium Cato, in dem er gegen einen „hässlichen totalitären Kontrollstaat“ wettert, der „weltweit die Überreste von Demokratie und Gemeinwohl […] unter dem Deckmantel von Krieg gegen Terror, Covid-19 und Klimawandel“ dekonstruiere. Dieser wirke sich insbesondere auf die gebaute Umwelt aus. Um dem entgegen zu wirken schlägt Krier einen „Neuen Traditionellen Urbanismus“ mit menschlichem Antlitz vor. Bebildert ist der Artikel im Cato-Magazin mit einer großformatigen Fotografie der rekonstruierten Dresdener Frauenkirche.

 

Ausschließende und einschließende Erinnerungs-Architekturen

Nun muss unbedingt festgehalten werden, dass der anfangs erwähnte Trompeter Ludwig Güttler sicherlich kein Rechter ist, nur weil er sich für den Wiederaufbau eines im 2. Weltkrieg zerstörten Baudenkmals eingesetzt hat. Auch sollte man sich davor hüten, die zahlreichen Rekonstruktions-Aktivist:innen von vornherein mit rechtsradikalem Gedankengut in Verbindung zu bringen.

Aufklärung verschaffen eher die hier exkursiv bemühten soziologischen Untersuchungen. Die sogenannte Mitte muss sich im Klaren darüber sein, dass ihre kulturessentialistischen Erinnerungsarchitekturen oft mehr aus- als einschließen. Das wird besonders deutlich, wenn man sieht, wie gerade Rechtsradikale historisierendes und rekonstruiertes Bauen als festen Bestandteil ihres kulturpolitischen Repertoires betrachten. Göpffarths Ausführungen, dass es in Dresden in letzter Zeit zu einer Verschränkung von intellektuellem Bürgertum und Neuen Rechten kommt, sollte alarmierend genug sein.

Sollten die Berliner Pläne übrigens wie oben erwähnt umgesetzt werden, führt dies zwangsläufig zu einem Gedächtnistheater – ein Begriff, den der jüdisch-deutsche Autor Max Czollek in Rekurs auf den Soziologen Y. Michal Bodemann wieder eingeführt hat. Mit dem Begriff zielen die Autoren auf die fatale Denkart, die Jüdinnen und Juden zum ewigen Statistendasein verdammt und als Symbole für die Identitätsfindung der Deutschen missbraucht. Grundlage dieses Denkens ist die falsche Annahme, es hätte in der Vergangenheit strukturell ein positives Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und jüdischer Bevölkerung gegeben.

Was wäre also ein Ausweg – ein Ausweg, der identitär-essentialistische Kurzschlüsse nicht reproduziert, wie es eine rekonstruierte Frauenkirche und auch ein historisierender Neumarkt vermögen? Hans Christian Post impliziert in seinem Film bereits eine mögliche Antwort, als er das Kunstwerk des Künstlers Manaf Halbouni vor der Dresdener Frauenkirche zeigt. Der deutsch-syrische Künstler platzierte 2017 vor die Dresdener Frauenkirche drei hochkant stehende Busse, die Bezug auf eine Barrikade im syrischen Bürgerkrieg nimmt, die als Schutzschild gegen Scharfschützen diente. Mit diesem Kunstwerk vermochte es Halbouni, einen Erinnerungsort aufzuspannen, der multidirektional und additiv überlagernd funktioniert. So kann durch die Platzierung in Dresdens Mitte den Opfern des Holocausts und des 2. Weltkriegs gedacht werden (und damit explizit auch den umgekommenen Dresdner:innen), als auch den Opfern des syrischen Bürgerkriegs. Durch die Überlagerung dieser konkreten Erinnerungen entsteht ein universelles Mahnmal, das vor Krieg, Zerstörung und Tod warnt. Erinnerung und Identität stehen in keiner linearen Beziehung zueinander, wie etwa die rekonstruierten Bauten der Dresdener Innenstadt. Obwohl es sich um nur ein Kunstwerk handelt, wird nicht weniger, sondern mehr erinnert – es entsteht ein kollektives Gedächtnis, das sich, so würde es der jüdisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Rothberg bezeichnen, durch eine „multidirektionale Erinnerung“ der „Nullsummenlogik der Knappheit“ entzieht.

In der Stadtgesellschaft wurde das Kunstwerk nicht nur positiv aufgenommen. Nora Goldenhagen bringt es auf den Punkt, als sie im Film abschließend sagt: „Solange man sein eigenes Leid als absolut fokussiert und nicht guckt, dass es auf der Welt aus verschiedenen Gründen anderes Leid gibt und dass das manchmal sogar zusammenhängt – solange werden wir hier auch ganz große Probleme haben.“

 

 


[1] Das Reckwitzsche Kulturkonzept stößt teilweise an seine Grenzen, da es (post)migrantische Realitäten nur bedingt abzubilden vermag (vgl. Max Czollek: Gegenwartbewältigung). Für eine Grundeinordnung soll es hier trotzdem herangezogen werden.

[2] Hierbei soll nicht unterschlagen werden, dass es auch in der BRD seit den 1980er-Jahren Rekonstruktions-Bewegungen gibt – sichtbar z.B. an der erfolgreichen Rekonstruktion der Ostzeile des Frankfurter Römerbergs unter dem CDU-Bürgermeister Walter Wallmann. Ein Boom fand allerdings erst nach Gründung der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden 1999 statt, ähnliches berichtet Stephan Trüby im Film.

[3] Unter anderem der Politikwissenschaftler William Callison und der Historiker Quinn Slobodian untersuchen aktuell das Phänomen des nach rechts drehenden Querdenkertums; sie gehen von einem „Aufstand des Mittelstands“ aus: https://www.zeit.de/kultur/2021-04/querdenker-corona-politik-protest-regierung-verschwoerung-esoterik-rechtsextremismus/komplettansicht (aufgerufen am 9.4.2021)

 


Philipp Krüpe arbeitet zu architektur- und medientheoretischen Themen, unter anderem für ARCH+, Baumeister, die Bundeszentrale für politische Bildung und verschiedene Kulturinstitutionen in Deutschland. Seit 2018 ist er als Dozent und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) tätig. Aktuell forscht er zum Verhältnis von Ideologie und Architektur und leitet das am IGmA angesiedelte Forschungsprojekt „Rechte Räume“.

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